Interview mit der Künstlerin und Researcherin Jule Osten, Gründerin von Flea-Market-Institute
Liebe Frau Osten, was hat Sie inspiriert und motiviert zu gründen? Was ist Ihre Idee?
Ich interessiere mich sehr für das Recherchieren von in Vergessenheit geratenem Wissen und Geschichten, für urbane Räume und vor allem dafür, wie Menschen sich darin bewegen und in Kontakt kommen - gerade in Zeiten zunehmend digitaler Kommunikation. Seit etwa sieben Jahren habe ich neben Studium und Arbeit immer wieder Flohmärkte an verschiedenen Orten realisiert. Da diesbezüglich immer mehr Anfragen an mich herangetragen wurden, entstand die Idee, mich damit selbstständig zu machen und meine Interessen an der Recherche mit dem Phänomen Flohmarkt zu verbinden. Auf Flohmärkten geht es nicht nur um den Verkauf und Erwerb von Gegenständen, vielmehr kommen Menschen darüber in Kontakt zueinander und entdecken Gemeinsamkeiten. Generell spielen für mich nicht nur die Geschichten der zum Kauf angebotenen Gegenstände eine interessante Rolle, sondern darüber hinaus auch die Möglichkeit zur (Re)-aktivierung von Orten. Mich interessieren neben der ethnologischen Perspektive auch die hier ineinandergreifenden Prozesse. Ich möchte mit der Organisation einen Raum für Kommunikation schaffen; eine Bühne, auf der die Stadt sichtbar wird. Die Standgebühr wird mit einem selbstgekochten Gericht oder Kuchen bezahlt, zusätzlich lade ich ausgewählte Künstlerinnen und Künstler ein, die sich mit der Situation vor Ort auseinandersetzen. Anstatt um Profit geht es hier um die soziale Komponente, die das Ereignis des "new urban adventure" (wie es so schön in der Soziologie heißt) zu etwas Besonderem macht, das als kollektiver Erinnerungsmoment bleibt.
Mit der Gründung des Flea-Market-Instituts möchte ich in der Praxis weitere Flohmärkte an spannenden Orten realisieren und das mit der künstlerischen Erforschung des Phänomens Flohmarkt in der Theorie verbinden.
Welche Fragen stellen Sie sich in dieser Anfangsphase? Was bedeutet es für Sie selbständig zu sein?
Selbstständig sein bedeutet für mich in erster Linie mich selbst zu organisieren und eine solide Struktur aufzubauen. Ich arbeite sehr prozessorientiert, dadurch ergeben sich viele Ziele erst auf dem Weg. Anstatt also alle Parameter im Vorfeld abzustecken, ist es für mich wichtiger, die Struktur und die Richtung des Weges festzulegen.
Selbstständigkeit bedeutet für mich außerdem die Freiheit zu bestimmen, wann und wo ich bin. Meine Arbeitsweise ist in hohem Maße ortsspezifisch und gleichzeitig sehr ortsunabhängig und kann praktisch überall stattfinden. Diese Freiheit genieße ich sehr, denn für mich ist Reisen schon immer eine Leidenschaft gewesen. Es macht mich glücklich, meine Arbeit damit verbinden zu können. Trotzdem ist mir wichtig, meine Basis in Berlin zu haben, von der ich starten und an die ich wieder zurückkehren kann.
Welche hilfreichen Voraussetzungen bringen Sie mit um zu gründen?
Der Großteil meines Umfeldes arbeitet selbstständig. Zudem habe ich bereits viele Erfahrungen in Gestaltungsprozessen, Konzeption und Realisierung von selbst initiierten Projekten innerhalb meines Studiums des Integrierten Designs an der Hochschule für Künste in Bremen sammeln können. Mit meinem Abschluss ging es danach mit einer Freundin gemeinsam in eine erste Selbstständigkeit im Bereich der Konzeption und gestalterischen Umsetzung von Ausstellungen für unterschiedliche Museen und Initiativen. Diese "Werkzeuge" kommen mir vor allem in der Planung und auch in der Gestaltung von Flyer, Plakaten, etc. zu Gute.
Sie nutzen das Angebot des EntrepART Programms des CTC der UdK Berlin, was hat sich dadurch verändert?
Ich bin mit der Frage "Wie positioniere ich mich" in das EntrepART Coaching gegangen. Meine Gründungsidee war zuvor eher vage. Durch das Coaching konnte ich das Konzept zu einer konkreten festen Idee umwandeln und in Verbindung zu meinem aktuellen Studium "Art-in-Context" setzen. Ich habe im letzten Sommer meinen Segelschein gemacht und das Coaching hat mich sehr an diese Erfahrung erinnert: Wenn man segeln lernt, weiß man anfangs noch nicht, wie man den Wind nutzen kann und wo man hinfährt. Ich kann nun präzise die Windrichtung bestimmen, habe meine Segel gesetzt und weiß, wohin ich Kurs nehme.
Außerdem hat das Coaching mir geholfen, mich in einigen Bereichen zu professionalisieren. Ein wichtiger Punkt war zum Beispiel die rechtliche Absicherung bei der Organisation in Bezug auf die Abgrenzung zum Veranstalter. Dazu werde ich innerhalb des EntrepART Coachingprogramms von einem Anwalt beraten, der mich zur Vertragsform berät. Das Coaching hat den Prozess zur Gründung beschleunigt. Es hat mich herausgefordert, mich auf viele Dinge festzulegen. Diese Entscheidungen haben ein solides Fundament geschaffen, was für mich elementar wichtig war.
Ich bin nun strukturierter, klarer und sicherer in den Entscheidungen in der Organisation und Umsetzung. Das EntrepART Coaching Programm des CTC ist ein tolles Angebot, das hilft, die Ideen, die man hat, auf ein professionelles Level zu bringen.
Was für Erfahrungen konnten Sie schon machen? Aus welchen Fehlern haben Sie gelernt?
Ich habe einmal einen Flohmarkt in Bernau bei Berlin organisiert in der Überzeugung, dass ein Flohmarkt überall funktionieren würde. Mit dieser Einstellung war ich blind gegenüber den ortsspezifischen Faktoren. Ich hatte mir in den Kopf gesetzt, dass nach dem vorangegangen "A Detroit FLEA" ein "A Bernau FLEA" folgen musste. Dabei habe ich nicht bedacht, dass die Bevölkerung in Bernau überwiegend älter ist. Viele verstanden schlichtweg nicht, dass es sich um einen Flohmarkt handelte. Leider hatten die mir zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten nicht die gewünschte Atmosphäre, zudem hatte unglücklicherweise die lokale Zeitung auch noch eine falsche Adresse abgedruckt. Es gab daraufhin nur sehr wenige Anmeldungen und wenige Besucherinnen und Besucher.
Meine Lehre daraus war, dass es unglaublich wichtig ist, sich intensiv mit dem Ort auseinanderzusetzen und flexibel darauf zu reagieren. Ich denke, dass es nicht schlimm ist Fehler zu machen, es gehört einfach dazu. Wichtig ist, dass man daraus lernt und sich bewusst macht, worin das Problem lag.
Wie sehen Ihre nächsten Schritte aus?
Am 8. April 2017 werde ich einen Flohmarkt in Bremen veranstalten - am gleichen Tag wie der Eröffnungstag des ersten Flohmarkts in Deutschland im Jahr 1967. Dieser Tag wird zudem der Gründungstag vom Flea-Market-Institute. Zu diesem Anlass werde ich einen Vortrag über den Aktionskünstler Reinhard Schamuhn halten. Darin berichte ich von der unglaublichen und völlig in Vergessenheit geratenen Geschichte, wie er an jenem Tag vor 50 Jahren den ersten Flohmarkt in Deutschland veranstaltet hat. Mit seinen Intentionen fühle ich mich sehr verbunden und daher steht eine größere Recherche zu den Wurzeln dieses Marktes an. Ich stehe mittlerweile im Kontakt mit der Tochter und es gibt ein eingelagertes Foto- und Filmarchiv ihres Vaters, das wir wieder zu Tage bringen möchten. Im Sommer werde ich einen Flohmarkt in Detroit und einen in Dublin organisieren. Im Frühjahr des nächsten Jahres folgt dann wahrscheinlich die Organisation eines Flohmarktes in Japan. Aus der Erfahrung kann ich bereits sagen, dass es einen unglaublichen Unterschied macht, einen Flohmarkt in Deutschland oder Amerika zu veranstalten - da bin ich natürlich sehr gespannt auf ein Abenteuer in der japanischen Kultur.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
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