Im Gespräch mit Dr. Mutlu Ergün-Hamaz
Iyo Kamé Wanga, studentische Mitarbeiterin des Frauen- und Gleichstellungsbüros, im Gespräch mit Dr.Mutlu Ergün-Hamaz, Diversitätsbeauftragter der UdK Berlin:
(IKW) Im Interview mit dem Critical Diversity Podcast hast du erzählt, dass du früh bemerkt hast, dass es für dich unglaublich viel zu tun gibt. Was sind aus deiner Sicht im Moment die Hauptknackpunkte an der UdK Berlin?
(MEH) Das ist gar nicht so leicht zu benennen. Ich würde sagen, es gibt vier Hauptbaustellen. Einmal, das, was ich an Beratung erlebe: dass die Leute zu mir kommen mit Fragen oder Erlebnissen, die sie haben. Eine andere große Baustelle ist eigentlich das Monitoring: genaue Zahlen zu haben, schwarz auf weiß hinlegen zu können, wer in der Universität nicht präsent ist oder nur sehr wenig, und auch zu schauen was die, die präsent sind, für Sachen erleben. Das andere ist Weiterbildung. Also Trainings. Viele Leute haben die Vorstellung, dass sie vorurteilsfrei sind, dass sie alle Menschen gleichbehandeln. Aber die Forschung zeigt ganz klar, dass dem nicht so ist. Die Forschung zeigt, dass Leute Vorurteile haben, dass Menschen dazu tendieren, Leuten den Studienplatz zu geben, die aussehen wie sie selbst. Wenn man eine weiße Universität hat, dann bedeutet das auch, dass sie im Grunde genommen,weiß bleibt. Ein vierter Punkt ist die Organisationsstruktur der Universität selber: hier braucht es eine Art systemischer Organisationsberatung, um sagen zu können: hier sind strukturell all die Dinge, die verändert werden müssten, damit die Universität diversitätssensibler, diskriminierungssensibler, rassismus-kritischer, aber auch sozial gerechter wird.
(IKW) Das sind ziemlich viele Punkte. Würdest du sagen, jetzt wo du schon mehrere Monate hier arbeitest, sind dir schon Hürden/Probleme begegnet? Und wenn ja, welche?
(MEH) Also im Grunde genommen bräuchten diese vier Punkte, die ich genannt habe, eigentlich vier verschiedene Personen, die diese Jobs übernehmen. Und zum Bespiel bei dem Thema Beratung wäre es natürlich auch total schön, mehr Leute zu haben, die auch verschiedene Diskriminierungserfahrungen widerspiegeln. Ich bin zwar eine Person of Color, aber ich bin eine nicht Schwarze Person of Color und ich bin ein Cis-Mann. Sicherlich kann ich empathisch sein und auch professionell sein in der Beratung, wenn Leute zu mir kommen und mir Dinge erzählen. Aber natürlich weiß ich auch aus meiner eigenen Erfahrung, dass es immer sehr vorteilhaft gewesen ist, Personen zu haben, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben wie ich und bei denen ich mich auch wohler gefühlt habe, bestimmte Dinge einfach zu teilen. Das ist ein Beispiel dafür, dass mehr als nur eine Person gebraucht wird. Darüber hinaus ist meine Stelle auch nur eine halbe Stelle und ich merke dabei, dass ich aufpassen muss, nicht zu sehr in diesen Sog von der Arbeit rein gezogen zu werden, denn es gibt einfach so viel zu tun. Gremienarbeit beansprucht wahnsinnig viel Zeit. Meine Kollegin, die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, meinte, sie sitzt im Schnitt ca. einen Tag pro Woche in Gremien – und ich bin ja nur zweieinhalb Tage die Woche da.
(IKW) Da sind wir schon beim nächsten Thema. Wie steht deine Arbeit in Verbindung mit der Arbeit der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten? Wo gibt es Kooperation und Anknüpfungspunkte? Und wo gibt es separate Arbeitsgebiete?
(MEH) Es gibt total viele Verbindungen und ich verstehe meine Arbeit, auch wenn mein Schwerpunkt Antirassismus ist, als intersektional. Und ich bin auch froh, dass die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte, das ähnlich wahrnimmt. Wir wissen, es kann Gespräche geben, die wir eventuell gemeinsam führen müssen. Und wir wissen beide auch, dass wir an einem Strang ziehen und versuchen, uns da gemeinsam zu unterstützen, weil es total viele Überschneidungen gibt. Leute, die Diskriminierungserfahrung machen sind nicht zwangsläufig immer solidarisch. Aber wenn sie in der Lage sind, sich ein wenig zu öffnen und ihre Erfahrungen breiter zu verstehen, dann sind oft Parallelen und Analogien sichtbar.
Letztens bei einem Vortrag hatte ich die Situation, dass Frauen, die schon in den 70/80er Jahren feministische Arbeit gemacht haben, bestimmte Parallelen herstellen konnten, als ich sagte, dass BIPOCs [Black/ Indigenous/ People or Person of Color] Rassismus ganz anders definieren als weiße Personen. Also wo fängt Rassismus an. Einfach weil wir diese Erfahrungen machen und weiße Personen nicht. Eine Frau bei dem Vortrag sagte: “ah spannend – das erinnert mich daran, wie wir in den 70er Jahren über Sexismus gesprochen haben und Männer nicht nachvollziehen konnten, was Sexismus überhaupt bedeutet“. Manchmal gibt es diese Glücksmomente wo man merkt: es kann so einen Aha-Moment geben, das kann in dieser Arbeit auch möglich sein.
(IKW) Du arbeitest in deinem Büro mit der Open Door Policy. Wie wird dieses Angebot bisher von Studierenden und Mitarbeitenden aufgenommen bzw. wahrgenommen?
(MEH) Ja, das ist ganz unterschiedlich: Es gibt Studierende, Mitarbeitende, die einfach nur Fragen haben. Auch weiße Studierende, die hierhergekommen sind und Fragen haben zu dem Begriff “Rasse” und zur sogenannten „Rassentheorie“. Oder Studierende, die generell in Bezug auf Lehre Fragen hatten, wie z.B. “wo kann ich darüber sprechen, dass der Professor bei dem ich bin, ein „Arschloch“ ist“. Es kann ganz unterschiedlich sein: Personen, die unsicher sind, ob sie Rassismus erfahren haben oder nicht, und dann jemanden brauchen, um ins Gespräch zu kommen und die Situation zu reflektieren. Oder Personen die beobachtet haben, wie eine Person of Color von der Polizei vielleicht nicht so freundlich behandelt wurde, und dann Fragen haben, wie mit der Situation umgegangen werden kann.
(IKW) Beobachtest du auch eine Unsicherheit oder Zögerlichkeit, was das Thema Rassismus an der UdK Berlin betrifft und deine Stelle als Diversitätsbeauftragter, die ja mit dem Thema verbunden ist?
(MEH) Ja, auf jeden Fall. Ich glaube, dass es sicherlich eine gewisse Hürde gibt auf mich zuzukommen und mich anzusprechen. Und ich versuche es natürlich, den Leuten leichter zu machen, indem ich es anspreche und sage, dass ich weiß, dass das Thema verunsichernd ist, dass sich die Sprache zu dem Thema verändert und wir nicht alle wissen, ob wir hinterherkommen oder nicht, z.B. was die Bedeutung von Begriffen angeht. Es gibt sicherlich noch viel Öffentlichkeitsarbeit, die an dieser Stelle zu machen ist. Das läuft sehr langsam und im Hintergrund.
Meine Website steht mittlerweile. Ich habe Flyer – Plakate sind in Arbeit. Ich würde gerne noch eine Broschüre machen – die ist noch in Planung. Es muss noch viel getan werden, was andere Sachen verlangsamt, aber ich glaube, dass es schon bei vielen angekommen ist, dass es mich gibt, weil ich ja sehr präsent gewesen bin in Gremien. Ich habe versucht mein Gesicht zu zeigen und mich vorzustellen. Gerade tingele ich durch die verschiedenen Fakultäten und Einrichtungen und biete dort einen Vortrag an, der eine Einführung in das Thema Rassismus, Rassifizierung, Empowerment gibt - einerseits nach dem neuesten Stand der Forschung und außerdem auch zur rechtlichen Lage. Und rechtlich hat sich ein bisschen was verändert. Zum Beispiel hat sich in Berlin die Beweislast umgekehrt. Jetzt liegt die Beweislast nicht mehr bei der Person, die diskriminiert wurde, sondern bei der Person, der vorgeworfen wird zu diskriminieren. Das ist ein großer Unterschied. Das bedeutet nicht, dass auf die UdK Berlin eine Klagewelle zukommen muss, aber es ist möglich. Denn letztlich braucht es nur eine studierende oder mitarbeitende Person mit Rechtschutzversicherung, die ihr Recht einklagt. Leute haben ein Recht auf Bildung ohne dabei diskriminiert zu werden. Forschungen zeigen, dass Diskriminierung auch dazu führt, dass unsere Arbeitsleistung und unsere Denkleistung manchmal dadurch eingeschränkt werden.
Das Problem ist ja, dass Leute sagen, “Rassismus, das hat nichts mit mir zu tun“. Viele Leute haben diese Einstellung. Da ist es wichtig zu erwidern, dass die Forschung zeigt, da sich Dinge entwickeln. Das heißt, dass das, was wir vielleicht vor 20-30 Jahren gelernt haben, sich inzwischen verändert hat.
(IKW) Empowerment spielt in deiner Arbeit auch eine wichtige Rolle. Wie unterscheidet sich deine jahrelange Arbeit im Phoenix e.V als White-Awareness und Empowerment-Trainer von deiner Arbeit als Diversitätsbeauftragter an der UdK Berlin?
(MEH) Ja, das ist eine sehr unterschiedliche Art und Weise zu arbeiten. Und ich bin froh, dass ich die Arbeit noch weitermache. Das ist Trainingsarbeit. Sicherlich ist es ein Unterschied, dass die Leute da sein wollen, also sich entschieden haben, das Training zu machen. Das macht die Arbeit leichter, wobei ich auch bei meinen Workshops immer sage, dass ich niemanden zwinge, dabei zu sein. Und der Unterschied ist, dass mir in meiner Trainingsarbeit bei Phoenix e.V. ein zeitlicher Rahmen geboten ist, der hier gar nicht möglich ist. Wenn ich ein Training mache, dann geht das Anti-Rassismus- Training oder Empowerment-Training ein ganzes Wochenende. Dabei kann man in die Tiefe gehen. Wir können biografische Arbeit machen, bei der die Leute genug Zeit haben, im Training anzukommen, Vertrauen in das Gegenüber zu entwickeln und sich zu öffnen, dabei Dinge zu erzählen, die sie sich zwei Stunden später vielleicht nicht nochmal zu sagen trauen würden. Selbst in den Trainings sagen wir, dass das, was wir machen, nur ein Anfang ist. Wir öffnen eine Tür, und die Teilnehmer*innen können durch diese Tür durchgehen und dann schauen, wie es weitergeht. Hier an der UdK Berlin ist es eher so, dass ich in zwei Stunden Vortrag sagen kann, „da hinten ist eine Tür und wenn Ihr wollt, könnt Ihr dadurch gehen - aber die Tür ist da hinten“. Aber es kann trotzdem ein Anfang sein, der vielleicht Interesse weckt, um zu sagen: „Ich möchte da noch ein bisschen mehr zu dem Thema erfahren und in die Tiefe gehen“.
Weitere Infos zur Sprechstunde finden Sie hier und wenn Sie genaueres zu den Themen Diversiät, Empowerment & intersektionale Antisdiskriminierung erfahren wollen, finden Sie hier nähere Informationen.
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Foto: privat
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