Every word was once an animal
Yalda Afsah setzt sich in ihren filmischen Arbeiten mit der Beziehung zwischen Mensch und Tier auseinander. Der Kunstverein München präsentiert mit Every word was once an animal ihre erste institutionelle Einzelausstellung, die Arbeiten aus über fünf Jahren umfasst. Darin stehen Fragen von Macht, Fürsorge und Kontrolle in Bezug auf verschiedene Formen von Domestizierung im Zentrum. Anhand von drei Beispielen – dem Stierkampf, der Pferdedressur und der Taubenflugkunst – nimmt sie die oftmals verschwommenen Grenzen zwischen Pflege, Zuwendung und Identifikation mit Tieren auf der einen, und Disziplin, Unterwerfung und menschlicher Dominanz auf der anderen Seite in den Blick.
In der Dressur von Tieren treten anthropozentrische Herrschaftsverhältnisse deutlich hervor. Afsah zeichnet in ihren Arbeiten diesen Machtanspruch der Menschen nach: Wer hat Kontrolle über wen, wer lenkt, wer folgt? Den Arbeiten gelingt es, den selten eindeutigen Charakter dieser Kräfte sichtbar zu machen, die im Zentrum dieser Verhältnisse wirken. Unser Blick wird durch die Kameraführung auf die Momente gelenkt, in denen die Körper von Mensch und Tier von einer unheimlichen Nähe geprägt sind: Die Kamera ruht auf ästhetischen, jedoch widernatürlichen Bewegungen eines Pferdes; sie fokussiert die geballte Aggression eines Stiers oder folgt den suchenden Blicken von Männern, die im Himmel nach Tauben Ausschau halten, die mühsam antrainierte Stürze vorführen.
Wie der Philosoph Fahim Amir hervorhebt, war bereits der athenischen Definition der Polis die Exklusion eingeschrieben: Sie galt als Ort, zu dem „weder Tiere, Pflanzen, Sklaven noch Frauen Zugang haben, sondern nur freie Anthroposse schlaumeiernd herumlungern, während die anderen an den Rändern schuften oder gefressen werden.“ Afsah nimmt in ihrer Arbeit genau diese Ränder in den Blick. Denn an ihnen wird definiert, wer für wen sorgt, wer wen unterwirft und wer überhaupt als eigenständiges Subjekt definiert wird. Tiere treten in Afsahs Arbeiten selbst in Erscheinung, als Akteur*innen, aber auch als Lebewesen – nicht nur unter dem Blick ihrer menschlichen Companions, sondern auch unabhängig von ihnen.
Die Ausstellung Every word was once an animal ist auch ein Verweis auf die bröckelnde Grenze zwischen „Natur“ oder „Kultur“. Sie findet während der anhaltenden Corona-Pandemie statt, deren Entstehung ein noch immer nicht gelöstes Rätsel bleibt, aber dessen Hauptverdächtige eine Fledermaus ist. Solch zoonotische Influenza resultieren in immer größerer Dichte aus einem gestörten Gleichgewicht zwischen Mensch und Tier, und wird in der Regel durch intensive Zucht, Schlachtung und Handel mit Tieren verursacht. Die Krise zwingt uns dazu, den Begriff des Politischen zu weiten und neu zu denken. Natur ist nicht bloß passiver Gegenstand politischer Einflussnahme, sondern eine widerspenstige Akteurin des Politischen. In den Arbeiten von Afsah sind Betrachter*innen mit dem intimen Portrait der gegenseitigen Abhängigkeiten menschlicher und nichtmenschlicher Protagonist*innen konfrontiert. Afsah suggeriert dabei nie, dass ein „Zurück“ in eine vermeintlich reine Natur möglich sei, sondern provoziert dazu, andere Konzepte des Miteinanders und Gegeneinanders zu verhandeln.
Every word was once an animal wurde vom Kunstverein München initiiert und wird in Kooperation mit der HALLE FÜR KUNST Steiermark realisiert, wo die Ausstellung von Juni bis September 2022 zu sehen sein wird. Anlässlich der beiden Ausstellungen wird die erste umfassende Publikation zur Arbeit von Yalda Afsah bei DISTANZ erscheinen. Neben aufgearbeitetem Fotomaterial wird das Buch Textbeiträge von Fahim Amir, Maurin Dietrich, Cathrin Mayer, Gina Merz und Filipa Ramos umfassen.
Wann? Wo?
15. Januar - 3. April 2022
Kunstverein München
Galeriestraße 4
80539 München