Veranstaltungsarchiv
Ringvorlesungen, Tagungen und Workshops, die 2012 bis 2021 am DFG-Graduiertenkolleg stattfanden
Wissen liegt nicht einfach so vor, sondern muss produziert, verfestigt und angeeignet werden. Mit der Generierung und dem Erwerb von (neuen) Kenntnissen ist der Wissensprozess aber keineswegs endgültig abgeschlossen. Wissensbestände und praktisches Know-how sind vielmehr nur vorübergehend gesichert und niemals unumstößlich etabliert. Sie können wieder in Vergessenheit geraten oder verlernt werden – ein Umstand, der negative wie positive Seiten hat.
So kann einmal erzeugtes oder erworbenes Wissen verloren gehen, weil seine Weitergabe nicht mehr gewährleistet ist (Experten verlassen das Land; die Folgegenerationen haben kein Interesse; die Medien der Wissensspeicherung zerfallen oder werden vernichtet; die politische Zensur blockiert die Erinnerung; usw.). Zudem können Wissensbestände sowie Erkenntnisse zurückgewiesen und so dem Vergessen preisgegeben werden (tradiertes Wissen veraltet; die Wissenschaft lehnt bestimmtes Wissen als falsch oder nicht haltbar ab; die Akademie schließt bestimmte künstlerische Praktiken oder Themen als unschön, unschicklich, veraltet oder nicht korrekt aus; usw.). Auch können Wissen, Fähigkeiten und Verfahrensweisen verlernt werden, etwa weil man die Praktiken nicht mehr ausübt, die zu ihrer ständigen Aktualisierung notwendig sind, oder weil die notwendigen körperlichen oder kognitiven Voraussetzungen hinfällig werden (Modernisierungsprozesse lassen tradiertes Materialwissen und künstlerische Techniken verschwinden; Krankheiten oder Unfälle ›löschen‹ erworbenes Wissen und Erfahrungen bzw. unterbrechen den Zugriff auf das einst Gewusste; usw.). Andererseits eröffnen Prozesse des Vergessens, der Überschreibung oder des ›Entlernens‹ neue Räume für (anderes) Wissen und Fertigkeiten.
Es existieren folglich unzählige Gründe dafür, dass bestehendes Wissen, ausgebildete Handfertigkeiten oder elaborierte Techniken nicht auf alle Ewigkeit verankert sind. Ihnen kommt eine Vorläufigkeit und Endlichkeit zu, und somit auch eine eigene Temporalität und Geschichtlichkeit. Stets haben wir es deshalb sowohl auf individueller als auch gesellschaftlicher Ebene mit einem Wissen auf Zeit zu tun. Die Ringvorlesung fokussiert demzufolge nicht auf die temporalen Aspekte der Erzeugung von Wissen oder die Konstituierung von Wissensbeständen. Stattdessen macht sie die Zeitlichkeit des Wissens selbst zum Thema, d.h. den Umstand, dass Wissen und Kenntnisse immerzu auch gepflegt, aktualisiert, angewandt, gespeichert, übermittelt, kurz: am Leben erhalten werden müssen.
Die Ursachen für die begrenzte Gültigkeit bzw. die Vergänglichkeit von Wissen sind vielfältig; und historische Beispiele für Vergessen und Verlernen sind nicht minder zahlreich. Zu fragen wäre hiervon ausgehend etwa, welche Strategien die Künste entwickelten, dem drohenden Verlust von Wissen entgegenzuwirken, und welche Rolle dabei Traditions-, Kanon- und Ausbildung spielten. Aus einer anderen Perspektive stellt sich zugleich die Frage, wie die Künste mit dem prekären und vorläufigen Charakter des Gewussten und Erlernten auf eine produktive Weise umgingen und welchen künstlerischen Nutzen sie daraus zu schlagen vermochten. So können etwa das gezielte Verlernen von habitualisiertem Körperwissen in der Kunstausbildung oder der Rückgriff auf verschüttetes bzw. abseitiges Wissen, überholte Systematiken und Ordnungen als alternative und schöpferische Zugangsweisen verstanden werden. Außerdem lässt sich darüber nachdenken, ob und inwiefern die Künste nicht selbst als Strategien zu verstehen sind, die ›offizielles‹ Wissen festigen, haltbar machen und legitimieren sollen. Nicht zuletzt gilt es grundsätzlich zu verstehen, was es für Individuen und Kulturen bedeutet, dass jedes Wissen stets vorläufig ist und seine Existenz und Relevanz nur auf Zeit beanspruchen kann.
Montags, 18 Uhr – orangelab, Ernst-Reuter-Platz 2, 10587 Berlin
26. Oktober 2015: Karin Harrasser (Kunstuniversität Linz)
Monkey Business – Ant Trail. Die Zeitlichkeit sitiuierten Wissens
09. November 2015: Monika Dommann (Universität Zürich, Zentrum Geschichte des Wissens)
Tape, Xerox, Typewriter: Warum wird Geschichte chic?
23. November 2015: Margarete Vöhringer (ZfL, Berlin)
Messen, beschleunigen, anhalten, zurückdrehen. Das Zeitmanagement der russischen Avantgarde
11. Januar 2016: Nicolas Pethes (Universität Köln)
»Perpetuierte Erkenntnis«. Zur immanenten Zeitlichkeit philologischen Wissens
25. Januar 2016: Lambros Malafouris (Keble College, Oxford)
On situated bodies: A process archaeology of mind
01. Februar 2016: Caroline A. Jones (MIT, Cambridge/Mass.)
Forgotten Internationalisms. Forming art's canon in the world pictures of fairs and biennials
Konzeption: Marcel Finke
Organisation: Ina Driemel, Marcel Finke und Ekaterina Tewes
Kontakt: graduiertenkolleg @udk-berlin.de