Patrick Becker

Promotionsprojekt

Zur „musikalischen Ökonomie“ des Sozialismus

Dieses Promotionsvorhaben befasst sich mit dem Verhältnis von Musik und Ökonomie im sogenannten Staatssozialismus während des Kalten Kriegs. Als Fallbeispiel dient das Musikleben in der Volksrepublik Bulgarien. Schwerpunkte sind hier die Ausdifferenzierung eines Musikdiskurses in der frühen Nachkriegszeit durch Aneignung sowjetischer Bewertungsmuster, die Traditionskonstitution im relativen Vakuum einer Musikkultur, die sich mit dem Problem einer fehlenden nationalen Klassik konfrontiert sieht, sowie die Rezeption der zeitgenössischen Musiktheorie in einem übernationalen Rahmen. Im Kontext der Tauwetterperiode entbrennt nach 1956 eine Mitteldiskussion, die sich vor allem in einer Reihe von Künstleropern niederschlägt; schließlich erscheint die Periode des Spätsozialismus als Krisenmoment des sozialistischen Musiklebens.

Das Vorhaben vereint institutions- und kompositionsgeschichtliche Ansätze mit einer diskursanalytischen Methode und leistet durch die Erweiterung existierender Herangehensweisen, die sich auf die Beziehung von Musik und Politik beschränken, einen entscheidenden Beitrag zu aktuellen Überlegungen der Cold War Studies. Am Fallbeispiel des Musiktheaterschaffens in der Volksrepublik Bulgarien lässt sich eine Verflechtung unterschiedlicher Wissensformen ausmachen, die nicht bloß auf eine Teilhabe der Musik an sozio-ökonomischen wie auch politischen Prozessen hindeutet, sondern auf ein musikspezifisches Wissen verweist. Der Blick auf Mechanismen der Kanonbildung, Marginalisierung und kompositorischen Selbstreflexion fordert sowohl existierende Narrative der Musikhistoriographie als auch die Annahme einer notwendig technischen Verfassung der artifiziellen Musik im 20. Jahrhundert heraus.

Vita

Patrick Becker studierte Musikwissenschaft und Deutsche Literatur an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Rahmen des Stipendienprogramms „Metropolen in Osteuropa" der Studienstiftung des deutschen Volkes und der Alfried Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung absolvierte er 2017/2018 einen achtmonatigen Forschungsaufenthalt in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Er ist Redaktionsbeirat der Zeitschrift Positionen. Texte zur aktuellen Musik und betreut die Textredaktion des Livestream-Projekts von „betont“, dem Label der Universität der Künste Berlin. Forschungsinteressen: Geschichte der Musik, Musiktheorie und Musikwissenschaft des 19. bis 21. Jahrhunderts, Musiktheater, Instrumentalmusik, Cold War Studies.

Seine Masterarbeit wurde am 4. November mit dem Humboldt-Preis 2019 ausgezeichnet. Weitere Informationen

Publikationen

Selbständig publizierte Schriften

«… näher ans Leben?» Volksmusik in der bulgarischen Nachkriegsavantgarde zwischen Prager Frühling und dem Zweiten Kongress des Komponistenverbands 1980, Münster und New York, erscheint 2019 (Musik und Diktatur).

Aufsätze

„‚New Conceptualism‘ and the Overcome of Postmodernism“, in: Old is New. The Presence of the Past in the Music of the Present, Lissabon, im Peer-Review-Verfahren.

„Institutionalized Exchange in the Contemporary Music Scene of the German Nations – Preliminaries and a Case-Study“, in: Ivana Medić und Patrick Žuk (Hg.): Musical Legacies of State Socialism. Revisiting Narratives about Post-World War II Europe, New York und London, erscheint 2019.

„Otto Nebel’s Runic Fugues as multi-modal artworks between ‚musical poetry‘, painting, and architecture“, in: Mirjana Veselinović-Hofman et al. (Hgg.): MUSIC / IMAGE: transpositions, translations, transformations…, Belgrad 2018 (Musicological Studies: Monographs, Bd. 1), S. 249–263.

„Darmstadt als Bauhütte: Historische und aktuelle Perspektiven auf die Internationalen Ferienkurse für Neue Musik“, in: Lithuanian Musicology 19 (2018), S. 28–32.

„Contemporary Music Without Theory? Bulgaria’s Musicology and Its Relation to the Bulgarian Avant-Garde in the First Three Decades of the People’s Republic of Bulgaria“, in: Bulgarian Musicology 42 (2018), H. 2, S. 51–58.

„Ein Bild aus Bulgarien – Altes und Neues in der bulgarischen Avantgarde um 1970“, in: Kamelia Nikolova et al. (Hgg.): Пресичане на границите в изкуствата. Отвъд модерното и постмодерното [Grenzüberschreitungen in den Künsten. Jenseits des Modernen und Postmodernen], Sofia 2018 (Art Studies Readings, Bd. 14), S. 118–127.

„Classic in Form, Formalist in Content? Konstantin Iliev’s Sonata Form and Dodecaphony in his Second Symphony“ [bulgarisch als „Класическо по форма, формалистично по съдържание“? Сонатната форма и додекафонията на Константин Илиев във Втората му симфония], in: National Music Academy „Prof. Pancho Vladigerov“. Almanac 9 (2017), S. 163–182 (bulgarisches Original S. 183–202).

„Павшее поколение: Сравнение музыкальной жизни и композиторского творчества в Великобритании периода Первой мировой войны и России периода Второй мировой войны“ [Die gefallenen Generationen: Ein Vergleich des musikalischen Lebens und Komponierens im Großbritannien des Ersten und Russland des Zweiten Weltkriegs], aus dem Deutschen übersetzt von Roman A. Nasanov, in: Двадцатыйвек: Музыкавойныимира [Das 20. Jahrhundert: Musik des Kriegs und des Friedens], Moskau 2016, S. 348–360.

„Produktionsmodell Realismus. Gedanken zu Bernd Stegemanns Buch Lob des Realismus“, in: Positionen 108 (2016), S. 38/39.
 

Lexikon- und Handbuchartikel

In: Hanns Werner-Heister und Wolfgang Sparrer (Hgg.): Komponisten der Gegenwart, München 1992ff.
Konstantin Iliev, Beitrag eingereicht; Vasil Kazandžiev, Beitrag eingereicht; Lazar Nikolov, Beitrag eingereicht.

 

Rezensionen, Programmheftbeiträge und Varia (Auswahl)

„Musikfestivals im 20. und 21. Jahrhundert“, in: Wolfgang Deicke und Monika Sonntag (Hgg.): Abschlussberichte Q-Tutorien Wintersemester 2017/2018, Berlin (erscheint 2019).

„70 Jahre Musikwissenschaft in der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften (9.–11. Februar 2018)“, Konferenzbericht, in: Die Musikforschung

, hochgeladen von der Gesellschaft für Musikforschung am 17. August 2018, URL: www.musikforschung.de/index.php/aktuelles/tagungen-kongresse/tagungsberichte/tagungsberichte-2018/1620-sofia-9-bis-11-februar-2018 (Stand: 27. August 2018).

„Mathias Spahlinger: Weltbezüge“, Buchrezension, in: Positionen 116 (2018), S. 52/53.

„Bálint András Vargas Der Komponisten Mut und die Tyrannei des Geschmacks“, Buchrezension, in: Die Tonkunst 44 (2017), S. 63–65.

Interview mit Ivanka Stoïanova und Rosica Draganova im Сутрешно кафе [Frühcafé] des bulgarischen Rundfunksenders Classic FM in Sofia (Moderation: Radostina Uzunova), Live-Produktion am 10. Februar 2018 um 10:00 Uhr (Dauer: 45 min).

„Musikleben und -wissenschaft in der Nachkriegszeit“, Buchrezension, in: Positionen 111 (2017), S. 51–53.

„Fritz Trümpi und Simon Obert (Hgg.), Musikkritik. Historische Zugänge und systematische Perspektiven (= Anklaenge. Wiener Jahrbuch für Musikwissenschaft)“, Buchrezension, in: Die Tonkunst 11 (2017), H. 2, S. 235–237.

„Belgrad: Neusichtung sozialistischer Realismus“, Konferenzbericht, in: Positionen 108 (2016), S. 58/59.

„Drei Fragen an 73 Komponisten“, Buchrezension, in: Positionen 106 (2016), S. 50/51.

Zerknotete Zeit, Libretto der gleichnamigen Komposition für Violoncello, Schlagzeug und Audioguide von Ehsan Khatibi (UA: 30. November 2015 in Berlin).

„Thinking Together – Konferenz und Diskurs“, Konferenz- und Festivalbericht, in: Positionen 103 (2015), S. 41/42.

„Max Reger, Symphonischer Prolog zu einer Tragödie op. 108 (1908)“, in: Landesjugendorchester NRW (Hg.), Ausbruch. Umbruch. Facetten musikalischer Moderne um 1910, Programmheft, Düsseldorf 2014, S. 26–29.

 

Vorträge (Auswahl)

„The Three Seasons: Prague Spring, World Youth Summer, and ‚Sofia Autumn‘ – The Anti-Event, the Avant-Garde, and the Beginning of the New Folklore Wave in Bulgaria“, Study Day der BASEES (British Association for Slavonic and East European Studies) Study Group for Russian and East European Music, Department of Music, University of Bristol, 9.11.2018.

„Ästhetik als Doktrin, Ästhetik als System. Die ‚Institution‘ Sozialistischer Realismus und seine Institutionen – Ansichten aus dem Archiv“, 31. Symposium des DVSM e. V. (Dachverbands der Studierenden der Musikwissenschaft e. V.) „Musik und Ästhetik – Alte Fragen, neue Perspektiven“, Institut für Musikwissenschaft und Medienwissenschaft, Humboldt-Universität zu Berlin, 8.11.2018.

„‚Absolute Polyphonie‘ und ‚reiner Stil‘. Ausprägungen der bulgarischen Avantgarde am Beispiel von Konstantin Ilievs Zweiter Symphonie (1951)“, 18. Jahreskongress der GMTH (Gesellschaft für Musiktheorie) „Kontrapunkt – ewiggestrig oder unerlässlich? Kontinuitäten und Wandlungen einer kompositorischen Disziplin“, Hochschule für Künste Bremen, 5.10.2018.

„Auf der Suche nach der absoluten Polyphonie. Konstantin Ilievs Zweite Symphonie für Bläser, Schlagwerk, Harfe und Klavier (1951)“, Gastvortrag, Colloquium des Instituts für historische Musikwissenschaft, Universität Hamburg, 11.4.2018.

„Contemporary Music without Theory? Bulgaria’s Musicology and Its Relation to the Bulgarian Avant-Garde 1944–1974“, Wissenschaftliche Konferenz „Bulgarian Musicology in Retrospect and in Perspective (70 years of Musical Studies at the Bulgarian Academy of Sciences)“, Sector „Music“, Institute of Art Studies, Bulgarian Academy of Sciences, Sofia, 11.2.2018.

The Living Icons – The Old and the New in Bulgaria’s Avant-Garde during the 1960s“, Internationale Konferenz „Art Readings 2017. New Art Module: Crossing Borders“, Institute of Art Studies, Bulgarian Academy of Sciences, Sofia, 4.4.2017.

„‚New Conceptualism‘ and the Overcome of Postmodernism“, Internationale Konferenz „Old is New. The Presence of the Past in the Music of the Present“, Centro de Estudos de Sociologia i Estética Musical, Lissabon, 24.11.2016.

„Reception of Contemporary Music by Right- and Left-wing Political Movements during Weimar Republic“, Internationale Konferenz „Music Criticism 1900–1950“, Institut d’Estudis Catalans, Barcelona, 19.10.2016.

„Otto Nebel’s Runic Fugues as multi-modal artworks between ‚musical poetry‘ and painting“, 13. Internationale Konferenz des Department of Musicology, Faculty of Music, Universität Belgrad, Serbien, 14.10.2016.

„Does contemporary music need virtuosity?“, Interdisziplinäres Symposium „Virtuosity“, Franz-Liszt-Musikakademie, Budapest, 5.3.2016.

„Die Automatisierung des Salons“, Internationale zweisprachige Tagung „Der europäische Salon: Salonmusik im 19. Jahrhundert“, Music Department, University of Maynooth, Irland, 4.10.2015.

„Institutionalised cultural exchange in the contemporary music scene of the German nations 1961–1992“, Konferenz „Musical Legacies of State Socialism: Revisiting Narratives about Post-World War II Europe“, Institute of Musicology, Serbian Academy of Sciences and Art, Belgrad, 25.9.2015.

„Synchronization of movement and gestural communication in Jazz improvisation“ (in Zusammenarbeit mit Lisa Krüger), International Conference of Students of Systematic Musicology (SysMus15), Leipzig, 18.9.2015.

„The fallen generations – A comparison of musical life and composing in First World War Britain and Second World War Russia“, Internationale Konferenz „20th Century. Music of War and Peace“, Tschaikowski-Konservatorium, Moskau, 24.4.2015.

„The Opera Experience – Applying a Multimodal Theory of Music Performance“, Posterpräsentation, Joint International Workshop „Mathemusical Conversations. Mathematics and Computation in Music Performance and Composition“, Institute for Mathematical Sciences, National University of Singapore und Yong Siew Toh Conservatory of Music, Singapur, 13.–15.2.2015.