Sebastian Köthe
Promotionsprojekt
Guantánamo bezeugen. Aisthetiken von Widerstand und Folter
„Saubere“ Folter zielt auf die anhaltende Qual, Regression und Traumatisierung ihrer Opfer, ohne in der Folge selbst rekonstruiert, glaubhaft bezeugt oder vorgestellt werden zu können. Sie macht leiden durch spurenarme Vorrichtungen wie „Waterboards“ oder die Gestaltung lebensfeindlicher Umwelten wie Isolationszellen, Kälte oder extremer Geräuschkulissen. So wendet sie die konstitutive Offenheit menschlicher Wahrnehmung, Sensibilität und Sozialität als Instrumente der Folter gegen sie selbst. Während diese Folter noch in ihrem Erscheinen zu verschwinden trachtet (C. Hilbrand), terrorisiert sie gleichsam durch ihre ausgestellte Sichtbarkeit ganze Bevölkerungen in der stellvertretenden Brechung einzelner Leiber.
Das Dissertationsvorhaben als Epistemologie der Gestaltungsweisen und Medien „sauberer“ Folter tritt einerseits ihrer Unterbelichtung entgegen, indem juristische, journalistische, militärbürokratische und autobiographische Dokumente des „global war on terror“ einer aisthetisch sensibilisierten Lektüre unterzogen werden, die achtgibt auf ephemere Gewalttechniken wie Lichtarrangements, exzessive Sichtbarmachungen oder Drohungsszenarien.
Diese Rekonstruktionen werden andererseits konstelliert mit einer Analyse der spezifischen Erkenntnisweise und Performativität von kontemporären ästhetischen Verfahren und Künsten, deren besondere Erschließungskraft begründet ist eben durch die aisthetische Vorgehensweise gegenwärtiger US-amerikanischer Folter. Formate wie Reenactments, Appropriationen oder investigative Narrationen produzieren ein irreduzibel eigenes und anderes Wissen über die epistemisch schwer zugängliche Foltergewalt; gleichsam drohen sie als Akteure einer weiteren Visibilisierungsschleife die terrorisierende Wirkung der Folter zu multiplizieren, Opfer erneut zu beschämen und ihr Leiden unerlöst zu speichern.
Wie haben, im Angesicht staatlicher Thanatopolitiken globalen Ausmaßes, ästhetische und künstlerische Verfahren auf das Leiden der Verschleppten, Gefolterten, Getöteten geantwortet? Wie haben sie wiederum auf Seiten der Macht die Gewalt noch informiert, affiziert oder gerechtfertigt? Wie haben die Folter-Überlebenden selbst ästhetische Verfahren genutzt um für sich selbst und ihre Mitgefangenen Zeugnis abzulegen? In welchem Verhältnis stehen Epistemologie, Ethik und Ästhetik in einer sozialen und symbolischen Antwort auf Folter zueinander?
Angestrebt wird eine wechselseitige Befragung von historischen, forensischen und ästhetischen Verfahren, um schließlich eine Kritik der impliziten und subtilen Teilhabe kultureller Formationen an der Gewalt „sauberer“ Folter und ihrer fortwährenden Marginalisierung artikulieren zu können.
Vita
Sebastian Köthe hat von 2009 bis 2013 den Diplomstudiengang Drehbuch an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) absolviert. Im Anschluss studierte er von 2013 bis 2015 im BA. Kulturwissenschaft und Philosophie an der HU Berlin studiert, sowie von 2015 bis 2017 Kulturwissenschaft im MA. Während des Studiums erhielt er ein Deutschlandstipendium und wurde durch die Studienstiftung des Deutschen Volkes gefördert, im Anschluss durch ein Humboldt Research Track-Stipendium. Die von ihm verfassten Kurzfilme und der von ihm inszenierte, abendfüllende Dokumentarfilm à propos: philosophie wurden zu über 50 Festivals eingeladen (u.a. IFF Warschau, Hofer Filmtage, Max-Ophüls-Preis) und mehrfach ausgezeichnet. Er arbeitet als freier Autor für Die Erklärerei, und leitet die Gesichtsgespräche am Berliner Figurentheater Schaubude. Am Graduiertenkolleg „Das Wissen der Künste“ der UdK Berlin promoviert er über die Aisthesis „sauberer" Folter und ihre (Re-)Konstruktion in den euro-amerikanischen Künsten.
Publikationen
„Zur Chaotisierung intimer Räume: Gaston Bachelard eingewickelt in Leas Knäuel“, in: Chaos (AT), hrsg. Von Miriam Amin et al., Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag, im Erscheinen (2018).
„‚He was reminded that he was less than human.‘ Selbstlegitimierungsstrategien von Folter“, in: Cogito 2/2017, S. 24–28.
“Silent Cinema as Ambiguous Heritage at the Giornate del Cinema Muto”, in: Ekphrasis. Images, Cinema, Theory, Media, 2/2016, S. 127–133.
(Mit Beate Absalon) „Gesichtsflucht und Maskenleben“, in: Double 1/2016, S. 48–51.
„Existenzunberechtigt. Über Whiplash“, in: Blatt 3000 # 3, S. 26–30.
„Über die kritische Wendung merkantiler Ordnungssysteme im Supermarkt“, in: Entwickeln – Ordnen – Messen, hg. von Exzellenzcluster Bild Wissen Gestaltung. Ein interdisziplinäres Labor, Berlin: BWG, 2015.
Vorträge
“Reconstructing Waterboarding in Popular Media”, Tagung “Dissecting Violence. Structures, Imaginaries, Resistances” der Amsterdam School for Cultural Analytics, 2018.
„Waterboarding als Selbstversuch“, 31. Film- und Fernsehwissenschaftliches Kolloquium an der Ruhr-Universität Bochum, 2018.
„Think Tank & Synthese im Dialog“, Eröffnungs- und Abschlussdiskussion, Tagung „Körper und Lager“ des Instituts für Geschichtswissenschaft, HU Berlin, 2017.
„Repräsentations- und Legitimierungsstrategien von Folter im post-9/11 Kino am Beispiel von Zero Dark Thirty“, Workshop „Trauma & Kunst“ des Instituts für Kulturwissenschaft, HU Berlin, 2017.
„Sprechen, Sprache und ‚Sprechlosigkeit‘ in Murnaus Herr Tartüff“, Kollegium des Stummfilmfestivals Karlsruhe, 2016.
„Wer würde denn vor einem Gesicht gleich weglaufen? Eine Einführung.“ Tagung „Das Gesicht im Angesicht seiner Auslöschung“ des Instituts für Kulturwissenschaft, HU Berlin, 2015.
Veranstaltete Symposien
„Vor dem Gesicht, Hinter dem Gesicht“, Schaubude Berlin, 2016.
„Das Gesicht im Angesicht seiner Auslöschung“, Institut für Kulturwissenschaft, HU Berlin, 2015.