Dr. Nina Wiedemeyer

Forschungsprojekt

Prekäre Dinge: Wissensgeschichten des Kunstgewerbes und Provisorien als Wissensobjekte

Praktiken des Kunstgewerbes im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert sind Ausgangspunkt, um Wissen über Dinge und Wissen mit Dingen in künstlerisch/handwerklichen Arbeitsprozessen in den Blick zu nehmen. Dinge überschreiten im Kunstgewerbe Grenzen zu Kunstpraxis und Kunstdiskurs: sie werden ausstellbar und sammelbar (Gustav-Edmund Pazaurek richtet ein Museumskabinett mit hässlichen Dingen ein), Dinge werden beschreibbar (Henry van der Velde legt sich eine Sammlung von Dingbeschreibungen an), Dinge werden lehrbar (Museums- und Schulgründungen) und Dinge sind Protagonisten von Kunstgeschichten (auf Gebrauchsgegenständen basiert Gottfried Semper seine Kunstgeschichte "Der Stil"). Bei der Kunstgewerbe-Bewegung hat man es mit einer Gründungssituation zu tun, in der Künstlerinnen und Wissenschaftler um Anerkennung und Reflexion ihres Wissens ringen und Vermittlungsformen entwickeln. Die Hürde zwischen Implizitheit und Vermittelbarkeit wurde mitreflektiert; unter anderem über die kunstgewerbliche Erfindung des schlechten Geschmacks und dem Zutrauen in die Übertragungspotentiale der Dinge ins Soziale. Eine „Kunstgeschichte der Dinge" lässt sich auf dem Grund kunstgewerblicher Praktiken neu fundieren. In zwei Richtungen soll das Projekt sich nach der historischen Analyse weiterentwickeln: Mit einem Fokus auf die Gegenwartskunst, um danach zu fragen wie die Grenzen von Alltagsdingen und Kunstdingen aufrechterhalten werden/destruiert werden. Und zweitens mit einem Fokus auf die Analyse des Dinglichen im künstlerisch/handwerklichen Entwurfsprozess, in dem mit dem Provisorium (von lateinisch provisio - Vorsorge), also mit dem Mittel handwerklicher Vorsorge und mit anderen genauer zu charakterisierenden Dingen (keine Produkte oder Werkzeuge im klassischen Sinne) implizites und prozessuales Wissen beobachtbar wird.

Vita

Dr. Nina Wiedemeyer ist Kunsthistorikerin und Medienwissenschaftlerin und arbeitet seit 2008 als Autorin, Herausgeberin und Kuratorin für Museen und Ausstellungsbüros. Mit einem Promotions-Stipendium der DFG am Graduiertenkolleg „Mediale Historiographien" der Universitäten Erfurt/Jena/Weimar (2005-2008) verfasste NW eine Dissertation über das Medium Buch, die im Diaphanes Verlag Berlin/Zürich erscheinen wird (Buchfalten. Material, Technik, Gefüge der Künstler/Bücher/). Weitere für das Projekt relevante Veröffentlichungen: „Papierparasiten und lineare Schleier", in: Robert Suter und Thorsten Bothe (Hrsg.): Prekäre Bilder, München 2010, S. 298-314; „Gefüge: Das Werkhafte der Arbeit", in: Nicola Lepp, Daniel Tyradellis (Hrsg.): Arbeit. Sinn und Sorge, Berlin/Zürich 2009, S. 299-349; „Parasitäre Vernetzung: Über das Ornamentale im Buchraum", in: Ronja Tripp (Hrsg.): Visualisierungen, Trier 2007, S. 235-252; „Otto Dorfner", in: Mechthild Lobisch (Hrsg.): Zwischen van de Velde und Bauhaus, Halle 1999, S. 82-162. Zuletzt erschien: »Friedrich Kittlers Bücher. Die Montage stammt nicht vom Autor«, in: Archiv für Mediengeschichte, 13/2013, S. 63–73.


Publikationen

„Friedrich Kittlers Bücher. Die Montage stammt nicht vom Autor“, in: Balke, Friedrich / Siegert, Bernhard / Vogl, Joseph (Hg.): Mediengeschichte nach Friedrich Kittler, Paderborn: Wilhelm Fink Verlag, 2013 (= Archiv für Mediengeschichte, Bd. 13), S. 105–116.

„Perspektiven für eine Geschichte des Kunstgewerbes“, in: wissenderkuenste.de, Onlinepublikation des Graduiertenkollegs „Das Wissen der Künste“, Nr. 1 „Wissensformationen und -praktiken“, Oktober 2013, URL: http://wissenderkuenste.de/#/text/perspektiven-fuer-eine-geschichte-des-kunstgewerbes/.

„Darbovens Dinge“, in: wissenderkuenste.de, Onlinepublikation des Graduiertenkollegs „Das Wissen der Künste“, Nr. 2 „Opake Evidenzen“, Juni 2014, URL: http://wissenderkuenste.de/#/text/darbovens-dinge/.

„Marshall McLuhan. Understanding Books“, in: Navigationen, Jg. 14, H. 2, 2014, S. 46–56.

„Hinterfangen. Faltungsgeschichte eines Bildmotivs“, in: Fisch, Michael / Seiderer, Ute (Hg.): Haut und Hülle. Umschlag und Verpackung. Techniken des Umschließens und Verkleidens, Berlin: Rotbuch Verlag, 2014, S. 58–72.

„Ästhetik des Provisorischen. Über Bricoleur und Provisoriker/in“, in: wissenderkuenste.de, Onlinepublikation des Graduiertenkollegs „Das Wissen der Künste“, Nr. 4 „das Provisorische“, November 2015, URL: http://wissenderkuenste.de/#/text/aesthetik-des-provisorischen-ueber-bricoleur-und-provisorikerin/.