Axel Haagen
Lehrkraft in der künstl. Werkstattlehre
Axel Haagen ist Bildhauer. Steinmetzlehre mit 20, Studium der Bildhauerei an der UdK Berlin. Er hat viel ausprobiert, Restaurieren, Kopieren, frei gearbeitet. Wir begleiten ihn bei einer Einführung in die Steinwerkstatt der Hochschule und sprechen über Steine, Körpergedächtnis und Ungewissheit.
Bildhauerei ist eine „langsame“ Kunst, mit sehr eigenen Denkstrukturen...
Hier wird eine skulpturale Denkweise vermittelt: Da ist ein Steinblock, man schlägt etwas weg, und so erzeugt man ein Bild. Schon wie Stein abgebaut, aus einem Berg herausgeschnitten wird, ist ein skulpturaler Prozess. Arbeitet man mit Stein, bedeutet es, man wird einen langen Zeitraum mit einem Objekt beschäftigt sein. Das ist eine sehr meditative und repetitive Arbeitsweise. Und man arbeitet mit sehr einfachen Mitteln, mit Hammer und Meißel, ein bisschen wie in der Steinzeit. So werden viele Methoden vermittelt, die entweder schon vergessen oder von Maschinen übernommen worden sind; man lernt zu improvisieren, mit Tricks zu arbeiten.
Steine haben unterschiedliche Härten, Texturen. Welche Steine sind wofür geeignet? Liegt es in der künstlerischen oder in der baulichen Entscheidung?
Der erste Schritt ist die Erfahrung, wie sich Stein überhaupt anfühlt.
Den Studierenden, die sich für Stein interessieren, aber noch kein Gefühl dafür haben, gebe ich Hammer und Meißel, und sie können einfach losklopfen auf den Probesteinen. Das sind roter Sandstein und Granit. Und es ist kein Problem, wenn jemand dann nicht weitermachen will, nur muss es eine ehrliche Entscheidung sein, dafür oder dagegen. Es ist sehr wichtig, dass man es mag, denn wenn nicht, ist es nicht nur Zeitverschwendung. Das Material würde verschwendet, sehr wertvolles Material. Es ist ja ein Stück unseres Planeten, mit dem wir arbeiten.
Respekt vor dem Material …
Ja, das wollen wir auch so. Die Einführung ist sehr wichtig, damit man versteht, womit man es zu tun hat und weiß, dass es nicht zu leicht werden wird. Ich möchte, dass diejenigen, die sich dafür entscheiden, über eine gewisse Hürde müssen und nicht leichtfertig alles wieder wegwerfen. Die Steine, vor allem Marmor, sind sehr teuer. Ein Budget für Material haben wir nicht. Hier wird mit Schenkungen oder Fundstücken aus Steinbrüchen in Europa gearbeitet.
Die Studierenden sollten sich also einige Male an den Steinen ausprobieren, damit arbeiten. So finden sie relativ schnell heraus, ob das etwas für sie ist, ob ihre künstlerische Idee sich verändert, wenn sie das Material berühren. Und wenn sie dann das Gefühl haben, sie wollen wiederkommen, sollten sie ihr Projekt beginnen. Ein kleines Stein-Projekt wird mindestens 60 bis 100 Arbeitsstunden brauchen, das Experimentieren inklusive. Der Erfolg ist dabei nicht entscheidend, die Erfahrung ist es und die Zeit, die man bereit ist, dafür zu investieren.
Stein ist nicht gleich Stein. Manche arbeiten gern im harten Stein, andere lieber im weichen, das ist ganz individuell. Jeder hat eine andere Vorstellung, in welche Richtung es gehen soll. Das ist dann natürlich auch abhängig vom Material. Manche lassen sich vom Material inspirieren, andere haben ein Konzept und suchen dafür das richtige Material. Das ist ja auch nicht so leicht, das herauszufinden. Die Studierenden lernen, während sie mit dem Stein arbeiten. Sie sind auch diejenigen, die die Fragen stellen sollen. Es ist gut, wenn gemeinsam in der Werkstatt gearbeitet wird, gerade wenn sie einen unterschiedlichen Erfahrungsstand haben.
Die Fragen sollen von den Studierenden kommen. Aber woher weiß man, was man fragen soll?
Der Einstieg ist wichtig, sie sollen einfach kommen, ohne eine fertige Idee, frei losklopfen, dann entsteht auch schon etwas durch die Berührung mit dem Material. Man versteht, was möglich ist, wie es sich anfühlt, und so wächst auch langsam die Idee. Selbst wenn man Modelle macht oder sich vorbereitet, das kann sich immer wieder ändern durch die Erfahrungen, die man macht. Die Offenheit ist wichtig. Manche Materialien haben Risse oder andere Schichtungen. Man kann dagegen arbeiten oder damit. So etwas kann man nicht unbedingt planen. Würde man es tun, dann würde man nur beim Handwerk bleiben. Wenn jemand keine Idee hat und nur Grundlagen möchte, dann schöpfe ich aus dem, was ich im Handwerk gelernt habe. Es gibt dann eine ganz einfache Reihenfolge: Man lernt erst einmal, Flächen zu hauen und einen Block herzustellen, dadurch lernt man die Werkzeuge kennen. Dann kann man ein Modell machen, also plastisch arbeiten und erst in Ton, dann in Gips schnitzen – dadurch lernt man das Skulpturale.
Man lernt in der Begegnung und im Austausch – mit dem Material wie auch untereinander.
Es ist wichtig und immer überraschend, zu welchen Ergebnissen die Studierenden kommen, wenn sie die Freiheit haben, sich das Projekt auszudenken, anders, als wenn ich vorschreiben würde, alle müssen das Gleiche tun. Das wäre eine handwerkliche Herangehensweise. Dafür bräuchte man eine Riesenhalle, viele Werkzeuge und viel Material. Blöcke, die alle gleich sind. Hier in der Werkstatt begegnen sich die Studierenden, helfen sich gegenseitig, lernen dadurch sehr unterschiedlich,
inspirieren einander. Das ist im Grunde eine Methode, mit der wir versuchen, mit dem wenigen vorhandenen Platz das Maximale herauszuholen.
Was passiert mit Fehlern? Es gibt kein „undo“ bei einem Stein …
Fehler bringen einen auf neue Gedanken oder zu anderen Lösungen. Es ist erst einmal schmerzhaft, wenn mal eine Ecke abfliegt, aber genau das ist manchmal das Abenteuer, dass man dadurch etwas Neues findet.
Mit welchen Steinen arbeiten Sie am liebsten?
Ich mag dunkle schwarze Steine, Basalt vielleicht. Und mir gefällt ein längerer Arbeitsprozess. Die Formfindung hat eine andere Qualität, wenn man gezwungen ist, langsam und viel zu beobachten. Die Entscheidungsfindung ist oft sehr überraschend, gerade weil der Prozess so langsam ist. Das Material führt in gewisser Weise irgendwohin, und man entdeckt etwas, was man vorher nicht gewusst oder geplant hat.
Wie schafft man zum Beispiel eine glatte Oberfläche?
Ägyptische Skulpturen oder auch Obelisken, mehr als 3000 Jahre alt, haben diese absolute Perfektion. Die Ägypter waren Meister darin, mit einem Spitzeisen zu formen und immer feiner zu werden dabei. Das heißt, zuerst arbeitet man mit einem großen Hammer, dann werden die Hämmer kleiner, die Schlagfrequenz wird höher und das Netz der Punkte, die man wegschlägt, enger. Das Spitzeisen ist das universellste Werkzeug, damit kann man jede Form machen, Flächen wie auch Vertiefungen, konkav, konvex, alles. Dann wurde mit anderen Steinen geglättet. Später wurden andere Werkzeuge entwickelt, sie waren aber wie Schablonen – für Flächen oder für Ecken oder zum Glätten. Aber selbst beim Schleifen gehen wieder Kanten verloren und das wird wieder rund. Die Fähigkeit, mit den Werkzeugen zu glätten und ganz nahe an die Form heranzugehen, ist die eigentliche Meisterschaft.
Der Schleifprozess ist sehr langsam. Der härteste Stein, Diamant in unterschiedlichen Körnungen, wird dafür verwendet. Zunächst fängt man mit groben Stücken an, die auf Trägermaterialien aufgeklebt werden, dann wird es immer feiner, mit kleineren Stücken bis zur Politur am Ende. Hierbei wird der glatte Stein mit Mehl, Wasser und Filz abgerieben. Polieren ist extrem zeitaufwendig und braucht sehr viel Geduld, man ist oft wochenlang nur damit beschäftigt. Die Einhaltung einer bestimmten Reihenfolge ist wichtig, wie auch, nicht zu früh auf die jeweils feinere Stufe überzugehen. Fehler der Politur tauchen erst ein paar Stufen später wieder auf, und die kann man nur noch beseitigen, indem man wieder rückwärts geht. Das ist sehr faszinierend. Viele möchten es gleich lernen – wie mache ich den Stein glatt –, aber eigentlich ist genau das eine der größten Geduldsübungen.
Bildhauerei ist extrem körperlich.
Genau. Gerade deswegen fasziniert das, weil man eben durch eine Bewegung etwas macht, mit dem ganzen Körper etwas lernt. Die Formen, die man macht, speichert man in seinem Körper ab dadurch, dass man sie Schlag für Schlag ertastet. Das ist das Tolle, man hat sie dann inkorporiert, das in den Körper hereingeholt, was man sich durch Bewegung ertastet hat. Diese Erfahrungen sind auch dann noch da, wenn der Stein weg ist.
Wie ist dann der Lernprozess?
Wir lernen, unsere Körper lernen besser in kurzen Abständen. Einmal die Woche geht gerade noch so, aber wenn man nur alle zwei Wochen kommt, hat man das Gefühl, ständig von vorn zu beginnen. Es ist wie ein Musikinstrument lernen, etwas Motorisches. Mit dem Werkzeug und durch die Bewegung bringt man alles in Verbindung, die Hände und die Augen – es ist ein Kalibrierungsprozess. Mit kürzeren Abständen hat man einen besseren Lernerfolg. Längere Abstände können sehr frustrierend sein. Man kann manches nicht an einem einzigen Tag lernen. Es ist wichtig, dass man ausprobiert. Man entwickelt sich ständig weiter, auch im Schlaf. Versucht man etwas und es gelingt nicht, sollte man nicht den ganzen Tag probieren und sich quälen, sondern eine Pause machen und am nächsten Tag wiederkommen. Dann ist man meist einen Schritt weiter. So funktioniert unser Gehirn. Seit ich das für mich herausgefunden habe, bin ich viel gelassener und auch mutiger, etwas zu probieren, ohne zu verzweifeln, wenn es erst einmal nicht funktioniert und das Experiment scheitert.
Das klingt, als würden Sie über Tanzen sprechen. Da ist es genauso.
Ja, es ist auch eine räumliche Denkweise und man arbeitet mit dem ganzen Körper. Eine interessante Erfahrung habe ich mal bei einem Filmdreh gemacht: Ich sollte einem Schauspieler zeigen, wie es aussieht, wenn man ein Bildhauer ist. Ich habe aber gemerkt, er hatte Angst. Zuerst habe ich nicht verstanden warum. Er hatte Angst, sich
auf die Finger zu klopfen. Ich bin einige Schritte von ihm weggegangen und habe seinen ganzen Körper beobachtet – er hatte die Schultern angespannt. „Relax your shoulders“, habe ich ihm dann gesagt. Und er: „Like boxing?“ Ich: „Yes, exactly!“ Dann hat er die Schultern entspannt und sofort sah es richtig aus. Die Szene wurde gedreht, die Klappe fiel, und er hat immer weiter geklopft.
Man lernt auch viel durch Kopieren – indem man dadurch versteht, wie jemand gearbeitet und gedacht hat. Wie ist es in der Bildhauerei?
Das ist so eine Sache mit dem Kopieren, weil es sehr komplexe Prozesse sind, wie eine Skulptur entsteht. Da steckt so viel Wissen darüber
drin, mit welchem Material man sie überhaupt machen kann. Aber auf jeden Fall lernt man – das ist dieses Arbeiten vom Modell in Ton, dann wird es in Gips kopiert und dann wird es mit Kopiertechniken, mit Messtechniken übertragen in einen Stein. Das ist aber der Schablonengedanke, der eigentlich am Material vorbeigeht. Das heißt, die Form war vorher woanders da und wird wie eine Schablone in den Stein übertragen.
Ich habe überlegt, ob man mit Kopieren auch kreativ umgehen kann. Man könnte Formen miteinander mischen – das ist davon angeregt, was mit Rechnern heute alles möglich ist, zum Beispiel, dass man etwas schablonenartig hereinfräst in ein fremdes Material. Für die Werkstatt habe ich Messgeräte besorgt – das sind Punktierarme, die auf das Modell eingestellt werden. Man hängt sie über den Stein und dann werden mit einer Nadel bestimmte Punkte vom Modell auf dem Stein direkt markiert. So entsteht ein Netz von Punkten, die später miteinander verbunden werden – also die Schablone, das, was in den Stein übertragen wird. Das ist schon speziell und handwerklich.
In meiner Gesellenzeit als Steinmetz habe ich für andere Bildhauer den Stein kopiert, da habe ich ein bisschen eine Vorstellung davon bekommen, wie das ist. Um das Material aber zu verstehen, empfehle ich erst einmal andere Herangehensweisen. Was wir in kurzer Zeit vermitteln, ist eigentlich das direkte Gefühl: Womit habe ich es zu tun? Meistens springen viele Leute da schon ab, weil es ein längerer Prozess ist. Am Anfang steht das Modellieren. Niemand kann direkt im Stein eine Form entwickeln. Das sind Formen, die kommen von woanders, die werden dann nur in den Stein kopiert, wenn sie gut sind. Und auch da muss man eine bestimmte Reihenfolge einhalten, damit nicht irgendwo an einer Stelle etwas zu früh abbricht. Das ist ein sehr komplexer planerischer Prozess. Eigentlich wäre es ein ganzes Hauptstudium, sich nur mit dem Material zu beschäftigen.
In Stein zu arbeiten, ist fast eine Philosophie ...
Eine große Konzentration auf ein Objekt, viel Zeitaufwand. Es gibt zwei unterschiedliche Haltungen: Eine konzeptionelle – man denkt sich vorher etwas aus und besorgt sich dann das Material. Die andere ist, einen Block zu finden, zu betrachten und von da auszugehen, die Idee zu entwickeln. Das Interessante dabei ist, dass es oft schon die Proportionen sind, die einen auf einen Gedanken bringen. Ich finde es immer gut, wenn die Studierenden sich selber überraschen, offen sind. Das eine ist arbeiten am Reißbrett, man weiß vorher schon, was am Ende herauskommt, und das andere ist die Reise ins Ungewisse.
Im Stein entdecken.
Sich etwas aus dem Stein herausholen, von dem man nicht weiß, dass es da drin ist. Und in einem selbst auch. Dass die erste Idee, die man hat, wenn man einen Block sieht, am Ende nicht dazu passt. Und dann sucht man sich einen anderen Block.
Axel Haagen ist Bildhauer und Leiter der Steinwerkstatt. Das Gespräch führten Marina Dafova und Claudia Assmann. Text: Marina Dafova