DAS MATERIAL HAT MICH GEFORMT: IN DER KERAMIKWERKSTATT MIT DANIJELA PIVASEVIC-TENNER
Das Arbeiten mit Ton gehört zu den ältesten Kulturtechniken. Deine Arbeiten sind zum Teil raumgreifende enorme Installationen, sehr körperlich und zugleich sehr taktil. Sie heben Keramik aus jedem funktionalen Zusammenhang und geben dem Material eine neue künstlerische Identität. Warum interessiert dich Ton?
Das Material fasziniert mich. Es ist erdig, hat eine starke Verbindung zur Natur. Und es ist ein transformatives Material. Von der Idee über das Modellieren bis zum fertigen Werk durchlaufe ich sehr unterschiedliche Prozesse, die nichts miteinander zu tun haben. In jeder Phase muss ich also ganz anders denken, und das alles macht auch etwas mit mir. Klar, es gibt Geräte und Maschinen, die beim Arbeiten helfen. Aber: Für mich sind meine Hände mein Werkzeug. Ganz simpel. Das ist meine Philosophie. Zu Symposien oder Workshops zum Beispiel reisen meine Kollegen mit Koffern voll mit ihren Lieblingswerkzeugen an, ich komme ohne alles, weil ich dann total frei im Kopf und im Geist bin. Mich würde all das beschränken. Ich komme und schaue, welches Material da ist. Jede Erde, jeder Ton, jede Masse ist etwas anderes. Und so fange ich immer ganz neu an, von vorn, jedesmal ist es ein Kennenlernen des Materials im Prozess. Ich bin jetzt seit 20 Jahren aktive Künstlerin und ich kann nicht sagen, dass ich mit dem Material fertig bin.
Du arbeitest mit lokalen, ortsspezifischen Materialien. Hier sehen wir eine vertrocknete Wüsten-Wohnlandschaft …
in Indien. Das erste übergossene Wohnzimmer habe ich in Hamburg gemacht, später auch in Serbien. Daraufhin wurde ich zur ersten indischen Keramik-Triennale in Rajasthan eingeladen. Mit nur neun Künstlern aus der ganzen Welt. Für dieses Projekt habe ich verschiedene Menschen gebeten, mir aussortierte Objekte zu bringen und mir eine Geschichte dazu zu erzählen. In Deutschland konnte ich mich gar nicht retten vor Möbeln – wir sind eine Konsumgesellschaft, wir haben alles doppelt, dreifach. Gegenstände, die man irgendwann gekauft hat, behält man für sich – vielleicht kann man sie ja irgendwann brauchen. Und dann komme ich mit dem Thema nach Indien. Deswegen hatten sie mich eingeladen. Ich kann drei Wochen vor Ort arbeiten und gebe mir eine Woche für die Suchaktion. Und sehe: Es funktioniert nicht, ich bekomme nichts. Durch das Kastensystem gibt es immer jemanden in den Familien, der etwas braucht. Und so werden die Gegenstände immer weitergegeben. Sie sind immer in Gebrauch. Für mich mit meiner Philosophie ist hier gar kein Platz! Ich probiere alles Mögliche, verzweifle langsam und will schon ein anderes Projekt entwickeln, und dann öffnet sich doch eine Tür. Ich bekomme einige Dinge, die Leute wollen sie aber nach der Ausstellung wieder haben. Und dann fange ich an, direkt im Museum zu arbeiten, performativ. Die Masse, das Material habe ich noch nie ausprobiert. Rajasthan – an der Grenze zu Pakistan – liegt in einer Wüste, die Böden sind sandig, und es ist August, Regenzeit. Soll ich mich jetzt ärgern? Ich arbeite einfach mit dem Material, das ich habe. Es war eine total tolle neue Erfahrung.
Jeder Schritt im Prozess verlangt, dass man anders denkt. Es gibt also ganz klare Regeln, eine Kette von Regeln. Und diese Regeln muss man kennen, um sie zu brechen.
Am Anfang hast du eine Idee und dann schaust du, welches Material am besten dazu passt, Porzellan, Steingutmasse … Das Material, das du wählst, bestimmt, welche Schritte und welche Prozesse notwendig sind. So konzipiere ich auch den Unterricht. Ich vermittle ein sehr breites Allgemeinwissen, auch wenn man später nicht alles brauchen wird. Ich habe Diplomkeramik studiert, fünf Jahre lang. Damals war das eine ganz andere Art von Studium. Wir haben wirklich alles gehabt, von Produktdesign bis freie Keramik, Kunstgeschichte, Zeichnen, Modellieren, auch Chemie. Manchmal habe ich gedacht, warum soll ich jetzt Chemie lernen? Aber später war ich dankbar über dieses Wissen. Es ist schon gut, die Regeln zu kennen und das weitergeben zu können.
Der kreative Prozess und das daraus entstehende Kunstwerk sind genauso transformativ wie das Material.
Ja. Ich versuche, den Studierenden diese Philosophie zu vermitteln. Ich lehre die Techniken und probiere immer wieder, die Studierenden zu sensibilisieren, neue Wege zu finden. Brennen zum Beispiel bedeutet nichts anderes, als etwas für immer behalten zu wollen. Das gehört irgendwie zu unserer Gesellschaft, zu Konsum, zu Besitz. Aber eine gute Idee ist nicht davon abhängig, dass sie unbedingt „gebrannt“ wird. Vielleicht ist es manchmal besser, dass etwas nur temporär ist. Wenn man so denkt, ist man auch freier in der künstlerischen Arbeit. Die Frage ist dann: Was hat man wirklich zu sagen?
Ton ist ungebrannt, Keramik ist gebrannt. Ich nenne das konservieren, etwas ist für immer da, wie all die Artefakte alter Kulturen. Das ist toll, aber für mich als Künstlerin ist es wichtig, mit dem Material bis zum letzten Moment arbeiten zu können und dass ich die Natur nicht mehr als notwendig zerstöre. Brennprozesse verbrauchen einfach sehr viele Ressourcen. Meine Großinstallationen sind deswegen meist nicht gebrannt. Und ich habe diese Masse, die ich immer wieder verwenden kann. Das heißt, wenn die Projekte fertig sind, zeige ich sie nur einmal. Danach kann ich alles aufarbeiten und noch einmal verwenden.
Porzellan hat mehr Silikatglasanteil, ist deswegen durchsichtiger, feiner. Edler als Ton, der auch andere Rohstoffe enthält, die ihn stabil und robuster machen. Dann macht es auch einen Unterschied, welche Art von Glasur verwendet wird, dazu gehört ein ziemlich komplexes Wissen. Der erste Grundkurs gibt einen Überblick. Wenn die Studierenden dann in ihre künstlerische Praxis gehen und ihre Pro-jekte realisieren wollen, überlegen wir zusammen: Was willst du machen, was willst du sagen, welches Material unterstützt am besten deine Idee? Welche Techniken brauchst du dafür? Wollte man Drehen, würde man sechs Monate erst einmal nur zum Lernen brauchen, und dann könnte man sein Projekt umsetzen. Keramik ist ein langer Prozess. Man braucht viel Geduld, denn von der ersten Idee bis zur Realisierung liegt viel Zeit dazwischen. Gleich am Anfang frage ich deshalb die Studierenden: Wer hat keine Geduld? Ist es dann wirklich das richtige Material? Man muss auch eine hohe Frustrationstoleranz haben. Trocknen zum Beispiel dauert lange, das darf man auch nicht beschleunigen. Man hat also sehr viel Zeit bis zur nächsten Phase. Dann wird gebrannt, dann ist das Objekt bereit für die Glasur, für Dekoration. Das alles kann manchmal über drei, manchmal über sechs Monate gehen. Und es gibt diese Frustrationsmomente: Du hast dir etwas Bestimmtes vorgestellt, und wenn du dann den Ofen öffnest und die Glasur ganz anders aussieht – wie reagierst du? Auf diesen Moment bereite ich die Leute vor, dass sie nicht enttäuscht sind. Erst einmal herausnehmen, schauen, ob alles heil ist. Und dann das Objekt neu kennenlernen. Über Monate hat man es jeden Tag bearbeitet, es wachsen gesehen. Aber dann plötzlich – ist es etwas ganz anderes geworden.
Es hat ein Eigenleben …
Und das ist bei Keramik extrem. Das Material hat seinen eigenen Kopf. Und wir müssen irgendwie damit arbeiten. Wir können nicht gegen das Material arbeiten. Das kann sehr frustrie-rend sein. Du befolgst so viele Regeln und trotzdem kann es sein, dass am Ende etwas völlig anderes herauskommt. Und dann? Du kannst dich ärgern, oder du kannst einfach damit leben. Das unterscheidet sich je nach Typ.
Der Prozess bringt dir also bei, offen und neugierig zu sein, gelas-sen: Du gibst ihm seinen Raum und freust dich über das Resultat, wie immer es ist.
Genau, und eben das musst du mit Keramik lernen: los-zulassen. Sonst ist das ein Problem. Mit Holz oder Metall kannst du genauer kontrollieren, was herauskommt. Hier aber gibst du dein Bestes. Und dann kommt am Ende doch etwas anderes heraus: Der Ofen war zu heiß und das Objekt hat sich verformt, oder die Farbe hat sich verändert, irgendeine chemische Reaktion beim Brennen hat deine Glasur beeinflusst. Basiswissen und Erfahrungen sind gerade hier essenziell.
Man könnte sagen, Keramik ist eine zeitbasierte Kunstform, natürlich sehr anders als Film oder Musik. Und eine Philosophie …
Genau. Zum Beispiel eine Technik wie die Töpferscheibe ist extrem meditativ. Die Zeitrechnung hier in der Werkstatt ist anders. Und mit ganz klaren eigenen Strukturen, Techniken und Regeln. Das versuche ich, den Studierenden zu vermitteln. Dass sie lernen, auf das Material zu hören, dass sie annehmen, was das Material ihnen sagt, weil es auch sehr viel zurückgibt. Es ist ein guter Arbeitspartner. Das habe ich durch meine Praxis gelernt. Schnell etwas machen – das will dieses Material nicht. Man muss sich also selbst disziplinieren, sich selbst fragen: Warum bin ich ungeduldig? Warum will ich etwas sofort? Das ist auch eine philosophische Auseinandersetzung mit dem eigenen Sein, die auf einer anderen Ebene stattfindet. Ich lebe das. Ton hat aus mir einen an-deren Menschen gemacht. Natürlich haben mich meine Eltern beeinflusst, auch mein Umfeld, ich selbst habe an mir gearbeitet. Ton hat mich aber richtig verändert als Mensch. Und ich bin sehr dankbar dafür. Wo sonst kriegst du das?
Du bist Werkstattleiterin und auch selbst aktive Künstlerin. Das ist eine stimulierende Herangehensweise an den kreativen Prozess für die Studierenden und auch für dich.
Es geht mir um eine konkrete Praxis mit dem Material, um dieses Taktile, darum, das Material zu spüren, sich zum Material verhalten zu müssen. Und ich merke, dass es den Studierenden gut tut, wenn sie sich wirklich darauf einlassen und es in ihre Kunst oder in ihr Leben zu implementieren versuchen. Ich hoffe, dass sie das spüren können. Ich habe 50 bis 80 Studierende in der Woche, da sind so viele Ideen, und je mehr wir uns austauschen, desto besser kann ich sie unterstützen.
Seit ich hier bin, habe ich den Unterricht neu konzipiert. Wir erarbeiten hier unser eigenes Materialarchiv, wir dokumentieren die Rezepturen und teilen sie Open Source mit anderen Institutionen, Universitäten und Einzelpersonen. Die Glasurentwicklung ist eine Kunst für sich. Da geht es um viel mehr als nur um eine Oberfläche. Das eröffnet komplett neue Horizonte für die Studierenden, und man merkt, dass sie jetzt auch anders denken. Und wenn sie kommen, um ihre Projekte zu besprechen, sprechen wir auch sehr ausführlich über die Glasuren, wie bestimmte Materialien miteinander reagieren, welche Farben, welche Farbtiefen, welche Oberflächen möglich sind. Auch hier ist erneut Geduld und Experimentierfreude gefragt.
Oder nehmen wir Ton als ungebrannte Keramik. In meiner künstleri-schen Praxis habe ich mich schon sehr früh entschlossen, ganz bewusst nachhaltig und ressourcenschonend zu arbeiten. Das habe ich auch in die Lehre integriert. Es wird von den Studierenden gut angenommen, die Masse auch zu recyceln und mit demselben Material immer wieder etwas Neues konzipieren zu können. Das wird immer mehr zum Bei-spiel in visuellen, performativen Sound- und Videoarbeiten genutzt. Ich glaube, dass Veränderungen mit kleinen Schritten zu schaffen sind, nicht mit großen radikalen, das ist utopisch.
Gespräch und Text: Marina Dafova
Danijela Pivasevic-Tenner ist Künstlerin und Leiterin der Keramikwerkstatt.
www.dada-art.net
@d_pivasevic_tenner