Don't touch!

Quelle: „Galaxy“, Foto: Raphaël Fischer-Dieskau

Bei der Präsentation meines Abschlussprojekts „The Elephant in the Room“ beim Rundgang im Sommer habe ich in der Begegnung mit dem Publikum zwei bemerkenswerte Beobachtungen gemacht. Lassen Sie mich zunächst meine Arbeit vorstellen: Der Ausdruck „der Elefant im Zimmer“ bezieht sich auf ein wichtiges Thema, eine bedeutende Frage oder eine kontroverse Angelegenheit, von der jeder weiß, die aber niemand erwähnen oder diskutieren möchte, weil sie Unbehagen bereitet. Der Elefant ist eine Metapher für das, worüber man nicht sprechen will. Mein Projekt ist eine Serie aus mehreren Einzelwerken, in denen ich mich mit der körperlichen und geistigen Arbeit von Frauen beschäftige, die sehr oft unsichtbar bleibt. „Galaxy“ zeigt einen frei stehenden rissigen Baumstamm, mit Messingdraht dicht vernäht, versteckt und aus verschiedenen Winkeln sichtbar. Die Naht hält das Holz fest zusammen, ist aber nicht sofort erkennbar. Ähnlich ist die Arbeit von Frauen, die nicht selten in mehreren Berufen gleichzeitig tätig sind, ein wesentlicher Bestandteil des stabilen Funktionierens der Gesellschaft, und doch ist sie oft unbezahlt, wird nicht respektiert oder sogar ignoriert. 


Viele Menschen waren vom Objekt angezogen und berührten die glatte Oberfläche instinktiv. Während der drei Tage stand ich fast immer neben meinen Arbeiten, habe Fragen beantwortet und die Menschen daran erinnert, die Objekte nicht anzufassen. Dabei habe ich ein interessantes Phänomen beobachtet: Wird eine Frau von mir darauf aufmerksam gemacht, nichts anzufassen, wird sie sich bei mir entschuldigen und sehr selten wird sie schweigen. Bei Männern, die von mir ermahnt werden, wehrt sich etwa ein Drittel, und ein großer Teil der restlichen zwei Drittel schweigt. 


Lassen Sie mich eine denkwürdige Geschichte erzählen: Es war der letzte Tag der Ausstellung. Ich erinnerte das Publikum mehr oder weniger mechanisch daran, meine Arbeit nicht zu berühren, als ein Mann auf mich zukam – ein vornehm aussehender Herr mittleren Alters. Er sprach begeistert über meine Arbeit, und ich war sehr glücklich und dankbar. Und dann schlug er vor, dass ich den Leuten nicht sagen solle, sie nicht zu berühren, sondern Warnschilder aufstellen solle. Ich sagte, nein, das würde die Schönheit des Werks und die Offenheit der Situation in der Ausstellung zerstören. Deshalb stehe ich dane-ben und tue es selbst. Dieses „Nein“ machte den freundlichen Herrn so wütend, dass sein Gesicht rot anlief, verärgert, dass ich seinen Rat nicht befolgen wollte. Ich hingegen sagte ihm höflich und ganz ruhig, dass ich das Recht habe, Ratschläge anzunehmen oder nicht, was ihn noch wütender machte, und er mich verbal angriff, weil ich nicht auf seinen Rat hörte, denn auch wenn es meine Arbeit sei, hätte ich nicht das Recht, sie vollständig zu kontrollieren. Ich erinnerte ihn daran, dass in jedem Museum oder in jeder Galerie ein Kunstwerk nicht ohne besondere Aufforderung berührt werden kann, worauf er erwiderte, meine Arbeit sei doch schön, warum dürfe sie nicht berührt werden? Ich fragte ihn, ob er jede schöne Frau berühren würde. Er schwieg ein paar Sekunden lang, und ich glaube nicht, dass unser weiser Freund jemals darüber nachgedacht hat. Er zwang mich weiter mit ihm zu sprechen, das Gespräch dauerte wohl ganze zwanzig Minuten, in de-nen er mich damit bedrängte, was ich am besten tun solle und wie dankbar er selbst für Ratschläge wäre. Das war mir sehr unangenehm, und ich war überrascht, weil ich einer solchen Haltung bislang nicht an der Kunsthochschule begegnet war. 

Quelle: „Thirty-six Lemon Bonbons“, Ausschnitt Foto: Raphaël Fischer-Dieskau

In meiner anderen Arbeit „Thirty-six Lemon Bonbons“ sind verschrumpelte und schimmelige Limetten mit einer dicken Zuckerschicht umhüllt, die auf die unsichtbare emotionale Arbeit der Frauen anspielt. Während der Ausstellung schmolz das Werk langsam aufgrund des Zuckers als Rohmaterial, und viele Leute liebten es, die Limetten aus Neugierde zu berühren. Ein Mann, jung und sehr cool, fasste sie direkt vor mir an und war sehr wütend, als ich auch ihn ermahnte, die Arbeit nicht zu berühren. „Aber ich habe sie gar nicht angefasst“, antwortete er verärgert. Auch das war kein Einzelfall, viele Männer haben die Verantwortung von sich gewiesen oder sogar mir die Schuld gegeben, dass ich sie daran erinnert habe.
Das Schockierendste geschah in der letzten Nacht, als ein Wachmann, ein junger Mann, der unsere Arbeiten bewachen sollte, kam, um mit mir zu plaudern und die Bedeutung meiner Arbeit zu erfahren. Er berührte sie während meiner Erklärung immer wieder, ich warnte ihn mehrmals, und er lachte, vielleicht dachte er, ich würde mit ihm flirten, und schließlich zerstörte er meine Arbeit – schmierte mir den geschmolzenen Zucker direkt unter die Nase! Ich war sehr wütend und hilflos, und als ich ihn anschrie, erkannte er den Ernst der Situation und lief schnell weg. Ich schaute auf mein Werk, und der Elefant in meinem Werk schien vor mir tief zu schlafen, so riesig war er.


Ich weiß, diese Geschichten sind vielleicht ein bisschen schwer zu ertragen und verstörend, aber ich glaube, solange wir bereit sind, uns den Problemen zu stellen und sie zu lösen, können wir uns auf eine Zukunft freuen.


Sherry Wang ist Meisterschülerin und Absolventin in der Klasse 
von Karsten Konrad, Professor für Bildhauerei und Multimedia. 
Sie ist Preisträgerin der Stiftung Ulrich und Burga Knispel für Malerei und Grafik. @sherrywang1994; @rfdieskau