Touch!

Quelle: Foto: Luise Sandberger

Beim diesjährigen Rundgang habe ich eine Skulptur ausgestellt, die von den Besucher*innen vorsichtig berührt werden durfte. Die Innenseite besteht aus gebrannter glasierter Keramik, während die Außenseite von einer dicken Schicht ungebranntem Ton umhüllt ist. Um den Ton feucht zu halten, habe ich ihn etwa alle 30 Minuten mit einer Sprühflasche befeuchtet. Aus diesem Grund hielt ich mich viel im Raum 87 auf, wo die Skulptur ausgestellt war. Wenn jemand länger vor der Arbeit verweilte, sprach ich die Person oft an und lud sie ein, die Skulptur auch zu berühren. Aus solchen Momenten entwickelten sich viele interessante und zum Teil auch lange Gespräche. Einige erzählten von ihren eigenen Erfahrungen mit Ton. Andere fragten nach dem Material, wie ich es feucht halte und was nach dem Rundgang mit dem Ton passiert. Ich wurde auch nach der Bedeutung und dem Hintergrund meiner Arbeit gefragt. Dabei habe ich festgestellt, dass es ein sehr wichtiger Teil meines Arbeitsprozesses ist, diese Gespräche zu führen und von meinem Bezug zum Material Ton und meinen Beweggründen und inhaltlichen Inspirationen zu erzählen. Etwa über die Ideen und die Arbeit des katalanischen Psychiaters François Tosquelles (1912-1994). Er beobachtete bei seinen Patienten einen schöpferischen Schub nach einer als apokalyptisch wahrgenommenen Krise. In meiner Arbeit, die sich oft in Spannungsverhältnissen zwischen Hoffnung und Skepsis, Brutalität und Schönheit oder Fragilität und Beständigkeit bewegt, habe ich dieselbe Beobachtung gemacht.


Für mich war es spannend und bereichernd, die unterschiedlichen Perspektiven und die persönlichen Bezüge zu meiner Arbeit zu hören. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir die Begegnungen mit einer Psychoanalytikerin, einem Kunstlehrer, einer Großmutter und einer Person mit einer chronischen psychischen Erkrankung.
Rückblickend wundere ich mich, dass es für mich zunächst eine große Herausforderung war, die Entscheidung zu treffen, die Menschen aktiv einzuladen, den ungebrannten Ton zu berühren und meine Arbeit so dem Publikum auszusetzen. Der Gedanke, dass jemand meine Skulptur berühren, verändern oder gar zerstören könnte, beschäftigte mich lange. Ich habe viel mit Kommiliton*innen und Lehrenden darüber diskutiert, ob das der richtige Weg für mich sein könnte.


Beim Rundgang war es dann eine sehr schöne Erfahrung, zu beobachten, wie liebevoll und zärtlich die Menschen mit meiner Skulptur umgingen. Meistens berührten sie sie erst ganz zurückhaltend und vorsichtig, nur mit der Fingerspitze, und suchten oft noch einen fragenden Blickkontakt, um sicherzugehen, ob sie das wirklich durften. Nach und nach fassten sie mehr Mut, legten die ganze Handfläche auf den Ton, spürten nach und bauten so ihre eigene Verbindung zum Material auf. Manchmal hatten die Berührungen fast etwas von einer Umarmung. Einige Besucher*innen erforschten den Klang der Skulptur, indem sie in die Öffnungen hinein sangen und summten. Andere hinterließen ihre Spuren, wie etwa eine Person, die mit ihrem Fingernagel kleine Striche in den Ton ritzte. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich dem Publikum sehr wohl trauen und zutrauen kann, verantwortungsvoll mit zerbrechlicher Kunst umzugehen, und dass dieses haptische Erleben des Materials für mich ein wichtiger Aspekt meiner Arbeit mit Ton ist.


Luise Sandberger studiert in der Klasse von Karsten Konrad, 
Professor für Bildhauerei und Multimedia. www.luise-sandberger.de, @luise_sandberger; www.rfdieskau.com, @rfdieskau