Ulrike Pennewitz über die Lithographie-Werkstatt von Steffen Tschesno und Alex Weise

Quelle: Foto: Alex Weise

Wer durch die Tür der Lithographiewerkstatt geht, wird nicht von kreativem
Chaos empfangen, eher von einem hellen funktionalen Raum.
Der Blick fällt auf ein schwarzes wandfüllendes Regal mit flachen, unterschiedlich
großen Steinen. Um diese Steine dreht sich alles bei der
Drucktechnik, die hier vermittelt wird: die Lithographie. Seit dem Jahr
2001 leitet Steffen Tschesno die Lithographiewerkstatt in der Hardenbergstraße,
seit 2018 gemeinsam mit Alex Weise. Der gebürtige Pankower
Tschesno wurde zum Offsetdrucker ausgebildet an der Ost-Berliner
Berufsschule „Rudi Arndt“. 1986 führte ihn die Aufarbeitung
des Nachlasses seines Großvaters, des Gebrauchsgraphikers und Plakatkünstlers
Klaus Wittkugel, an die Akademie der Künste zu Berlin. In
deren Lithographiewerkstatt am Pariser Platz erlernte er das Steindruckerhandwerk.
1993 gründete er schließlich seine eigene Werkstatt in
Pankow, die er bis heute aktiv betreibt. Die in Hildesheim geborene
Künstlerin und Steindruckerin Alex Weise, die neben Bildender Kunst
an der Düsseldorfer Kunstakademie auch Europäische und Ostasiatische
Kunstgeschichte, Judaistik und Evangelische Theologie in Heidelberg
studierte, erlernte die Technik der Lithographie beim Steindrucker Felix
Bauer und arbeitete in internationalen Werkstätten, bevor sie an
die UdK Berlin kam.
Die beiden Werkstattleiter geben geduldig Auskunft über Material,
Technik und den mehrstufigen Prozess. Am Anfang steht die sorgfältige
Bearbeitung des Steines. Es ist ein besonderer Stein: Solnhofener
Kalkstein. Um 1796 machte der Musiker und Erfinder der Lithographie
Alois Senefelder die ersten Versuche darauf; zunächst ging es ihm um
die Vervielfältigung von Partituren. Noten wurden bis dahin entweder
von Hand kopiert oder bei größeren Auflagen gestochen und im Tiefdruck
vervielfältigt. Senefelders Experimente erregten Aufmerksamkeit,
die Erfindung wurde patentiert und schnell entstand ein Netzwerk
von Werkstätten. Die Lithographie war eine bahnbrechende Erfindung,
mit der sich trotz der vielen Arbeitsschritte günstiger und schneller vervielfältigen
ließ. Es war seinerzeit nichts weniger als eine Medienrevolution.
„Für die illustrierte Zeitung hat die Lithographie ungefähr dieselbe
Bedeutung wie die Schnellpresse für den Textteil“, würdigt Egon
Friedell diese Drucktechnik in seiner „Kulturgeschichte der Neuzeit“
(1960). Lithograph oder Steindrucker war bis 1956 ein Ausbildungsberuf,
heute wird das Wissen vor allem über die künstlerische Lithographie
in den Werkstätten weitergegeben.
Nahezu alle, auch weltweit verwendeten Drucksteine stammen aus
Steinbrüchen bei Solnhofen im bayerischen Altmühltal, erklärt Weise.
Nur dort gibt es den fossilen, stark kohlesauren Kalkschiefer, dessen
Poren die Eigenschaft besitzen, Fett ebenso wie Wasser gleichermaßen
aufzunehmen. Das ist die Voraussetzung dafür, dass überhaupt
mit den Steinen gedruckt werden kann. Sie sind manchmal jahrzehntelang
in Gebrauch, führt Tschesno aus – ein wesentlicher Unterschied
zu Drucktechniken wie Radierung oder Holzschnitt, bei denen die
Druckplatten oder Druckstöcke in der Regel nur einmal bearbeitet
werden oder nur begrenzt wiederverwendbar sind. Dem Druck gehen
mindestens drei, mitunter mehrfach ausgeführte Schritte voraus: das
Beschleifen des Drucksteins, die Zeichnung oder auch die Bemalung
– also das Motiv, das gedruckt werden soll – und das Präparieren des
Druckbilds beim Ätzvorgang.
Beim Schleifen wird der Stein mit Wasser angefeuchtet und mit einem
speziellen Schleifsand bestreut. Mit einem kleinen Kalkschieferstein
und sorgfältigen kreisenden Bewegungen wird die spätere Druckfläche
bearbeitet, bis eine glatte, gleichmäßige und saubere Oberfläche
entsteht. Der Stein muss so weit abgeschliffen werden, bis das
vorherige Bild verschwunden ist, das heißt nicht nur die sichtbare
Druckfarbe, sondern auch das sogenannte Fettbild, das in den Stein
eingezogen ist. Wie viel das sein muss, hängt auch davon ab, womit
das Bild auf den Stein gebracht worden ist. Der nächste Schritt ist die
Zeichnung oder Bemalung des Steines. Es kann mit fetthaltiger Kreide
in Stift- oder Stäbchenform sowie mit Tusche mit Pinsel oder speziellen
Lithographiefedern gearbeitet werden. Man zeichnet oder malt
– spiegelverkehrt – direkt auf den Stein oder auf ein spezielles Umdruckpapier.
Aber grundsätzlich kann man mit allem, was Fett enthält,
auf dem Stein arbeiten, sogar mit Kugelschreiber, Filzstift oder
auch Airbrushpistole, erklärt Weise. Auf der geschliffenen und getrockneten
Steinoberfläche erfolgt nun ein chemischer Prozess: Das
fetthaltige Zeichenmaterial verbindet sich mit den Poren des Steines
und verfestigt sich. Damit kann dort, wo die Zeichnung ist, kein Wasser
mehr einziehen. Die unbearbeiteten Stellen können je nach Grad
der Verseifung weiterhin Wasser aufnehmen. Und hier machen die
Steinqualitäten einen Unterschied: Der graue Solnhofener Kalkschiefer
ist molekular dichter und liefert daher präzisere Druckergebnisse
als der sogenannte gelbe Stein. Er wird, bis auf wenige Ausnahmen,
für die künstlerische Lithographie eingesetzt.
Im nächsten Schritt kann das später zu druckende Bild beim Ätzvorgang
ganz fein und kontrolliert herausgearbeitet werden. Die offenen
Poren des Steines werden nun fettabstoßend präpariert mit einer speziellen
Mischung aus mit Wasser verdünnter Salpetersäure und Gummi
arabicum. Der Stein wird „programmiert“, damit er nur an den bezeichneten
Stellen die Druckfarbe annimmt. Nach der Ätzung muss der
Stein mindestens eine Nacht ruhen. Dann wird das Zeichenmaterial mit
Terpentin ausgewaschen und anschließend der Stein im Wechsel mit
Wasser gefeuchtet und mit Druckfarbe eingewalzt, bis das gezeichnete
Bild erscheint und wieder genauso klar ist wie die ursprüngliche
Zeichnung. Um das Druckbild für die Auflage stabil zu halten, wird
nun ein zweites Mal geätzt. Im Idealfall lässt man den Stein danach
noch einmal ruhen. Die Vorbereitung des Beschleifens bestimmt den
gesamten Prozess, erklärt Tschesno. Will man feine Striche, sensible
Linien, Valeurs oder die Anmutung einer pudrigen Kreidezeichnung
später auf das Büttenpapier drucken, braucht es einen sauberen, fettfreien
Stein und die Geduld, die chemischen Prozesse abzuwarten. Anders
als bei der Radierung wird bei der Lithographie nicht mit konkreten
Einwirkzeiten gearbeitet. Hier spielen andere Dinge eine Rolle,
etwa eine individuell auf den Fettgehalt der Zeichnung angepasste
Stärke der Ätzmischung. Auch die Temperaturen und die Luftfeuchtigkeit
beeinflussen den Prozess. So wirkt zum Beispiel Ätze bei Wärme
stärker, als wenn es kühl ist. Für den Druckvorgang ist eine Temperatur
von 17/18° C ideal und ein bisschen feuchte Luft. Spätestens ab 22°
C zerläuft das Druckbild. Steindruckereien in südlichen Ländern
sind nicht selten in Kellern zu finden, um bei einer gleichmäßigen Temperierung
und Luftfeuchtigkeit arbeiten zu können, erzählt Weise.
Auch der Vorgang des Einfärbens der Farbwalze erfordert viel Präzision
und Sorgfalt, denn nun zeigt sich, ob in den vorhergehenden Schritten
richtig gearbeitet wurde: Nur an den wasserabweisenden Stellen
bleibt die Druckfarbe haften. Das Einwalzen wird mehrfach wiederholt,
bis die Zeichnung ganz klar erscheint und das Papier aufgelegt und in
die Presse geschoben werden kann. Oft müssen mehrere Andrucke gemacht
werden, der erste Abzug ist immer grau, nach etwa vier Abzügen
baut sich das Bild schließlich auf. Und ab da kann man unbegrenzt
und sogar maschinell drucken. Das Papier wird nach dem Druck in der
Handpresse vom Stein abgezogen – und man hält eine Lithographie in
der Hand. Bei der klassischen Farblithographie wird für jede Farbe ein
eigener Stein vorbereitet. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten: entweder
das Prinzip der verlorenen Form, bei der man eine Farbe druckt,
den Stein schleift und die nächste Farbe zeichnet und druckt. Oder man
verwendet pro Farbe einen eigenen Stein, ähnlich dem Offsetdruck, bei
dem mit vier Farben das ganze Spektrum abgebildet werden kann.
Dass auf dem langen Weg mit seinen vielen Schritten und Wiederholungen
etwas falsch laufen kann, wird bei den Ausführungen der beiden
deutlich. Im Prozess kann tatsächlich auch korrigiert werden, aber
manchmal zerstört ein Ätzfehler die Zeichnung. Auch wenn aus „Atelierunfällen“
Neues und Gutes entstehen kann, kommt in der Lithographie
erst das Handwerk und dann das Experiment. Diese Technik zeigt
etwas sehr Grundlegendes über künstlerisches und gestalterisches Arbeiten:
Um Qualität zu erreichen, muss man sein Handwerkszeug beherrschen.
Und neugierig bleiben und sich entwickeln – ein Leben lang.

 

Steffen Tschesno und Alex Weise leiten die Lithographiewerkstatt
der Fakultät Bildende Kunst.
Ulrike Pennewitz ist Kunst- und Informationswissenschaftlerin und
organisiert den Verlag der UdK Berlin.
Der Text entstand auf der Grundlage eines Werkstattgesprächs
im Oktober 2024.