Berlin - Stadt der Freiräume
Die laufenden und angekündigten Einsparungen des Berliner Senats
sind uns allen mittlerweile hinlänglich bekannt. Berlin steht vor einer
gravierenden Transformation von einer Stadt der Kultur und der Wissenschaften
hin zu einer Stadt der Spekulation, von einer Stadt der Freiräume
hin zu einer Stadt der Begrenzung, von einer inklusiven Stadt
hin zu einer exklusiven Stadt, von einer intelligenten zu einer dummen
Stadt.
Jahrelang hat Berlin davon profitiert, dass es gute Arbeitsbedingungen
mit akzeptablen Lebenshaltungskosten anbieten konnte. Wir haben
mittlerweile alle bemerkt, dass ein Verdrängungskampf in unserer
Stadt und in unserer Gesellschaft allgemein stattfindet, der sich vehement
auf die städtische Kultur und unser Zusammenleben auswirkt –
auch ohne die Streichung von Zuwendungen durch die Politik.
Statt aber die Qualitäten Berlins zu stärken und zu unterstützen, stürzt
die Politik die Stadt und ihre Künstler*innen erst recht in eine existenzielle
Krise. Die Pläne des Senats sind dabei unkonkret, sie sind unvernünftig,
nein: willkürlich, sie sind kurzsichtig und sind bislang vollständig
ohne die Beteiligten entstanden. Die Kürzungen sind keine
Sparmaßnahmen, die wir alle auf eine gewisse Weise noch diskutieren
würden, es sind Abwicklungsmaßnahmen, die darauf abzielen, als zu
teuer empfundene Studienplätze ersatzlos zu streichen und möglicherweise
auf Privatuniversitäten zu verteilen.
Die Universität der Künste befindet sich als zwar größte Kunsthochschule
Europas, aber dennoch kleinste Universität Berlins, mitten in
dieser Problemlage. Hier studieren Menschen aus unterschiedlichsten
Herkünften und sozialen Schichten eine fantastische Bandbreite der
Handlungsfelder, die wir mit dem Sammelbegriff Kunst bezeichnen.
Diese Künstler*innen haben die letzten Jahrzehnte Berlin geprägt, sie
haben Berlin zu einem weltweit attraktiven Ort gemacht, in den man
reist, um Kunst zu erleben, Kunst zu schaffen, an Kunst zu partizipieren
und mit der Kunst die Gesellschaft weiterzuentwickeln.
Berlin lebt von der Kunst, allein etwa 8 % der Berliner*innen arbeiten
im kulturellen Bereich, die Wissenschaftler*innen sind hier noch nicht
einmal eingerechnet. 30 Millionen Übernachtungen in Hotels zählte
die Statistik im letzten Jahr in Berlin. Hat sich die Berliner Politik schon
mal gefragt, warum so viele Menschen sich auf den Weg in eine nicht
besonders schöne Stadt machen? Die Antwort könnte lauten: wegen
Kunst und Kultur.
Können wir uns diese Veränderungen der kulturellen Landschaft Berlins
und Europas also finanziell leisten? Man muss wohl antworten:
Nein. Benötigen wir nicht anstelle von Einsparungen angesichts der Bedrohung
unserer Demokratie die Stärkung von Wissenschaft und Kultur,
mehr kulturelle Angebote, mehr kulturelle Vielfalt, mehr von allem,
was Berlin bis heute so attraktiv macht? Ich würde sagen: Ja.
Stattdessen schafft die Berliner Politik Berlin ab. Statt die Zwänge und
Möglichkeiten offen und mit uns, den Kulturschaffenden, den
Wissenschaftseinrichtungen, den Universitäten Berlins und ihren dort
zahlreich vertretenen Spezialist*innen zu diskutieren und zusammen
Lösungen oder wenigstens Lösungsansätze zu erarbeiten, werden haltlose
Programme hinter verschlossenen Türen verhandelt und top down
dekretiert.
Aber werden wir konkreter. Die Architektur, ein international angesehener
Studiengang der UdK Berlin, ist von den genannten Kürzungen
erheblich
betroffen. Gleichzeitig steigen die Mieten, aber Berlin baut
in erster Linie Wohnungen für Besserverdienende und Investoren. Wer
soll diese Wohnungskrise eigentlich lösen, wenn nicht diejenigen Menschen,
die wir hier im Studiengang Architektur ausbilden?
Gleichzeitig mit der drohenden Zusammenstreichung der Architekturausbildung
an der UdK Berlin und an der TU Berlin gilt es die Klimakrise
zu bewältigen, an der die Bauwirtschaft nicht unerheblichen Anteil
hat. Der Berliner Senat und zahlreiche Investoren aber reißen, anstelle
sich für Umnutzungen und Umbau einzusetzen, unter fadenscheinigen
und widerlegbaren Gründen funktionsfähige Gebäude ab, um sie
durch energieintensive und nicht selten unnötige Projekte zu ersetzen.
Nehmen wir als Beispiele nur die viel diskutierten Spitzen des Abriss-Eisbergs,
den Abriss des Bürohauses an der Urania, den laufenden Abriss
des ehemaligen Landesveterinäruntersuchungsamts, des SEZ oder des
Stadions im Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark. Allein der Abriss des bestehenden
Stadions und eines 200 Millionen teuren Neubaus für eine
künftige Olympia-Bewerbung spricht Bände. Der Berliner Senat investiert
lieber in repräsentative Projekte als in die Bevölkerung und damit
in die Zukunft. Wir planen lieber ein Museum mit dem großsprecherischen
Namen „Berlin Modern“, das weder benötigt wird noch sinnvoll
geplant ist, als uns um die umliegenden Museumsbauten zu kümmern,
in die es hineinregnet, deren Toilettenstränge leck sind, deren Klimaanlagen
dem Verbrauch eines kleinen Stadtquartiers entsprechen.
Wer soll diese ökologischen Probleme des Städtebaus, der Architektur,
des Bauens eigentlich lösen, wenn nicht diejenigen Menschen, die wir
hier im Studiengang Architektur ausbilden? Der Berliner Senat sägt sich
selbst die Beine des Stuhls ab, auf dem wir alle sitzen. Er riskiert mit den
kopflosen Kürzungen, die den Euphemismus „Einsparung“ nicht verdienen,
unser aller Zukunft.
Wir fordern daher mit aller Deutlichkeit mehr Raum für eine zukunftsfähige
Architektur, die am Ende nur wir gewährleisten. Wir fordern mehr Vernunft
und Rationalität in den Planungsprozessen, mehr Akzeptanz
der komplexen Welt, wir fordern mehr Fantasie und Poesie
für unsere Stadt, und: Wir fordern mit aller Deutlichkeit unsere gesellschaftlich
zentralen Räume für mehr Widerspruch ein, um zusammen
die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen zu meistern. Wir
fordern den Erhalt der Universität der Künste. Wir lassen uns nicht einsparen
und wir lassen uns auch nicht abwickeln. So nicht. Der Architekt
Luigi Snozzi hat vor vielen Jahren gesagt, der „Zweck des Architekturunterrichts“
bestehe nicht nur darin, „fähige und hervorragende
Architekten auszubilden, sondern vielmehr kritische Intellektuelle mit
moralischem Bewusstsein hervorzubringen“. Er schloss sein Statement
mit einem Satz von Max Frisch: „Ein Aufruf zur Hoffnung ist heute ein
Aufruf zum Widerstand.“
Es lebe der Widerstand!
Matthias Noell ist Professor für Architekturgeschichte und
Architekturtheorie am Institut für Architektur und Städtebau.
Dieser Text ist die Rede, die er auf der Kundgebung und Protestaktion
der Studierendeninitiative „Bildung braucht Budget“ im Februar
gehalten hat.