Nachruf und Würdigung von Wolfgang Boettcher
Wolfgang Boettcher (30.1.1935 - 24.2.2021)
Mit Wolfgang Boettcher verliert die Musikwelt eine große, enorm vielseitige Künstlerpersönlichkeit. Er war Solocellist der Berliner Philharmoniker, Gründungsmitglied der 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker, Cellist des Brandis-Quartetts, Kammermusiker, Solist, Herausgeber wichtiger Notenausgaben, Autor von Fachliteratur für unser Instrument und ein legendärer Lehrer, mein Vorgänger und wunderbarer Kollege an der UdK Berlin.
Ich lernte Wolfgang Boettcher im Zuge meiner Teilnahme am ARD-Wettbewerb in München 1994 kennen, in dessen Jury er sass. Er selbst war im Jahre 1958 Preisträger dieses Wettbewerbes gewesen, im Duo Cello-Klavier zusammen mit seiner Schwester Ursula Trede-Boettcher.
Die Jury gab mir den ersten Preis, aber mein Dvorak-Konzert im Finale war sicher nicht meine überzeugendste Darbietung gewesen. Hinterher sprach ich mit Jurymitgliedern, und Wolfgang Boettcher hatte einiges zu kritisieren: „ Sie sind noch so jung, spielen aber schon einen so klischeehaften Dvorak! Sehen Sie mal, wenn hier das zweite Thema in der Reprise wiederkommt, da spielen Sie Dauerforte, gucken Sie mal in die Partitur, das ist nun ganz sicher Piano! Sie müssen Dvorak genau spielen, und vor allem nicht nur Ihre eigene Stimme, sondern die gesamte Partitur kennen!“
Er hatte natürlich vollkommen recht...
Später wurde ich Solocellist des Deutschen Symphonie-Orchesters Berlin. Ich fühlte mich sehr wohl in diesem Orchester, gerade die Cellogruppe war wunderbar, musikalisch wie menschlich. Ich bin davon überzeugt, dass dies nicht zuletzt darauf zurückzuführen war, dass die Gruppe zu annähernd 50% aus ehemaligen Boettcher-Student*innen bestand. Seine Erfolgsrate als Lehrer war einfach fantastisch: die Cellogruppe des DSO ist nur ein Beispiel von vielen, eingeschlossen natürlich die 12 Cellisten der Berliner Philharmoniker.
Anlässlich seines Übergangs in den Status des Professor emeritus spielte Wolfgang in einer Serie von Konzerten im Joseph-Joachim-Saal der UdK sämtliche Suiten für Violoncello solo von Bach, kombiniert mit Werken des 20. Jahrhunderts, das gesamte Programm auswendig. Ich werde den wunderbar weichen, nobel singenden Ton, den Wolfgang auf seinem herrlichen Goffriller-Cello produzierte, nicht vergessen, ein Klang, vielleicht vergleichbar mit dem von Bernhard Greenhouse auf seinem Stradivarius-Cello. Die Interpretation der Bach´schen Suiten zeigte deutlich, dass Wolfgang nie aufgehört hatte, neugierig zu sein und offen für durchaus auch unkonventionelle Lösungen, wie z.B. die zweite Bourrée der vierten Suite durchgehend Pizzicato zu spielen. Mit den Suiten, ihren Artikulations- und Bogensetzungsfragen hat sich Wolfgang buchstäblich bis zum letzten Tag beschäftigt, wie mir einer seiner Schüler verriet: „Det ist nie fertig...!“
Gemeinsam mit seinem hoch geschätzten, zu früh verstorbenen Kollegen, dem Cellisten Boris Pergamenschikow und mit Raimund Trenkler von der Kronberg Academy entwickelte Wolfgang Boettcher die Idee des „Grand Prix Emanuel Feuermann“, eines großen internationalen Cellowettbewerbs in Berlin zum Gedenken an seinen bedeutenden Amtsvorgänger Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts an der damaligen Hochschule für Musik. Der Wettbewerb wurde inzwischen viermal erfolgreich durchgeführt, der Gewinner des ersten Wettbewerbs, Danjulo Ishizaka, ist inzwischen selbst Professor bei uns.
Auch Wolfgang Boettchers unermüdliches Engagement für unsere Studierenden als Vorstandsbeirat der Hindemith-Gesellschaft darf nicht unerwähnt bleiben. Noch vor wenigen Wochen hörte ich ihn in einem Streaming-Konzert der Hindemith-Gesellschaft live mit bewundernswerter Leichtigkeit und Ausdruckskraft Beethoven-Variationen spielen.
Im „Un“-Ruhestand unterrichte Wolfgang Boettcher mit reduzierter Studentenzahl weiter an unserem Hause, und auch weiterhin erfolgreich: prominente Stellen, z.B. bei den Berliner Philharmonikern wurden mit seinen Studierenden besetzt, Preise bei Wettbewerben gewonnen. Ich selbst war 2018 in der Jury des Wettbewerbs „Prager Frühling“, als ein junger tschechischer Cellist gewann, der sich als Erasmus-Student bei Wolfgang Boettcher Rat geholt hatte. Sein Dvorak-Konzert war fantasie- und temperamentvoll, aber gleichzeitig eben absolut texttreu.
In der Celloabteilung der UdK hatten wir in den letzten Jahren immer wieder das Vergnügen, Wolfgang als Kommissionsmitglied in Prüfungen bei uns zu haben. Seine Kommentare und Anregungen, natürlich in seiner unvergleichlichen „Berliner Schnauze“ vorgetragen, waren immer äußerst hilfreich und inspirierend, sowohl für die Studierenden als auch für uns jüngere Kollegen. Seine schier unerschöpfliche Energie war einzigartig, eigentlich wirkte er in vielerlei Hinsicht jünger als wir es waren....
Lieber Wolfgang, ich bin sicher, da oben diskutierst Du jetzt mit Pablo Casals und Anner Bylsma oder gleich mit Bach höchstpersönlich die Bogensetzung bei den Cellosuiten, und vielleicht wird „det“ dann zwar immer noch nicht fertig, aber Du bist in Deinem Element! Danke für alles, was Du für die Musik- und Cellowelt getan hast, ich verneige mich vor Deiner enormen Lebensleistung. Dein Vermächtnis wird immer eine Herausforderung bleiben!
Jens Peter Maintz
Professor für Violoncello an der UdK Berlin