Walter Gropius

Quelle: mn

Das “geheime Vorbild” Bauhaus: Walter Gropius und die UdK

 

"Am 3. November 1962 wurde dem Architekten Professor Dr.-Ing. e.h. Walter Gropius die Würde eines Ehrensenators der Hochschule für bildende Künste Berlin verliehen. Professor Gropius nahm die Ernennungsurkunde in einer Feierstunde in der Aula der Hochschule entgegen."

Karl Otto, Ludwig Grote und Walter Gropius: Verleihung der Würde eines Ehrensenators an Professsor Dr.-Ing. e.h. Walter Gropius. Berlin 1963 (= Schriftenreihe der Hochschule für bildende Künste Berlin 7).

Heft 7 der "Schriftenreihe der Hochschule für bildende Künste Berlin" legte die zu diesem Anlass gehaltenen Reden des Direktors der HfbK Karl Otto, des Generaldirektors des Germanischen Nationalmuseums Ludwig Grote, der nicht unmaßgeblich zur Entwicklung des Bauhauses in Dessau beigetragen hatte, sowie natürlich die Dankesrede von Walter Gropius, die wir hier wiedergeben.

Die Verbindungen zwischen dem Bauhaus und der Hochschule für bildende Künste Berlin waren jedoch weit komplexer und deutlicher, als dies in dieser Würdigung zum Ausdruck kommt. Schon nach der Schließung des Bauhauses wechselte mit Oskar Schlemmer ein erster Bauhaus-Meister an die Berliner Hochschule. Kaum eine andere Kunsthochschule in Deutschland knüpfte aber auf derart dezidierte Art und Weise in der direkten Nachkriegszeit an das Bauhaus an, sowohl personell als auch programmatisch. Auch Karl Otto selbst war ehemaliger Mitarbeiter und "Schüler" von Ludwig Mies van der Rohe, wie die Süddeutsche Zeitung 1963 einmal schrieb, ist also ebenfalls dem weiteren Umkreises des Bauhauses zuzurechnen. Im Tagesspiegel schrieb der Journalist Heinz Ohff am 4. Juli 1964, anlässlich der Londoner Station der Wanderausstellung der HfbK:

"Sichtbar wird das geheime Vorbild des Bauhauses. Materialgerechtes Arbeiten, das zunächst nicht auf Kunstwerke zielt, sondern auf ein Höchstmaß an Vertrautheit mit dem Werkstoff; eine nach dem Maß des bereits legendären 'Vorkurses' zugeschnittene Grundlehre; Einbeziehung der Architektur, die andernorts nur an den Technischen Hochschulen gelehrt wird; gleichberechtigte Wertung des 'Angewandten' neben dem 'Freien' – hier ist eine Tradition fortgeführt, die man, obgleich in Deutschland begründet, sonst eigentlich nur im Ausland vermutet. Die sie begründeten, sind fast alle in den verhängnisvollen Jahren emigriert. Ihr Werk ist hüben wie drüben fortgesetzt worden, nach den jeweils notwendigen Bedingungen der jeweils anderen sozialen, künstlerischen, ästhetischen Situation. Zwei Welten, eine Welt."

Die Verleihung der Würde eines Ehrensenators reflektiert diese Verbindungen, deren Aufarbeitung jedoch noch aussteht.

Ehemalige Bauhäusler in der Abteilung Architektur der HfbK waren u.a.:
Gustav Hassenpflug (1907-1977)
Wils Ebert (1909-1979)
Eduard Ludwig (1906-1960)
Georg A. Neidenberger (1907-1964)
Joost Wilhelm Schmidt (1893-1948)
Werner Weber (1912-1995)

 

Walter Gropius

 

"Eine so hohe Ehrung in diesem Kreise Gleichgesinnter in meiner Heimatstadt empfangen zu dürfen, beglückt mich. Ich danke Ihnen, daß Sie meine Arbeit für eine Idee – die des Bauhauses – so großzügig anerkennen. Nach dem Auf und Nieder, den Siegen und Niederlagen, die diese Idee im Laufe ihres Wachstums erfahren hat, kann ich heute im Abstand objektiver darauf zurückblicken.

Vor einiger Zeit besuchte mich in den Staaten Hans Wingler, dessen umfangreiches, dokumentarisches Buch über das Bauhaus gerade erschienen ist. Wir stöberten in meinen alten Papieren der Bauhauszeit und fanden unter anderem ein Tagebuch, das meine Frau in den Bauhausjahren 1923 bis 1928 geführt hatte, und das wir seither nie mehr durchgesehen hatten. Ich begann, es zu lesen, und je weiter ich kam, desto deprimierter wurde ich, weil sich aus dem Text ganz klar ergab, daß 90 Prozent der unerhörten Anstrengungen, die von allen Beteiligten in dieses Unternehmen hineingesteckt worden waren, auf die Abwehr von Feindseligkeiten lokaler und nationaler Art angewandt werden mußten, und nur 10 Prozent für die eigentliche schöpferische Arbeit übrig geblieben waren. Verstehen Sie mich recht, die Depression, die dieses Mißverhältnis jetzt in mir auslöst, wurde nicht etwa damals empfunden oder jedenfalls doch nur momentweise; erst im Rückblick erscheinen die Widerstände gegen ein Institut, das eine so unorthodoxe, revolutionäre Lehrweise vertrat, in ihrem vollen Ausmaß. Während des Kampfes selbst waren wir uns zwar bewußt, daß wir jeden Tag unserer Existenz dem Rachen des Löwen entreißen mußten, aber wir zweifelten keinen Moment an unserer Fähigkeit, Widerstände zu besiegen. Wir waren empört, daß man uns an unserer Arbeit hinderte, aber wir waren nicht deprimiert. Wir waren uns klar, daß wir an einem neuen Beginn standen, und daß wir nur die ersten Schritte getan hatten in einer neuentdeckten Welt voll faszinierender Aufgaben.

Hätte ich damals gewußt, was ich jetzt weiß, so hätte ich mir sagen müssen, daß es ein unmögliches Unterfangen war; daß das Intermezzo zwischen dem ersten Weltkrieg und dem Beginn des Tausendjährigen Reiches viel zu kurz war, um etwas von bleibendem Wert zu schaffen; daß der lange Winterschlaf, der allen schöpferischen Geistern während der Nazizeit aufgezwungen wurde, die sorgfältig gesäte Saat zerstören würde. Trotz alledem stehe ich heute hier vor Ihnen, 28 Jahre nach meinem Exodus aus Deutschland, um als Vertreter einer Idee Ihre hohe Ehrung zu erhalten. Daher möchte ich sagen: Glauben Sie nie einem alten Mann, wenn er behauptet, daß irgend etwas unmöglich sei. Er kann sich nämlich mit dem besten Willen nicht mehr in die Verfassung eines jungen Mannes zurückversetzen, der ohne die Borde der Erfahrung sich einfach an die Arbeit macht und vertrauensvoll alles so plant, als ob er ewig leben würde. Nur durch diesen Wurf seiner Phantasie er seine Ideen so weit vorausschleudern, daß sie seine Lebenszeit überdauern. Nach meiner Beobachtung braucht es mindestens die Zeitspanne einer Generation, ehe sich eine neue Idee mit Sicherheit verbreitet. Außerdem hängt es noch von den jeweiligen gesellschaftlichen Zuständen ab, wie schnell sich dieser Prozeß vollzieht. Man könnte sich fragen, welche Chance die Bauhausidee hat, sich weiterhin durchsetzen zu können in einer Zeit, die, weit davon entfernt, vom Künstler dominiert zu sein, nicht einmal die Wünsche des Herstellers oder Versuchers richtig reflektiert, sondern allein von der Macht des Verkaufspropagandisten oder – wie Toynbee ihn nennt – des 'Großen Versuchers' beherrscht ist. Unter dieser Herrschaft scheint es sinnlos zu sein, Gebäude und Gegenstände guter Qualität zu kreieren, da sie doch nur einen kurzen Unterhaltungswert darstellen und bald anderen Produkten von ebenso ephemerem Wert Platz machen.

Wie können wir diesem direktionslosen Wirbel entrinnen und der jungen Generation die notwendige Elastizität, unabhängiges Urteil und moralische Widerstandskraft geben, die sie in den Stand setzen würden, sich aus der Lawine von Pseudoprodukten zu befreien, die uns zu ersticken droht?

Sie mögen mir mit Recht den Vorwurf machen, daß ich mich wiederhole, wenn ich als einziges Gegenmittel immer wieder intensivierte Erziehung vorschlage. Wir können nicht hoffen, zu diesem Zeitpunkt noch verlorenen Boden wiederzugewinnen durch allmähliche Verbesserungen, die sich aus der langsamen, natürlichen Anpassung der menschlichen Natur an die Zeitereignisse ergeben. Diese Ereignisse stürmen heute so schnell auf uns ein, daß wir kaum in der Lage sind, richtig auf sie zu reagieren, es sei denn, daß wir lernen, unsere Erziehung derart zu erweitern, daß sie nicht nur den Verstand schärft, sondern auch unser Empfindungsvermögen formt und Auge und Hand trainiert. Ein solches Training ist bisher dem Künstler vorbehalten gewesen; wollen wir aber den Abgrund überbrücken, der heute zwischen dem Künstler und dem großen Publikum klafft, müssen wir uns entschließen, jedermann Erziehungsgrundlagen zu geben, die ihn befähigen, mit geschultem Auge seine Umgebung zu beobachten. Wenn wir heute stolz sind auf die Fortschritte, die wir darin gemacht haben, den jungen Künstler aus seiner imitativen Abhängigkeit von den Methoden seiner Lehrer zu befreien, so müssen wir uns vor Augen halten, daß der größere Teil unserer Aufgabe noch vor uns liegt, nämlich allen jungen Menschen vom Beginn ihrer Schulzeit an auch ein visuelles Training zu geben, das auf objektiven Prinzipien aufgebaut ist. Von einer solchen Grundlage aus wird der begabte Mensch immer seine persönliche, schöpferische Interpretation finden, aber Künstler und Publikum müssen von denselben Voraussetzungen allgemeingültiger Art ausgehen, wenn wir erreichen wollen, daß der Gestalter auf die willige Aufnahmebereitschaft seines Auftraggebers rechnen kann.

In diesem Zusammenhang möchte ich noch eine prinzipielle Feststellung machen: Ich fühle mich heute weit genug vom Drama des Bauhauses entfernt, um sine ira et studio meine eigene Bilanz zu ziehen und zu präzisieren, was denn das Eigentlich-Neue in der Bauhaus-Erziehungsmethode war. Ich kann dies am besten an den Erziehungsmethoden zweier so verehrungswürdiger Meister wie van de Velde und Frank Lloyd Wright erläutern. Beide hatten schon vor mir die Idee der Vereinheitlichung der Künste im Sinne. Auf welche Weise suchten sie dieses Ziel zu erreichen? Van de Velde, genialer, erfindungsreicher Künstler von Weltruf und voll begeisternden Elans, hatte die Vorstellung, daß die Einheit der Künste durch Verbreitung des von ihm gefundenen Formvokabulars, seiner 'Linie', wie er es nannte, möglich wäre. Das Werk seiner Schüler zeigt fast ausnahmslos van de Veldes eigenen Formcharakter.

Im vergangenen Jahr besuchte ich Frank Lloyd Wrights Taliesin Schule, die von seiner Witwe weitergeführt wird. Ich betrachtete die Arbeiten von ungefähr sechzig Studenten, die durchweg blasse Frank Lloyd Wright-Entwürfe waren. Kein einziger unabhängiger Versuch war erkennbar.

Diese Ergebnisse zeigen, daß ein großer Künstler nicht ohne weiteres ein bedeutender Erzieher ist. In ähnlicher Weise wie in van de Veldes Weimarer Kunstseminar wurden in Taliesin Assistenten, aber keine selbständige Künstler erzogen. Sicher ist der Kontakt des Schülers mit einer großen, ausstrahlenden Persönlichkeit vom menschlichen Standpunkt aus höchst bedeutungsvoll; aber ich beziehe mich hier auf die erzieherische Methode und ihr Ziel.

Bei der Gründung des Bauhauses war ich zu der Einsicht gekommen, daß ein autokratisch-subjektiver Lehrprozeß die angeborenen, persönlichen Ansätze verschieden begabter Schüler verschüttet, wenn der Lehrer ihnen seine eigenen Denk- und Produktionsresultate, wenn auch mit bester Absicht, aufprägt. In klarem Gegensatz zu van de Veldes Methode kam ich zu der Überzeugung, daß der Lehrer davon Abstand nehmen muß, sein eigenes Formvokabular an den Studenten weiterzugeben, daß er diesen vielmehr seinen eigenen Weg, wenn auch auf Umwegen, selber finden lassen muß. Wenn er auf Ansätze zu eigenem Denken und Fühlen im Schüler stößt, soll er ihn ermutigen, dagegen imitative Schritte rücksichtslos bekämpfen, oder ihn zum mindesten wissen lassen, daß er auf fremdem Acker erntet. Er muß sich objektiv verhalten und als Grundlage des schöpferischen Prozesses ein Studium der natürlichen Phänomene aufbauen, die durch wohldirigierte Beobachtung der biologischen und psychologischen Fakten dann langsam verstanden werden. Wie Sie wissen, versuchten wir im Bauhaus, in der Zusammenarbeit vieler Künstler einen objektiven Generalnenner der Gestaltung zu finden, sozusagen eine Design-Wissenschaft zu entwickeln, die seitdem in zahlreichen Schulen verschiedener Länder erweitert worden ist. Eine solche Grundlage der allgemeinen, überpersönlichen Gestaltungsgesetze gibt verschiedenen Begabungen den organischen und einenden Hintergrund. Der persönliche Ausdruck bezieht sich dann in jedem individuellen Schöpfungsvorgang auf die gleichen, von allen anerkannten Grundbegriffe. Ich bin der Ansicht, daß diese Lehre schon im Kindergarten und in der Grundschule beginnen muß. Auf diesem Boden könnte sich dann – wenn wir den Propagandisten im Zaune halten können – allmählich ein neuer Zeitausdruck entwickeln, wie wir ihn von kulturell starken Perioden der Vergangenheit her kennen.

Weil die Lehrmethode ebenso wichtig ist wie die Potenz des Lehrers – was heute noch so oft mißverstanden wird – wollte ich von dieser Stelle noch einmal dieses erzieherische Problem präzisieren; denn ich bin überzeugt, daß die objektive Lehrmethode, die zwar einen viel längeren, dornenreicheren Weg zu gehen hat als die autokratische, uns nicht nur vor Imitation und Gleichmacherei schützt; sie bewahrt gleichzeitig das Einmalige in jeder schöpferischen Person und den gemeinsamen geistigen Zusammenhang in der Zeit."

Verwandte Themen