Wissenschaftliche Gehhilfen
Handreichungen und Leitfäden zum wissenschaftlichen Arbeiten
Vorlesungen zur Typologie des Ateliers.
Prof. Dr. Matthias Noell
Vorlesung
Das Atelier kann zu den “espaces autres” Michel Foucaults gezählt werden, jenen anderen Orten, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, gesellschaftliche Normen verneinen oder umzudeuten in der Lage sind. Das Atelier der Künstler, so wie es seit der Renaissance gedacht, entwickelt und gelebt wurde, war und ist ein Ort der theoretischen Konzeption, der sozialen Distinktion, der Projektion von Weltbildern, des Experiments jeder Art ... und natürlich auch der ganz direkten künstlerischen Produktion. An keinem Ort kommt man dem Geheimis der Kunstwerdung so nahe wie hier, oder sollte man angesichts der zahlreichen Mythen, Erzählungen und Verschleierungsversuche nicht besser sagen: scheint dies zu tun?
Ateliers sind aber nicht nur metaphorische oder symbolische Orte, sondern auch reale Räume, gestaltete dreidimensionale Artefakte, deren Bedeutung in der Architekturgeschichte nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Denn schließlich sind von hier aus nicht wenige Impulse für unsere Gesellschaft ausgegangen, selbst dort, wo man es nicht unbedingt erwartet. “Das moderne Wohnhaus entstammt dem Bohème-Atelier im Mansardedach”, schrieb Josef Frank beispielsweise 1931 – wir gehen in der Veranstaltung auch diesem etwas enigmatischen Satzfragment nach.
Das Atelier ist meist auch ein Ort des Rückzugs von der Welt in die Welt der Kunst, ein Ort der Konzentration auf das Werk und das Selbst – vor diesem Hintergrund scheint es nicht unangebracht, unseren erzwungenen mehrmonatigen Rückzug auf die eigenen vier Wände auf seine Relevanz für unser Denken und Handeln zu diskutieren und dabei sogar die reale Gefängniszelle als Ort künstlerischer Positionierung und damit in vollständiger Paradoxie auch als Ort der Freiheit und als Denkraum in den Blick zunehmen, wie das gerade das Maxim Gorki Theater mit einer Installation und Veranstaltungsreihe unternimmt.
Das Atelier ist ein “wirklicher, ein wirksamer Ort”.
Vorlesung, Montag, 17:00-18:30, digital (oder A 310)
Beginn: 19. April 2021
BA Module 12/14 = 3ects / MA Module 3/5 = 5ects
Literatur
Architektur und Kunst. Das Meisterhaus Kandinsky – Klee in Dessau, Leipzig 2000 (= Kataloge der Anhaltischen Gemäldegalerie Dessau, hg. v. Norbert Michels 8).
Atelier und Dichterzimmer in neuen Medienwelten: zur aktuellen Situation von Künstler- und Literaturhäusern. Hg. v. Sabine Autsch, Michael Grisko, Peter Seibert. Bielefeld (transcript) 2005.
Atelier. Raum ohne Zeit. Themenheft von: Texte zur Kunst. H. 49. März 2003.
Atelierhäuser: Von der Gründerzeit bis zur Moderne. Themenheft von: Kunst und Architektur in der Schweiz. H. 53. 2002/3.
Ateliers: l’artiste et ses lieux de création dans les collections de la bibliothèque Kandinsky, Ausstellungskatalog Centre national d’art de de culture Georges Pompidou (Paris). Paris 2007.
Belting, Hans: Das unsichtbare Meisterwerk. Die modernen Mythen der Kunst. München 1998.
Delorme, Jean-Claude et Anne-Marie Dubois: Ateliers d’Artistes à Paris. Paris 1998.
Diers, Michael und Monika Wagner (Hg.): Topos Atelier. Werkstatt und Wissensform. Berlin 2010.
Hofmann, Werner: Das irdische Paradies. Motive und Ideen des 19. Jahrhunderts. München 1974.
Hoh-Slodczyk, Christine: Das Haus des Künstlers im 19. Jahrhundert, München 1985 (= Materialien zur Kunst des 19. Jahrhunderts 33).
Hüttinger, Eduard (Hg.): Künstlerhäuser von der Renaissance bis zur Gegenwart Zürich, München 1985.
Interieurs. Wiener Künstlerwohnungen 1830–1930, hg. v. Sylvia Mattl-Wurm, Ausstellungskatalog Historisches Museum der Stadt Wien, Wien 1990.
Kleinert, Katja: Atelierdarstellungen in der niederländischen Genremalerei des 17. Jahrhunderts – realistisches Abbild oder glaubwürdiger Schein? Petersberg 2006.
Költzsch, Georg-W.: Der Maler und sein Modell. Geschichte und Deutung eines Bildthema. Köln 2000.
Kris, Ernst und Otto Kurz: Die Legende vom Künstler. Ein geschichtlicher Versuch [1934], Frankfurt a. M. 1995.
Lacambe, Geneviève: Ateliers d’artistes. Paris 1991.
Langer, Brigitte: Das Münchner Künstleratelier des Historismus. Dachau 1992.
Lemaire, Gérard-Georges: Künstler und ihre Häuser. München 2004.
Mai, Ekkehard: Atelier und Bildnis. Künstler über sich selbst. In: Wettstreit der Künste. Malerei und Skulptur von Dürer bis Daumier, hg. v. Ekkehard Mai und Kurt Wettengl. Wolfratshausen 2002. S. 110-125.
Milner, John: The Studios of Paris: the capital of art in the 19th century. New York 1988.
Mongi-Vollmer, Eva: Das Atelier des Malers. Die Diskurse eines Raumes in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Berlin 2004.
Noell, Matthias: “Choisir entre l’individu et le standard.” – Das Künstlerhaus bei Gropius, Le Corbusier, Van Doesburg, Bill. In: Das Bauhaus und Frankreich. Le Bauhaus et la France. Hg. v. Isabelle Ewig, Thomas W. Gaehtgens u. Matthias Noell. (= Passagen. Jahrbuch des Deutschen Forums für Kunstgeschichte Bd. 4). Berlin 2002. S. 83-115. archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/view/schriftenreihen/sr-32.html
Noell, Matthias: “Das Leben ist in fortwährender Bewegung.” Theo van Doesburgs Atelierwohnhaus in Meudon. In: Im Tempel des Ich. Das Künstlerhaus als Gesamtkunstwerk. Europa und Amerika 1800-1948. Ausstellungskatalog Villa Stuck, München. Hg. v. Margot Th. Brandlhuber u. Michael Buhrs. Ostfildern 2013. S. 292-311. archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/view/schriftenreihen/sr-32.html
Noell, Matthias: “Ich aber bin entstellt von Ähnlichkeit mit allem, was hier um mich ist.” Das Motiv des architektonischen Selbstporträts in Literatur und Architektur. In: Zwischen Architektur und literarischer Imagination. Hg. v. Andreas Beyer, Ralf Simon u. Martino Stierli. München 2013, S. 145-176. archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/view/schriftenreihen/sr-32.html
Noell, Matthias: “Isolierte bauliche Einzelfälle”? Das Atelier als Bauaufgabe in der Nachkriegszeit. In: Mapping the Studio. Das Atelier in der zeitgenössischen Kunst. Hg. v. Martin Schieder u. Guido Reuter. Petersberg 2012. S. 37-46. archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/view/schriftenreihen/sr-32.html
Noell, Matthias: Accrochage in architecture: Photographic representations of Theo van Doesburg’s studios and paintings. In: Rachel Esner (u. a.): Hiding making – showing creation. Amsterdam 2013. S. 157-175. archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/view/schriftenreihen/sr-32.html
Noell, Matthias: Im Laboratorium der Moderne. Das Atelierwohnhaus von Theo van Doesburg in Meudon – Architektur zwischen Abstraktion und Rhetorik. Mit Fotografien von Ilse Leenders. Zürich 2011.
Noell, Matthias: Strategien der Präsentation – Künstlerhäuser in Künstlerhausbüchern. In: Zwischen privatem Kosmos und öffentlichem Raum: Künstlerhaus-Museen. Hg. v. Gianna A. Mina u. Sylvie Wuhrmann. Ligornetto 2011. S. 205-222. archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/view/schriftenreihen/sr-32.html
Noell, Matthias: Wirkliche Orte, wirksame Orte. Die Ateliers der Meisterhäuser in Dessau. In: Junges Design in den Meisterhäusern Dessau. Berlin 2016 (= Bauhaus Taschenbuch 17). S. 37-45. www.udk-berlin.de/studium/architektur/fachgebiete/architekturgeschichte-und-architekturtheorie/lehre/architekturgeschichte-architekturtheorie-iii/kurze-texte/
Noell, Matthias: Zwischen Wohnung und Stadt. Aldo van Eyck und die Suche nach einer humanen und poetischen Architektur. In: Selbstentwurf. Das Architektenhaus von der Renaissance bis zur Gegenwart. Hg. v. Dietrich Boschung u. Julian Jachmann. Paderborn 2018. S. 209-232. archiv.ub.uni-heidelberg.de/artdok/view/schriftenreihen/sr-32.html
Reuter, Guido und Martin Schieder (Hg.): Mapping the Studio. Das Atelier in der zeitgenössischen Kunst. Petersberg 2012.
Rudolf und Margot Wittkower: Künstler. Außenseiter der Gesellschaft [1963]. Stuttgart u.a. 1965
Schwarz, Hans-Peter, Heike Lauer und Jörg Stabenow (Hg.): Künstlerhäuser. Eine Architekturgeschichte des Privaten. Ausst.-kat. Deutsches Architekturmuseum. Frankfurt am Main Braunschweig 1989.
Schwarz, Hans-Peter: Künstlerhäuser. Anmerkungen zur Sozialgeschichte des Genies. Wiesbaden und Braunschweig 1984.
Spitzbart, Elisabeth: “Orte des Schreibens” – Anmerkungen zu Dichterhäusern des 20. Jahrhunderts und ihren geistesgeschichtlichen Voraussetzungen. In: architectura. Zeitschrift für Geschichte der Baukunst. Bd. 31. 2001. H. 1. S. 1-26.
Stabenow, Jörg: Architekten wohnen. Ihre Domizile im 20. Jahrhundert. Berlin 2000.
Walkley, Giles: Artist’s Houses in London 1764-1914. Cambridge / Aldershot 1994.
Woithe, Gabriele: Das Kunstwerk als Lebensgeschichte. Zur autobiographischen Dimension Bildender Kunst. Berlin 2008.