22 Brüssel – Mögliche Rollen einer Metropole
Brüssel – Mögliche Rollen einer Metropole
Seminar / Exkursion
Das Sommersemester steht unter dem Zeichen der städtischen Lektüre. Zwei kategorisch unterschiedliche Lesarten städtischer Geschichte werden in zwei Veranstaltungen erprobt. Das Seminar zu Brüssel untersucht die belgische Hauptstadt nach sechs möglichen Rollenbildern, die zentrale Aspekte der Vergangenheit aufgreifen, und die auch heute noch die Wahrnehmung der Stadt prägen.
Brüssel ist die Stadt der vielen Gesichter. Divers und heterogen in ihrer Bevölkerung, offiziell zweisprachig, eigentlich aber multilingual, gelegen an der nicht unproblematischen innerbelgischen Grenze von Flandern und der Wallonie, aber eigentlich an jener des Kolonialismus und Eurozentrismus. Manche der Stadtteile Brüssels weisen einen Anteil von bis zu 98% der Bevölkerung mit Migrationshintergrund auf (zum Vergleich der Stadtteil Berlins mit dem höchsten Anteil, Moabit: 52%). Die Bevölkerungsdichte schwankt, je nach Stadtteil zwischen 3.700 (Uccle) und 24.000 (Saint-Josse-ten-Noode) Einwohnern pro Quadratkilometer.
Spiegelt sich die heterogene politische Geschichte Brüssels aber auch in Architektur und Städtebau? Berühmt sind bis heute der Beginn der modernen Architektur am Ende des 19. Jahrhunderts, der Brüsseler Art nouveau, eher berüchtigt sind, vor allem wegen ihrer Größe und Monumentalität und manchmal exorbitanten Bauzeit, die Repräsentationsbauten des belgischen Königreichs. Auch die extremen Unterschiede zwischen den Straßenzügen und Bauten der wohlhabenden und der weniger begüterten Bevölkerungsschichten fallen deutlicher ins Gewicht als in anderen Städten. Bis heute problematisch bleibt auch das koloniale Erbe der Stadt und wie eine Reihe von Inseln liegen inmitten der älteren Stadtstruktur die nicht selten unmaßstäblichen Verwaltungsbauten des Europaviertels. Wollte man Brüssel mit dem Begriff der "europäischen Stadt" begreifen wollen, würde man scheitern, oder aber deren unangenehme Komplexität endlich ernst nehmen müssen. Nicht zuletzt aber kennen wir Brüssel auch als Hauptstadt der belgischen Architekturdebatte der letzten Jahre, immer einen Schritt weiter, nicht selten roh, häufig radikal, fast immer konsequent.
Seminar und Exkursion werden versuchen, diese seltsame Stadt des Neben-, Über-, Unter- und Durcheinanders überwiegend zu Fuß zu erkunden. Flanierend, spazierend und hoffentlich staunend. Zu diskutieren werden die folgenden Rollen sein: Bruxelles-la-Pauvre, Bruxelles-la-Pompeuse, Bruxelles-la-Coloniale, Bruxelles-la-Moderne, Bruxelles-la-Capitale und nicht zuletzt: Bruxelles-la-Brute.
Blockseminar / Exkursion mit verpflichtenden vorbereitenden Terminen
Einführung: 25.4.2022, 15:15, A 310
Genaue Termine werden zur Einführung bekannt gegeben
BA Module 12/14 = 3ects / MA Module 3/5 = 5ects
Anmeldung per Mail an: m.noell [at] udk-berlin.de
... bitte mit Namen und Matrikelnummer und einer Kurzbegründung für die Wahl des Kurses !
Möglicher Lesestoff
Fritz Stahl: Brüssel. Leipzig 1909 (= Stätten der Kultur 26).
Henri Hymans: Brüssel. Leipzig 1910 (= Berühmte Kunststätten 50).
Michael Neumann-Adrian: Brüssel. München 1992.
Albert Guislain u.a.: Brüssel. Hamburg 1958 (= Merian 11. Jahrgang, Heft 4).
Arno Schmidt: Brüssel. Die Feuerstellung. Zwei Fragmente. Hg. v. Susanne Fischer. Frankfurt am Main 2002.
Robert Menasse: Die Hauptstadt. Roman. Berlin 2017.
Geert Bekaert und Francis Strauven: La construction en Belgique 1945-1970. Brüssel [1971].
Jacques Henry Baudon (Hg.): Bruxelles 1890-1971. Guide d'architecture. Bruxelles [1972].
Victor G. Martiny: Bruxelles. L'architecture des origines à 1900. Bruxelles 1980.
Maurizio Cohen: Bruxelles. Art nouveau. Milano 1994.
Christian Carez und Werner Adriaenssens: L' architecture art déco. Bruxelles 1920-1930. Bruxelles 1996.
Isabelle Doucet: The practice turn in architecture. Brussels after 1968. Farnham 2015.