(WM) Dr. Turit Fröbe
Die Geschichte der Flanerie ist eng mit Paris verbunden. Am Vorabend der Französischen Revolution betrat der Flaneur als neuer Großstadttypus die urbane Landschaft und wurde zum Historiographen des Alltagslebens. In seiner Figur spiegeln sich die Veränderungen, die Revolution, Industrialisierung, Landflucht und Haussmanns Umgestaltungen nach sich zogen. So wandelten sich mit der Zeit nicht nur die Orte, an denen flaniert wurde, sondern auch die „Beweggründe“ der Flaneure. Für den Dandy-Flaneur des frühen 19. Jahrhunderts wurde das inszenierte, langsame und ziellose Umherstreifen zu einem Protestformat, für die Bohemien-Flaneure war es eine Erwerbsquelle. Die Schriftsteller und Großstadtfeuilletonisten der Weimarer Republik, wie Franz Hessel oder Walter Benjamin, importierten die Flanerie nach Berlin. Bevor Lucius Burckhardt die „Promenadologie“ in den 1980er Jahren zur wissenschaftlichen Disziplin erklärte, kamen noch einmal entscheidende Impulse aus Paris: die Situationistische Internationale hatte sich in den 1950er Jahren subversiver Spaziergangspraktiken bedient und machten das Dérive, wie sie das Umherschweifen nannte, zur zentralen Methode ihrer psychogeographischen Feldforschung. Ihre innovativen Wahrnehmungs- und Aneignungsstrategien erscheinen von ungebrochener Aktualität und wirken zusammen mit Burckhardts „Spaziergangswissenschaft“ heute mehr denn je in den performativen Künsten aber auch in der Stadtforschung und Baukulturvermittlung nach.
Im Seminar wird zu einer theoretischen und praktischen Auseinandersetzung mit dem Flaneur und seinen Blick auf die Stadt im Wandel der Zeit eingeladen.
Seminar, Dienstag 11:15-12:45 Uhr, Raum 310
Beginn: 25. Oktober 2016
- Careri, Francesco: Walkscapes. Walking as an aesthectic practice, Barcelona 2007
- Köhn, Eckhardt: Straßenrausch. Flanerie und kleine Form. Versuch zur Literaturgeschichte des Flaneurs von1830- 1933
- Neumeyer, Harald: Der Flaneur: Konzeptionen der Moderne, Würzburg 1999