MOUVOIR/ÉMOUVOIR – SPAZIEREN IN PARIS
MOUVOIR/ÉMOUVOIR – SPAZIEREN IN PARIS
"Die Reise, und auch der Spaziergang, können zweierlei Bedeutung haben: Entweder handelt es sich um einen Weg zum Ziel, wobei das Ziel die überragende Wichtigkeit einnimmt. Oder aber es wird gereist um des Genusses oder Information der Reise willen, und zu Fuß gegangen, um des Spaziergangs willen."
Lucius Burckhardt, Warum ist Landschaft schön? Berlin 2006, S. 266
"1839 war es elegant, beim Promenieren eine Schildkröte mit sich zu führen. Das gibt einen Begriff vom Tempo des Flanierens in den Passagen."
Walter Benjamin, Das Passagen-Werk [1927-1940], Frankfurt am Main 1983, S. 532
Was liegt auf dem Weg von der Pariser Peripherie zum Zentrum der Stadt am Wegesrand, welche Orte muss man passieren, wenn man einen solchen Weg zu Fuß gehen will, welchen Personen, Dingen, Pflanzen, Gebäuden und Situationen begegnet man?
„Mouvoir/Émouvoir: Spazierengehen in Paris" macht sich auf den Weg und durchstreift die Straßen, Passagen, Gärten, Museen und Galerien von Paris. Dabei werden die Konzepte des Flanierens, Spazierens, Umherschweifens verdichtet und es entsteht eine neue Erkundungsreise von draußen nach drinnen, von drinnen nach draußen und kreuz und quer.
In seinem Passagen-Werk schreibt Walter Benjamin über die Straßen [nur von Paris?] sie seien "die Wohnung des Kollektivs", diesem unruhigen und ewig bewegten Wesen. Wie aber wird Stadt kollektiv wahrgenommen? Wie individuell? Die Wahrnehmungen überlagernd, die Eindrücke wie an einer Perlenschnur (Burckhardt) aneinanderreihend, soll sich aus vielen kleinen eine längere Reise zusammensetzen, die Zeit lässt, das Alltägliche zu beobachten, das Gesehene zu beschreiben, das Typische zu hinterfragen. Dabei wird es um die Frage gehen, wie die „anderen Räume“ und „Nicht-Orte“, die „Psychogeografie“ und das „Infra-Ordinäre“ zusammenhängen, und wie diese Konzepte unsere Aufmerksamkeit beeinflussen. Dazu gehört das zielgerichtete Spazieren (Burckhardt, S. 266) genau wie das "sich kunstvoll [zu] verirren" (Düllo, S. 122) und mal mit der Geschwindigkeit einer Schildkröte, mal im Tempo der Zeit die Stadt zu erkunden.
Auf dieser Reise werden alle zur Verfügung stehenden Formen des Aufzeichnens und Sammelns von Informationen eingesetzt, um die passierten Räume zu dokumentieren, zu klassifizieren, Situationen zu finden oder neue zu erfinden und in einem neuen Zusammenhang erfahrbar machen – eine künstlerische Praxis erproben, die sowohl Materielles, wie Immaterielles, Dinghaftes, wie Zeichenhaftes einschließt.
Spazieren ist eine Kunst.
Exkursion + Seminar, Termine und Orte werden bekannt gegeben.
Exkursion: 11.11.-17.11.2024
Beginn: 25.10.2024, 16:00, Podest Westtreppe zw. 1. und 2. OG, HA33
BA Module 12/14 = 3ects; MA Module 3/5 = 5ects
Anmeldung mit Motivationsschreiben an l.unverzagt[at]udk-berlin.de
Literatur (Auswahl)
Benjamin, Walter: Das Passagen-Werk. Gesammelte Schriften 5. 2 Bde. Herausgegeben Hg. v. Ralf Tiedemann. Frankfurt am Main 1982.
Burckhardt, Lucius: Spaziergangswissenschaft. In: ders. Warum ist Landschaft schön? Berlin 2011, S. 257-300, S. 131-236.
Düllo, Thomas: Der Flaneur, in: Stephan Moebius und Markus Schroer (Hg.): Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart. Berlin 2010, S. 119-131.
Geist, Johann Friedrich: Passagen. Ein Bautyp des 19.Jahrhunderts. München 1969 (Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts 5).
Khatib, Abdelhafid: Questionnaire. In: ders.: Essai de déscription psychogéographique des Halles. In: Internationale situationniste. H. 2. S. 13-18, S. 17.
Perec, Georges: L‘infra-ordinaire. Paris 1989. Deutsche Übersetzung unter dem Titel: Warum gibt es keine Zigaretten beim Gemüsehändler? Zürich und Berlin 2015.
Perec, Georges: Versuch, einen Platz in Paris zu erfassen [1975]. Konstanz 2010.
Schelle, Karl Gottlob: Die Spatziergänge oder die Kunst spatzierenzugehen. Leipzig 1802. Hg. und mit einem Nachwort versehen von Markus Fauser. Hildesheim u.a. 1990. (https://www.deutschestextarchiv.de/book/show/20525)
Schlegel, August Wilhelm [und Caroline]: Die Gemählde. Gespräch [1799]. Hg. v. Lothar Müller. Dresden 1996.
Thoreau, Henry David: Walking. Cambridge, MA 1914.
Zaugg, Rémy: Das Kunstmuseum, das ich mir erträume, oder: Der Ort des Werkes und des Menschen. Köln 1987. Neuauflage Nürnberg 1998.