Semesterthema SoSe 2017: "Bruchstellen"
Von A nach B kann es schnell und bequem gehen und man erlebt sofort einen anderen Zustand – wie beim Gang in Künste und Wissenschaften setzen sich unentwegt mit der Frage nach Kontinuität und Diskontinuität menschlicher Weisen auseinander, sich in der Welt zu orientieren, sich zu positionieren und sich zu artikulieren – als Einzelner und im Kollektiv. Diese Gratwanderung zwischen den Optionen, sich einer Arbeit an einer (lebenswerten) Kontinuität oder an einer (noch riskanten) Diskontinuität zu verschreiben, erfährt immer neue Herausforderungen durch den Ruck, der sich als Folge des sozio-kulturellen Wandel in unser aller Lebenswelten bemerkbar macht. Erfahr- und erkennbar wird dieser Ruck durch Bruchstellen – in der Alltagswelt, in den Künsten, in den Wissenschaften. Diese Bruchstellen bedeuten einen Schnitt ins Kontinuum unserer Lebensentwürfe und in der politischen und kulturellen Rahmung, die sich über unser Leben legt. Bruchstellen sind deshalb sowohl Ausdruck von Diskontinuität, von Erschütterungen in zuvor funktionierenden Sinnsystemen, sie sind aber auch – durch Kunst und Wissenschaft – willentlich herbeigeführte Seismographen und Interventionen in den Lauf der Welt. Gerade in der augenblicklichen Situation.
Um einen kurzen, zunächst etwas entfernt liegenden, Eindruck von solchen Bruchstellen zu gewinnen, kann man einen lohnenden Ausflug in die Welt der Superhelden nehmen. Auch deren Welt (in Comics, in Science Fiction, in filmischen Adaptionen), die zunächst göttergleich auf Stabilität und Unverwüstlichkeit angelegt war, hat Brüche und Risse bekommen. Das Golden Age der Superhelden (Batman, Superman, Spider-Man, die Fantastischen Vier, Captain Amerika etc.) wurde rissig und transformierte in ein Silver Age, in dem die Superhelden weniger „super“ wurden. Sie wurden nachdenklich, ironisch, hatten ein Privatleben, wollten normal sein und die vormals klare Grenze von gut und böse wurde diffus. Auch der Zeichenstil bekam Risse: „Trotzige, aber brüchige Krakel beherrschen die Optik“, wie der Kulturkritiker und Science Fiction-Autor Dietmar Dath sagt, „Wenn man das Superheldenwesen retten will ..., dann muss man die Oberflächen des Genres aufbrechen, Brüche ausstellen und feiern, statt sie zu verschweigen.“
Dieser kurze Exkurs in den Kosmos der Superhelden, ist auch deshalb für unser Semesterthema „Bruchstellen“ erhellend, weil er zeigt, warum die Bruchstellen in gegenwärtigen Diskursen und Wertorientierungen nicht nur eine Frage von Einstellungen und Haltungen ist, sondern dass die Bruchstellen sich im Material und in der künstlerischen Formgebung selbst finden lassen. Die Spurensuche nach solchen Bruchstellen und das Spurenlegen durch Bruchstellen finden in diesem Sommersemester deshalb auf ganz unterschiedlichen Ebenen statt. Es werden unter anderem Bruchstellen zwischen Kunst, Kultur und Konsum oder zwischen Krieg, Terror und Kunst thematisiert oder die Brüche zwischen unterschiedlichen Zeit- und Erinnerungsebenen. Ebenso die Brüche, die systemsprengenden Problemen zugrunde liegen, oder die Bruchstellen, die sich beim psychoanalytischen Konzept der Übertragung einstellen. Gegenstand der Auseinandersetzung werden überdies die Bruchstellen zwischen Analogem und Digitalem, zwischen menschlichen und nicht-menschlichen (materiellen) Wesen sein oder anlässlich dessen, was beim Über-Gehen im städtischen Raum passiert, oder beim Projekt „Breaking Binaries“ sowie beim Übersetzen und Notieren von flüchtiger Kunst.