Fotografische Materialitäten

Robert Kehl
Fotografische Materialitäten
Seminar, 2 SWS, 2 LP, 5 Plätze
Donnerstags, 12-14 Uhr, wöchentlich ab 18.4.2019, Hardenbergstr. 33, Raum 151

Was ist fotografische Materialität? Seit einigen Jahren scheint diese Frage zu einer Art Leitthema fotokünstlerischer Strategien geworden zu sein. Mehrere internationale Ausstellungen haben experimentelle, ästhetische oder historische Erkundungen dieses inzwischen gealterten Mediums zum Angelpunkt gemacht. Ist dies nicht angesichts der technischen und funktionalen Umbrüche im Gefolge der Digitalisierungen der Fotografie allzu verständlich, etwa als historische Reflexion des Analogen aus der Perspektive des digitalen Zeitalters?

Es sprechen gute Gründe dagegen. Das Seminar möchte über diese Frage in die künstlerischen und kunsthistorischen Diskurse um fotografische Materialität einsteigen. Hierbei wird sich zeigen, dass auch durchaus andere Entwicklungslinien zu ziehen sind. So zeigt sich etwa an der Analytischen Fotografie, dass bereits in den 1970er Jahren vergleichbare Ansätze wichtig wurden, für die ihrerseits so verschiedene künstlerische Modelle wie Konzeptualismus oder modernistische Malerei wichtige Impulsgeber waren. Das komplexe Verhältnis der Fotografie zur Kunst hatte seit jeher materialästhetische Dimensionen, wie sich im Fakturstreit von 1927, in der piktorialistischen „Plastizität“ oder schon in den Debatten um das fotografische Detail im 19. Jahrhundert erkennen lässt.

Und schließlich lassen sich in der jüngeren Diskussion unterschiedliche Begriffe von Materialität herausdestillieren, die natürlich nicht nur das analoge, sondern ebenso das „digitale Bild“ betreffen. Sie reichen von einer Untersuchung chemischer bzw. physischer Substanz über Taktilität, den technischen und rezeptiven Apparat bis zur sozialen und praktischen Funktionalisierung fotografischer Objekte. Die Ausgangsfrage ist also in den Plural zu setzen: Was sind die Materialitäten der Fotografie?

Literatur:
Batchen, Geoffrey: Vernacular Photographies, in: Ders.: Each Wild Idea. Writing, Photography, History. Cambridge, MA.: MIT Press, 2000, S. 57-80.
Blaschke, Estelle: The Revenge of Materiality, in: Dies.: Banking on Images: The Bettmann Archive and Corbis. Leipzig: Spector, 2016, S. 179-209.
Edwards, Elizabeth: Thinking photography beyond the visual? In: Photography. Theoretical snapshots, hg. von J.J. Long, Andrea Noble und Edward Welch. London: Routledge, 2009, S. 31-48.
Geimer, Peter: Bilder aus Versehen. Eine Geschichte fotografischer Erscheinungen. Hamburg: Philo Fine Arts, 2010.
Olin, Margaret: Tactile Looking, in: Dies.: Touching Photographs. Chicago: Chicago Univ. Press, 2012, S. 1-19.

Robert Kehl, Studium der Kunstgeschichte, Gender Studies und Philosophie in Berlin und Rom, abgeschlossen 2012 mit Magister Artium am Kunsthistorischen Institut der Freien Universität Berlin. Anschließend wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kolleg-Forschergruppe BildEvidenz. Geschichte und Ästhetik am KHI der FU. 2017 Promotion (bei Prof. Klaus Krüger u. Prof. Peter Geimer) zu ästhetischen und diskursiven Modi des Vergangenheitsbezugs im Werk Luc Tuymansʼ.
Das Postdoc-Projekt befasst sich unter eine materialästhetischen Perspektive mit fotografischer ‚Transparenz‘. Forschungsinteressen liegen im Bereich künstlerischer Geschichtsarbeit, insbes. von Verarbeitungen der Geschichte des Nationalsozialismus; der medialen Ausdifferenzierung von Fotografie und Malerei seit dem 19. Jh. sowie allgemein zeitgenössischer Malerei und Fotografie.