Die Begriffe des Bösen (Seminar)

Cord Riechelmann
Die Begriffe des Bösen

Seminar, 2 SWS, 2 LP
Dienstags, 16-20 Uhr, ca. 14tägig, 7 Termine: 16.4., 30.4., 14.5., 28.5., 11.6., 25.6., 9.7.2019
Hardenbergstr. 33, Raum 004

„Wenn man Zeitgenosse von Schrecken ist, dann ist es nie wahr, dass man sie nicht kennt“, schreibt Alain Badiou in einer autobiographischen Notiz. Badiou bezieht sich dabei auf seine Ankunft in Paris 1955 und die Schrecken – „Folter, Durchkämmen, systematische Vergewaltigungen“ – die die französische Armee und Polizei während des Algerienkrieges nicht nur in Algerien verbreiteten. Badiou schließt aus der Tatsache, dass eine Minderheit von Demonstranten zu dieser Zeit den Frieden will und sich dafür bei jeder Demonstration verprügeln lässt, den Schluss, dass man das Böse nur vom Guten her denken kann, in diesem Fall von der Wahrheit des Friedens her. Gut dreißig Jahre später kommt die amerikanische Künstlerin Cady Noland zu einer etwas anderen Diagnose. Der Böse, der Psychopath oder einfach der Manipulator am Machtpol wird bei Noland nicht mehr über den Mangel, über das was ihm fehlt, gedacht, sondern über seine Überanpassung. Der Böse oder auch das Böse ist bei Noland „übersozialisiert“. Ausgehend von der schon damals bekannten frappierenden Ähnlichkeit der Manipulationsspiele von männlichen Unternehmern und Psychopathen liefert Noland eine positive formal-systematische Beschreibung des Spiels der Manipulationen und der dazu benötigten Fähigkeiten. Fähigkeiten, die man von heute aus an Bret Easton Ellis Romanfigur „Patrick Bateman“ und am sehr realen KZ-Arzt Josef Mengele in der Version des Schrifstellers Olivier Guez sehr gut studieren kann. Guez beschreibt Mengele nämlich nicht als Monster, sondern als Produkt eines sehr konkreten Elitezuchtsystems, das so aktuell ist, wie es schon lange nicht mehr war, auch wenn es nie verschwunden war.
Im Seminar sollen Fragen nach dem Bösen und Guten nicht nur begriffsgeschichtlich, sondern auch medienhistorisch an ausgewählten Beispielen untersucht werden. Neben Nolands Text soll auch immer wieder an Arbeiten ihrer Kunst versucht werden zu zeigen, wie die Bildsprachen unserer Zeit Gut und Böse im Diesseits modulieren.

Literatur:
Badiou, Alain: Ethik. Versuch über das Bewusstsein des Bösen, Wien 2003.
Diederichsen, Diedrich: Verletzen, Wetten, Kontrollieren: Rückblick auf eine Metasprache. Essay im Booklet zur Cady
Noland Ausstellung im Museum für moderne Kunst (MMK) vom 27.10.2018-31.3.2019 in Frankfurt am Main.
Easton Ellis, Bret: American Psycho, Köln 1993.
Guez, Olivier: Das Verschwinden des Josef Mengele, Berlin 2018.
Noland, Cady: Towards A Metalanguage Of Evil/Zu einer Metasprache des Bösen. Geschrieben 1987, überarbeitet 1992, zweisprachig erschienen zur Dokumenta IX, Kassel, Edition Cantz, Stuttgart 1992.

Leistungsanforderungen für den unbenoteten Studium-Generale-Schein: regelmäßige, aktive Teilnahme.

Schwerpunkte:
Ausrichtung der Veranstaltung: orientierend, kritisch
Kompetenz/Aktivität der Teilnehmenden: reflektieren/denken, artikulieren

Cord Riechelmann, geboren 1960 in Celle, studierte Biologie und Philosophie an der Freien Universität Berlin. Er war Lehrbeauftragter für das Sozialverhalten von Primaten und für die „Geschichte biologischer Forschung“. Außerdem arbeitete er als Kolumnist und Stadtnaturreporter für die „Berliner Seiten“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Autor der Bücher „Bestiarium“ (2003) und „Wilde Tiere in der Großstadt“ (2004). 2008 erschien eine Sammlung der Stimmen der Tiere Europas, Asiens und Afrikas, 3 CDs bei kein und aber. Er kuratierte zusammen mit Marcel Schwierin das Sonderprogramm zum „Kino der Tiere“ bei den Kurzfilmtagen 2011 in Oberhausen. Zuletzt erschien das Buch „Krähen. Ein Porträt“ (2013) bei Matthes & Seitz. Riechelmann schreibt für diverse Zeitungen u. a. für die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, den Merkur, die taz und die jungle world. Er unterrichtet wiederkehrend im Studium Generale der Universität der Künste Berlin.