Interfaces zur Natur (Einführungsvorlesung/Seminar)

Prof. Dr. Thomas Düllo
Interfaces zur Natur

Einführungsvorlesung (Vorlesung ODER Seminar), Deutsch, 2 SWS, 2 ECTS
Dienstags, 18-20 Uhr, wöchentlich ab 22.10.2019,
Hardenbergstr. 33, Raum 158

Es sagt sich so leicht: „Ich gehe jetzt mal in die Natur“. Oder: „Sei natürlich“. Oder: „Die Natur verschwindet zusehends“. Oder: „Die Brückenkonstruktion orientiert sich nach Bauprinzipien der Natur“. Unabhängig davon, was in diesen Fällen unter Natur verstanden wird, stellt sich zunächst die Frage, welche Fenster, Schnittstellen und Zugänge zur Natur können gewählt und welchen Operationen dabei durchgeführt werden? Beobachtend, schmeckend, messend, beschreibend, durchmusternd, kultivierend, nutzend u.a.m. – und mit welchen Hilfsmitteln: Sprache, Mikroskop, Kamera, Analyse, Intuition, Kunst, Technik, Labor, Notation, Zeichnung, Fetisch etc. Damit stellt sich die Frage nach den Interfaces, nach den Schwellen und Übergängen zur Natur. Schon die liebgewonnenen, aber wackligen Leitdifferenzen Natur vs. Mensch, Natur vs. Kultur, Natur vs. Kunst, Natur vs. Technik stellen ja Interfaces mittels Unterscheidungen dar. Solche Interfaces eröffnen und verschließen die „Lesbarkeit der Welt“ (Blumenberg). Wir wollen einigen dieser Interfaces nachgehen.

Was heißt heute Natur, aber auch Natürlichkeit und Naturgegebenheit? Welche Zugangsweisen (Interfaces) und Methodiken sind hilfreich und lassen sich unterscheiden? Welche Repräsentationen von Natur lassen sich im kulturellen Raum identifizieren? Derartige und andere Fragen sollen in der Vorlesung aus einer vornehmlich kulturwissenschaftlichen und ästhetischen Perspektive ins Visier genommen werden – nicht systematisch, aber mit Blick auf ein paar relevante Felder des Natur-Diskurses. Helfen Unterscheidungen wie Natur Natur / Natur Kultur / Kultur Kultur? Befragt werden Philosoph*innen, Essayist*innen, Literat*innen, Künstler*innen und ihre Artefakte und Produktionen vorwiegend aus den letzten drei Jahrhunderten, und zwar nach ihrem MIT, WIDER und NACH der Natur.
Es wird gelesen, gedacht, getextet, kombiniert, gestaltet, gebildet, dargestellt.

In sieben Schichten und Kreisbewegungen wird das Thema konturiert:
1. Sammlung von Interfaces zur Natur

2. Nach der Natur I
- Natur nachmachen (Konzepte der Mimesis: Ähnlichkeit / Realismus / Simulation / Illusion)
- Natur und Natürlichkeit als Wert und Orientierung (Humboldt / Goethe / Rousseau / Romantik / Jonathan Franzen / Richard Powers)

3. Wider die Natur
- Brasilien aktuell
- Traurige Tropen (Levi-Strauss)

4. Mit der Natur
- Kombinatoriken
- Gestaltungen nach der Natur (Architektur, Design, Bionik)

5. Nach der Natur II

6. Animal Turn und Vertiefung
- Haraways „Unruhig bleiben“
- Metamorphosen in diversen Kunstprojekten, Filmen und Comics

7. Nature Writing
- Landschafts- und Geländenarrationen und -erkundungen
- Das Konzept der Reihe „Naturkunden“ im Verlag Matthes & Seitz

Literaturempfehlungen:
Aira, César: Eine Episode im Leben des Reisemalers, 2016.
Bühler, Benjamin / Rieger, Stefan: Bunte Steine. Ein Lapidarium des Wissens, 2014 (= Bd. 4 der Tetralogie über Wissensfiguren).
Calvino, Italo: Alle Cosmocomics, 1984.
Clarke, Roger: Naturgeschichte der Gespenster. Eine Beweisaufnahme, 2019.
Demuth, Volker: Der nächste Mensch, 2018.
Fischer, Ludwig: Natur im Sinn. Naturwahrnehmung und Literatur, 2019.
Haensch, K.D. / Nelke, L. / Planitzer, M. (Hg.) Uncanny Interfaces, 2019.
Haraway, Donna: Unruhig bleiben. Die Verwandtschaft der Arten im Chthuluzän, 2018.
Jullien, François: Von Landschaft leben oder das Ungedachte der Vernunft, 2016.
Kinsky, Esther: Am Fluß (2014) / Hain (2018) – zwei Geländeromane.
Latour, Bruno: Das terrestrische Manifest, 2018.
Lévi-Strauss, Claude: Traurige Tropen, 1955.
Person, Jutta: Korallen, 2019.
Wulf, Andra: Alexander Humboldt und die Erfindung der Natur, 2018.

Leistungsanforderungen für den unbenoteten Studium-Generale-Schein: kontinuierliche, aktive Teilnahme. Fundstücke der Teilnehmer*Innen werden in der Vorlesung auf die Bühne gebracht, und wir werden uns in Nature Writing und Nature Aesthetics versuchen.

Schwerpunkte:
Ausrichtung der Veranstaltung: orientierend, kritisch
Kompetenz/Aktivität der Teilnehmenden: reflektieren/denken, artikulieren

Thomas Düllo war erst Lehrer, dann Journalist. Gestartet als Literaturwissenschaftler, konvertiert zum Kulturwissenschaftler. Promotion über Joseph Roth, Habilitation über „Transformation und Kompetenzbildung“. Lehr- und Forschungsstationen Münster (Studiengangsleitung: Angewandte Kulturwissenschaften), Magdeburg (Studiengangsleitung: Cultural Engineering). Seit April 2009 Hochschullehrer an der Universität der Künste Berlin am ITPK und im Studiengang GWK. Im Fokus von Forschung, Lehre und Publikationen: Text, Kontext & Narration; Praxiszugänge und Praxistheorie; Materialität der Kommunikation; das Wissen der Künste und ihre Vermittlung; kulturwissenschaftliche Konsumforschung; Lesarten des städtischen Raums & der Popular Culture; Transformationsforschung.