Das Wissen der Literatur
Prof. Dr. Hans-Christian von Herrmann
Das Wissen der Literatur
Vorlesung, 2 SWS, 2 ECTS, offen
Donnerstags, 16-18 Uhr, wöchentlich ab 17.10.2019, Technische Universität, Straße des 17. Juni 135, 10623 Berlin, Hauptgebäude, Raum H 1028
Die Vorlesung fragt nach dem Wissen der Literatur. Dies zu tun, setzt voraus, daß sich diese Formulierung nicht von selbst versteht. Gibt es also so etwas wie ein spezifisches Wissen, das in der Literatur anzutreffen ist? Eine erste Antwort auf diese Frage könnte lauten: Das Wissen der Literatur ist das geschichtliche Verstehen des Menschen und seiner Lebensäußerungen. So hat es jedenfalls das 19. Jahrhundert gesehen und der Literatur daher eine maßgebliche Rolle im Gefüge der Geisteswissenschaften zuerkannt. Auch heute ist diese Aufgabenbeschreibung keineswegs obsolet, allerdings stellt sich durch die zunehmende Präsenz von technischem Denken und technischen Objekten im Alltag die Ausgangslage für die Literaturwissenschaft gänzlich anders dar. Denn der Mensch erscheint nunmehr zugleich als Produzent und Bewohner einer „zweiten Natur“, die ganz neue Abhängigkeiten mit sich bringt. So bewegt er sich nicht allein in einer Welt aus semantischen Zusammenhängen, sondern immer auch in einem Geflecht von materiellen und funktionalen Bedingungen, die ihre eigene Geschichtlichkeit besitzen. Dieser Wandel der Lebenswelt, der ein Prozeß der Verwissenschaftlichung und Technisierung ist, läßt sich in der Literatur gleichsam seismographisch nachvollziehen. Die Vorlesung wird dies anhand von ausgewählten Textbeispielen (u.a. Schiller, Kleist, Hoffmann, Kafka, Musil, Benn, Brecht, Enzensberger) zeigen und dabei in die Grundlagen und das Verfahren einer wissensgeschichtlichen Lektüre von Literatur einführen.
Hans-Christian von Herrmann leitet das Fachgebiet Literaturwissenschaft mit dem Schwerpunkt Literatur und Wissenschaft an der TU Berlin. In Forschung und Lehre widmet er sich dem Wandel der literarischen Kultur im Zeitalter von Kybernetisierung und Digitalisierung. Dies meint einerseits eine Beschäftigung mit der Literatur und anderen Künsten seit der Mitte des 20. Jahrhunderts bis in die Gegenwart, andererseits die Erarbeitung historischer und theoretischer Perspektiven, die das Verhältnis von Kunst, Technik und Wissenschaften epochen- und kulturübergreifend beleuchten. Besondere Schwerpunkte seiner Arbeit bilden der Streit der 'zwei Kulturen' seit dem 18. Jahrhundert und seine Kritik, das Verhältnis von Kunst und Automatisierung seit dem frühen 20. Jahrhundert sowie die mit der modernen Technik verbundenen Effekte der Planetarisierung. Er ist Mitglied in der Berlin International Graduate School in Model and Simulation Based Research der TU Berlin (BIMoS) sowie im Vorstand der Gesellschaft von Freunden der TU Berlin, außerdem ist er Mitglied im Verein Literarisches Colloquium Berlin und assoziiertes Mitglied im DFG-Graduiertenkolleg Das Wissen der Künste an der UdK Berlin.