Fiktion und Methode

Dr. Gerald Wildgruber
Fiktion und Methode

Seminar, 2 SWS, 2 ECTS, 5 Plätze
Donnerstags, 12-14 Uhr, wöchentlich ab 17.10.2019, Technische Universität, Straße des 17. Juni 135, 10623 Berlin, Hauptgebäude, Raum H 2051

Die Veranstaltung geht in historischer und systematischer Hinsicht möglichen Beziehungen der Begriffe von Fiktion und Methode nach, insbesondere wie diese sich als zentrales Merkmal wissenschaftlichen Arbeitens seit dem 17. Jh herausgebildet hat. Die dadurch in den Blick kommenden methodischen Aspekte der Fiktion und des Fingierens, die so den Charakter einer bestimmten Verfahrensweise des Geistes annehmen, erlauben es, das komplizierte Verhältnis von Literatur und Wissenschaften zu sondieren. Zu diesem Zweck widmet sich die Veranstaltung im ersten Teil der (auszugsweisen) Lektüre des Cartesischen Discours de la Méthode (1637). Diese Begründungsschrift des modernen wissenschaftlichen Methodenbewußtseins kommt dabei vor allem in seiner ungewöhnlichen Form, nämlich wesentlich eine Erzählung zu sein, in Betracht. Wir untersuchen die Bedeutung der Begriffe der Fiktion und des Fingierens (feindre), der Fabel und der Geschichte, die diese Begründung neuzeitlicher Wissenschaft und Philosophie paradoxerweise tragen, und die in ihrer Anstößigkeit unmittelbar Gegenstand der zeitgenössischen Kritik wurde. Diese erblickte in der Schrift wahlweise eine Art Roman, ein komplexes Gebäude aus reinen Hypothesen oder sogar den regelrechten Tagtraum eines Mathematikers. Der zweite Teil des Seminars nimmt diesen aufschlußreichen Zug der frühen Rezeption auf, um an seinem Leitfaden unerwartete affirmative Bezugnahmen auf Descartes im 20. Jh. von außerhalb der Philosophie im engeren Sinne zu studieren, und zwar insbesondere von Schriftstellern/Lyrikern. Uns interessieren hier paradoxe Formen dichterischen Nachlebens des Cartesischen Methodenentwurfs bei Autoren wie Valéry (z.B. Ein Abend mit Herrn Teste, 1896, eine Art Roman, aber auf wenige Seiten destilliert), Benn und auch Bense, dessen Argument der ursprünglichen Verortung der mathematischen Denkformen in der Kunst bedeutend ist. Die Veranstaltung hat eine offeneres Format und nimmt in manchem das „Plenum“ GKWT auf. Textgrundlage des Discours de la Méthode ist die zweisprachige Ausgabe bei Meiner (Hg. Ch. Wohlers, Hamburg 2011, PhB 624).

Literaturhinweise:
Wohlers, Ch. (Hrsg), Descartes, Réne, Discours de la Méthode, Meiner, Hamburg 2011.

Gerald Wildgruber, Studium der Allgemeinen und Vergleichenden Literaturwissenschaft, Philosophie und Romanistik in München und Paris. Maîtrise an der Sorbonne Nouvelle im Fach Littérature Générale et Comparée über die Form des Flaubertschen Spätwerks (Trois Contes, Tentation und Bouvard et Pécuchet) zwischen Kunst, Religion und Wissenschaft (Pratiques d’Exinanition. Sur la clôture flaubertienne du religieux). Dissertation an der Ludwig-Maximilians-Universität München zum Vergleich dichterischer und spekulativer Formgebung, Rhythmus und Logik, bei Hölderlin und Hegel (Studien zum Verhältnis von Natur und Kunst bei Friedrich Hölderlin und Georg Wilhelm Friedrich Hegel). Gegenwärtige Position: Qualifikationsstelle zur Habilitation am Fachgebiet Literaturwissenschaft der TU Berlin, Arbeit zur Fiktion als Methode im Grenzbereich zwischen Literatur und Wissenschaft (Paul Valéry und Stéphane Mallarmé als Leser Descartes’).