Was ist der Mensch: Natur- / Kulturwesen?

Prof. Dr. Philipp Hübl
Was ist der Mensch: Natur- / Kulturwesen?

Blockseminar, Deutsch/English, 2 SWS, 2 ECTS
Samstag/Sonntag, 10-18 Uhr, 16./17.11. und 14./15.12.2019, (ACHTUNG: NEUES DATUM!)
Hardenbergstr. 33, Raum 336

Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften (inklusive Soziologie und Kulturwissenschaften) konkurrieren darum, den Menschen zu verstehen und zu erklären. Beide Strömungen haben ihre Stärken und Schwächen.
Auf der einen Seite finden sich in den Geisteswissenschaften immer wieder fragwürdige Kulturdiagnosen, die der menschlichen Natur und den empirischen Daten widersprechen. Auf der anderen Seite zeigt die Geschichte, dass auch vordergründig neutrale Studien in den Naturwissenschaften manchmal ideologisch voreingenommen sind.
Der Streit um die Deutungshoheit über den Menschen hängt auch davon ab, welche Aspekte des menschlichen Lebens aus der Natur und welche aus der Kultur stammen. Die Frage danach kann man so formulieren: „nature or nurture“ – „angeboren oder erlernt?“ In den Geisteswissenschaften findet man häufig eine Extremposition, die besagt: Alles ist Kultur. Wir kommen auf die Welt als „tabula rasa“, als unbeschriebenes Blatt, auf dem die Umwelt durch Verstärkung ihre Spuren hinterlässt. In den Naturwissenschaften, vor allem der Psychologie und Biologie, ist eher ein Nativismus verbreitet, der besagt: Wir haben eine starke genetische Vorprägung, die durch die Evolution geformt wurde.
Weil sowohl Geistes- als auch Naturwissenschaften das Verständnis des Menschen erhellen, hat der britische Physiker Charles Percy Snow schon in den Sechzigerjahren eine „Dritte Kultur“ vorgeschlagen, einen Mittelweg, der beide Ansätze verbindet. Seine These könnte man überspitzt so zusammenfassen: Geisteswissenschaften ohne Naturwissenschaften sind leer, Naturwissenschaften ohne Geisteswissenschaft sind blind.
Sobald man sich das Zusammenspiel von Natur und Kultur vor Augen führt, kann man auch besser verstehen, warum im öffentlichen Diskurs so viele den naturalistischen Fehlschluss begehen, indem sie Normen von Fakten ableiten. So versuchen Rechtsextreme oft, ihre kruden Kulturideologien mit (pseudo-)wissenschaftlichen Theorien zu validieren: zum Beispiel mit rassistischen oder sexistischen Thesen, dass Weiße intelligenter als andere „Rassen“ oder Männer „von Natur aus“ Frauen überlegen seien.
Wir diskutieren im Seminar die Frage, was überhaupt eine gute Erklärung ausmacht, und beleuchten das komplexe Zusammenspiel von Natur und Kultur beispielhaft an Themen wie: moralischer Fortschritt, Emotionen, Intelligenz und Gender (weitere Vorschläge sind willkommen). Wir besprechen unter anderem Texte von Cordelia Fine, Jonathan Haidt, Sally Haslanger, Evelyn Fox Keller, Steven Pinker, Jesse Prinz, Matt Ridley, Hans Rosling, Michel Serres und Martin Schröder.

Leistungsanforderungen für den unbenoteten Studium-Generale-Schein: aktive, regelmäßige Teilnahme und Referat bzw. Präsentation.

Schwerpunkte:
Ausrichtung der Veranstaltung: orientierend, kritisch
Kompetenz/Aktivität der Teilnehmenden: reflektieren/denken, artikulieren

Philipp Hübl ist Philosoph und Autor der Bücher „Die aufgeregte Gesellschaft“ (2019), „Bullshit-Resistenz (2018), „Der Untergrund des Denkens“ (2015) und „Folge dem weißen Kaninchen“ (2012) sowie von Beiträgen zu gesellschaftlichen und politischen Themen, unter anderem in der Zeit, FAZ, taz, NZZ, auf Deutschlandradio und im Philosophie Magazin. Hübl hat Theoretische Philosophie an der RWTH Aachen, der Humboldt-Universität Berlin und zuletzt als Juniorprofessor an der Universität Stuttgart gelehrt. Studium der Philosophie und Sprachwissenschaft in Berlin, Berkeley, New York und Oxford. Weitere Informationen unter http://philipphuebl.com.