Ästhetische Begegnungen II: Bedeutungsvolle Veränderungsmomente

Prof. Dr. Gisela Linnen
Ästhetische Begegnungen II: Bedeutungsvolle Veränderungsmomente.
Musikalische Raum- und psychologische Zeiterfahrung kreieren und verändern (mit freier musikalischer Gruppenimprovisation)

Blockseminar, Deutsch/Englisch, 1-2 SWS, 1-2 ECTS (je nach Leistung), 12 Plätze
Samstags, 10:30-14:30 Uhr, 4 Termine: 19.10., 26.10., 2.11., 16.11.2024, Mierendorffplatz in der 2. Etage (Musiktherapie-Studiengang)

Anmeldung per Mail an g.linnen_ @udk-berlin.de

Veränderungsmomente in der Musik werden auf vielfältige unterschiedliche Arten erzeugt und bewegen sich, werk- und musikgeschichtlich eingebunden, in einem Kontinuum des klingenden ‚Davor‘ und ‚Danach‘. Bedeutungsvoll werden sie, weil ihre Entwicklungsprozesse Ausdruck von Logiken der musikalischen Raum- und Formenbildungen sind, denen in bestimmten Augenblicken etwas Besonderes, Individualisiertes, Persönliches anhaftet. Im musikalischen Verlauf können sie in Klangprozessen nachvollziehbar, zeitlich sukzessiv bis chronologisch linear erscheinen oder scheinbar verborgen entstehen, in Schichtenbildung irgendwie simultan, im Zusammentreffen von vielleicht Gleichzeitigem und Ungleichzeitigem nicht-lineare zeitliche Strukturen bündeln und überraschend wirken.  Psychologisch gesehen sind Veränderungsmomente grundsätzlich Ausdruck von notwendigen Entwicklungs- und Wachstumsaufgaben oder Reparaturprozessen und können aus inneren seelischen Zuständen von Not, Unsicherheit, Furcht, Bedrohung oder mit einem Gefühl innerer Beweglichkeit, Neugierde, Freude, Freiheit in Gang gesetzt erlebt werden. Sie können qualitativ spürbar werden als z.B. behutsam, belebend, befreiend oder hemmend, gewaltsam, unterdrückend. Sie können also sowohl subjektiv psychologisch als auch psychästhetisch musikalisch als bedeutungsvoller Moment des Anders-Werdens, der Richtungsänderung, aber auch als ein Neuanfang oder als eine Rückkehr zu Bekanntem, Altem erlebt und verstanden werden.

Auf Grundlage dessen bietet dieses Seminar an, mit freier musikalischer Improvisation in der Gruppe unvorhersehbare schöpferische Räume zu kreieren und in diesen anhand kollaborativer Werkprozesse einen sozialen Raum zu schaffen, der ermöglicht, individuelle Denkweisen und Empfindungen musikalisch zu entdecken, auszudrücken und intersubjektiv zu teilen. Ziel ist, in der musikalischen Gruppenarbeit zwanglose Beziehungen aufzubauen, in ihnen individuelles musikalisches Verhalten und Erleben zu spiegeln und beides in Gesprächs-Reflexionen miteinander auszutauschen. Der Fokus soll dabei darauf liegen zu untersuchen, wie besonders im Zusammenwirken von musikalischer Bewegungsdynamik und subjektivem Zeiterleben bedeutungsvoll aufgeladene Veränderungsmomente erzeugt werden und darin widersprüchlichen Eigenschaften von Veränderungsmomenten Raum gegeben werden kann.

Musikalisch wird sich dabei orientiert am ästhetischen Spielraum der Musiktherapie, in dem der Klang, das Tönen als narrativer Ausdrucksträger genutzt wird, um inneres Erleben – ins (Kunst-)Werk gesetzt – zu kommunizieren und zu bearbeiten. Für die Gesprächs-Reflexionen wird sich mit Hilfe des phänomenologischen Ansatzes der morphologischen Psychologie sowie anhand des Zugangs der Musiktheorie angenähert. Dadurch kann in der praktischen Arbeit des Seminars der Blick sowohl auf musikalische Strukturen, Materialdispositionen und Verfahrensweisen des musikalischen Materials wie auch auf psychologische Strukturen des Erlebens, Verhaltens und Empfindens gerichtet werden. Insgesamt soll eine Chance gegeben werden, expressive Vokabularien individuell und kollaborativ in der Gruppe im ästhetischen „Probehandeln“ zu entfalten und diese Erfahrungen in musikalischen Transformationsprozessen, musiktheoretisch begleitet, weiterzuentwickeln. Es sind keine musikalischen Vorkenntnisse nötig. Es wird vielfältiges Instrumentarium zur Verfügung gestellt.

Die Zahl der Teilnehmenden ist auf 12 Personen begrenzt. Es sind keine musikalischen Vorkenntnisse nötig. Es wird vielfältiges Instrumentarium zur Verfügung gestellt.

Leistungsanforderungen:
Für 1 ECTS:
Aktive und regelmäßige Teilnahme an allen Sitzungen. Zum Ende des Seminars soll eine formlose schriftlich angefertigte Reflexion der persönlichen Erfahrungen zum Seminarthema eingereicht werden (ca. 3 Seiten). Zur Anregung und Unterstützung wird ein pdf-Reader zur Verfügung gestellt.
Für 2 ECTS: Aktive und regelmäßige Teilnahme an allen Sitzungen. Zum Ende des Seminars soll eine Reflexion der persönlichen Erfahrungen zum Seminarthema in Form eines Essays (ca. 5 Seiten) eingereicht werden. Umfangreiche Lektüre des Readers wird vorausgesetzt.    

Gisela Linnen, Studium der Fächer Klavier, Musiktherapie und Musiktheorie an der Universität der Künste Berlin, Promotion im Fach Musiktherapie (Dr. phil.) an der WWU Münster. Derzeit tätig als Gastprofessorin für Musiktheorie an der UdK Berlin, klinische Musiktherapeutin in der ambulanten psychiatrischen und palliativen Versorgung in Berlin und Nürnberg und als Gastdozentin für Musiktherapieforschung im Master of Arts Therapies an der Codarts hoogeschool voor de kunsten in Rotterdam. Besonderes Forschungsinteresse an musikalischer Stilbildung und psychohistorischen Effekten.