Gegenwärtigkeit und Gleichzeitigkeit – als Experimente des Nebeneinander

Prof. Dr. Thomas Düllo
Gegenwärtigkeit und Gleichzeitigkeit – als Experimente des Nebeneinander und der Kombinatorik

Analoges Blockseminar, Deutsch, 2 SWS, 2 ECTS
ACHTUNG: neue Daten: Montag bis Donnerstag, 28.-31.3.2022, ganztägig, Hardenbergstr. 33, Raum 110

„Ultragegenwärtigkeit“, „Gerade Eben Jetzt“, „Jetztzeit“, so lauteten Emphasen für eine Konzentration auf die Gegenwart. Etwas anders, aber benachbart, ist die sozio-kulturelle, ästhetische wie politische Beobachtung der „Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen“ (Pinder, Bloch). Das meint zum einen: Nicht alle sind im selben Jetzt da. Zum anderen meint es ein Nebeneinander diverser Haltungen oder Strömungen. Es schwingt aber noch etwas Anderes mit. Nämlich: die Nähe vergangener Epochen, Stile, Haltungen, Ästhetiken zur Gegenwart. Wie der Projektgedanke (Renaissance + jüngste Moderne) oder die Gesamtdadaisierung der Kultur (1910/20er + 1980er/2010er Jahre). Es geht dabei immer auch um ein „Doing now“, ein „gegenwärtig machen“.

Das Seminar macht sich diese Idee der Gleichzeitigkeit und des Nebeneinander zunutze, um Gegenwärtigkeit besser beschreib-, erleb- und analysierbar werden zu lassen. Die Teilnehmenden werden in eine Versuchsanordnung geschickt, um solche Gleichzeitigkeit und Parallelität des Ungleichzeitigen und Diversen aufzuspüren, lesen zu lernen und selbst – im Verfahren einer Kombinatorik und eines Crossmappens – herzustellen und zu gestalten.
Wir streifen – unterstützt von relevanten Lektüren – zirkulierend folgende Aspekte der Gegenwärtigkeit, des Nebeneinander und des „Doing now“: Crossmappen und Kombinieren als Verfahren / Widersprüchlichkeit und Paradoxie / Das Nachleben von Artefakten („Warum fixt mich das noch oder wieder an?“) / Emphasen der Ultragegenwärtigkeit / Wider die Kohärenz / Parallelität ohne Parallelgesellschaften / Zu viel Gegenwart? / Tabugrenzen-verschiebung im Normalismus und weitere.

Literatur:
Bloch, E.: Ungleichzeitigkeit und Gleichzeitigkeit. In: Erbschaft dieser Zeit. Frankf./M. 1977, S. 111-126.
Borges, J.L.: Der Garten der Pfade, die sich verzweigen. In: Der blaue Tiger und andere Geschichten. München, S. 80-92.
Bronfen, E.: Crossmappings. Essays zur visuellen Kultur. Zürich 2009 (darin: Einleitung, S. 7-41).
Didi-Hubermann, G.: Das Nachleben der Bilder. Berlin 2010 (darin: S. 39-56).
Kastner, J. et al.: Popkultur-Debatte: Was ist kulturelle Aneignung? https://www.deutschlandfunk.de/popkultur-debatte-was-ist-kulturelle-aneignung.1184.de.html?dram:article_id=397105
Groys, B.: Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie. Frankf./M. 1999 (darin: Das Neue zwischen Vergangenheit und Zukunft, S. 23-28).
Greenblatt, S.: Die Zirkulation sozialer Energie. In: Verhandlungen mit Shakespeare. Frankf./M. 1993, S. 9-33.
Link, J.: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird. Opladen/Wiesbaden 2009. (Auszüge)
McGuire, R.: Here. Graphic Novel. Köln 2014.
Venturi, R.: Komplexität und Widerspruch. Basel 2003 (darin: Das unvermittelte Nebeneinander der Gegensätze, S. 84-104).
Schumacher, E.: Gerade Eben Jetzt. Schreibweisen der Gegenwart. In: M. Baßler/E. Schumacher (Hg.): Handbuch Literatur & Pop. Berlin, Boston 2019, S. 165-183.

Leistungsanforderungen für den unbenoteten Studium-Generale-Schein: Regelmäßige aktive Teilnahme. Lektüre ausgewählter Texte rund um das Thema „Gegenwärtigkeit und Gleichzeitigkeit“. Übernahme eines kommentierten Schaustücks.

Thomas Düllo, Literatur- und Kulturwissenschaftler mit akademischen Stationen Münster, Magdeburg, Berlin. Bis 2020 Universitätsprofessor für Texttheorie und Textgestaltung an der UdK Berlin im Studiengang Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation (GWK). Dem Studium Generale seit Jahren verbunden als Geschäftsführender Direktor (bis 2019) und als Lehrender. Seit der Pensionierung weiter trans- und interdisziplinär aktiv als Autor und Dozent in den Themengebieten: Text, Kontext & Narration; Praxiszugänge und Praxisforschung; Third Mission/Transfer; Material Culture, Popular Culture, Urban Culture; Transformationsforschung; das Wissen der Künste, der Literatur und des Materials / kulturwissenschaftliche Konsumforschung.