Neueste Erkenntnisse über Antisemitismus

In den letzten Jahren hat die Forschung zum Antisemitismus neue Dimensionen und Facetten eröffnet. Wissenschaftler*innen untersuchen nicht nur die historischen Wurzeln, sondern auch die aktuellen Erscheinungsformen und gesellschaftlichen Auswirkungen. Diese Studien beleuchten die Rolle von Medien, sozialen Netzwerken und politischen Diskursen bei der Verbreitung antisemitischer Stereotype. Die gewonnenen Erkenntnisse sind entscheidend für das Verständnis und die Bekämpfung von Antisemitismus in der heutigen Gesellschaft.

Neueste Studien

Dunkelfeldstudie

Die Dunkelfeldstudie von Heiko Beyer, Lars Rensmann, Hanna Brögeler, David Jäger, Carina Schulz bietet neue Einblicke in die Formen, Ausprägungen und das Vorkommen von Antisemitismus in der nordrhein-westfälischen Gesellschaft. Sie untersucht spezifische Kontexte, Milieus sowie geografische und demografische Faktoren. Besonders hervorzuheben ist das weit verbreitete „antisemitische Grundrauschen“ (Hanna Veiler, zitiert nach Schmidt 2024), das den dramatischen Anstieg antisemitischer Vorfälle seit dem 7. Oktober 2023 – von Graffitis bis zu Bedrohungen und körperlicher Gewalt – erklärt.

Die Studie unterscheidet vier Erscheinungsformen des Antisemitismus: religiöser Antisemitismus, moderner (oder tradierter) Antisemitismus, sekundärer (oder holocaustbezogener) Antisemitismus sowie israelbezogener Antisemitismus. Darüber hinaus werden drei Kommunikationsformen des Antisemitismus differenziert: offener (direkter), camouflierter (indirekt über Codes kommunizierter) und tolerierter Antisemitismus (Haltung zu antisemitischen Äußerungen anderer). Besonders der camouflierte Antisemitismus ist beim modernen Antisemitismus verbreitet, da dieser in der bundesdeutschen Gesellschaft oft als tabuisiert gilt.

Hier zum Download der Studie.

Beiträge im Sammelband: Antisemitismus zwischen Latenz und Leidenschaft

Der vorliegende Sammelband dokumentiert die „2. Interdisziplinäre Antisemitismustagung für Nachwuchswissenschaftler:innen“, die vom 12. bis 14. Oktober 2022 an der Universität Trier stattfand.

„Wir haben noch keinen Begriff davon und wir haben noch keinen Begriff dafür“ (Rabinovici 2024: 15). Was am 7. Oktober 2023 geschah, ließ selbst jene fassungslos zurück, die mit der jahrtausendealten Verfolgungsgeschichte der Jüdinnen:Juden bestens vertraut sind, die um die Pogrome in Antike, Mittelalter und Neuzeit wissen, sich intensiv mit der Geschichte des Holocausts auseinandergesetzt haben und sich mit antisemitischen Gewalttaten und Terrorismus in der Gegenwart tagtäglich befassen. Allen voran freilich Jüdinnen:Juden
in Israel und der Diaspora, die fast ausnahmslos in der eigenen Familiengeschichte mit Auslöschung, Verfolgung, Vertreibung, Enteignung und Diskriminierung konfrontiert sind. Mit dem Massaker der Hamas am 7. Oktober ist einmal mehr eine „genozidale Botschaft“ (Diner 2023) an alle Jüdinnen:Juden weltweit explizit ausgesprochen worden. „Der 7. Oktober war kein Terroranschlag. Er war der Beginn eines neuen globalen antisemitischen Krieges, in dem alle Jüdinnen und Juden sich angegriffen fühlen, weil sie alle angegriffen werden“ (Schapira 2024). Die Gewaltorgien der Hamas und ihrer Verbündeten sollten „ganz explizit und unmittelbar vermitteln, dass sich ein neuer Holocaust jederzeit wiederholen kann“ (Hartmann/Ebbrecht-Hartmann 2024: 67). Die Drohung sollte das ohnehin oftmals fragile Sicherheitsgefühl von Israelis und Jüdinnen:Juden weltweit in den Grundfesten erschüttern und ein existentielles Bedrohungsszenario eröffnen. Und tatsächlich markiert der 7. Oktober einen fundamentalen „Bruch“ (ebd.: 70), einen „Wendepunkt“: „Tatsächlich wurde den Juden an diesem Tag der Boden unter den Füßen weggerissen“ (Illouz 2024: 46). Der „Ausnahmezustand“ ist seitdem zum „Normalzustand“ (Ott 2024) geworden – nicht nur in Israel, sondern in jüdischen Gemeinden und für Jüdinnen:Juden weltweit." (Marc Seul, Luca Zarbock, Salome Richter, Franziska Thurau, Gina Krewer 2024).

Vorträge

Vortrag: Let's Talk | Jüdische Perspektiven auf Antisemitismus an deutschen Universitäten

LET’S TALK. Der 7. Oktober, der Krieg in Gaza und die Folgen in Deutschland

Vortrag von Prof. Dr. Julia Bernstein, Antisemitismusforscherin an der Frankfurt University of Applied Sciences und Vorsitzende des Netzwerks jüdischer Hochschullehrender in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Kurz vor dem ersten Jahrestag des 7. Oktober lud die Bildungsstätte Anne Frank vom 23. bis 25. September 2024 an drei Fokustagen zur Auseinandersetzung mit den Folgen des Terrors und des Gaza-Kriegs auf die Gesellschaft in Deutschland ein. Auch hier bildet der 7. Oktober 2023 eine Zäsur: Seit dem Überfall der Hamas und dem Krieg im Gaza-Streifen sind Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus in erschreckender Weise angestiegen. Es herrscht ein Klima der Angst – bei jüdisch und muslimisch gelesenen Menschen vor Angriffen und Ausgrenzung. Und in der Mehrheitsgesellschaft große Unsicherheit: Wie sich positionieren? Wie überhaupt über den Israel-Palästina-Konflikt sprechen? Bildungseinrichtungen sind ganz besonders von der aktuellen Situation betroffen. Wie können sie Orte des kontroversen Austauschs bleiben (oder werden) – und gleichzeitig Menschen vor Diskriminierung schützen? Wie können sie mit Protesten umgehen? Wie auf Hass und Polarisierung im Netz reagieren? Drei Fokustage widmeten sich den Schwerpunktbereichen Schule, Hochschule und NGOs.