Die Ära Gustav Hollaender, 1894-1915
Literatur
Wilhelm Klatte, Ludwig Misch: Stern’sches Konservatorium der Musik Gustav Hollaender, 1850-1925. Festschrift zum 75-jährigen Jubiläum. Berlin 1925.
Nach Jenny Meyers Tod 1894 erwarb Gustav Hollaender das Stern’sche Konservatorium der Musik von der Familie Stern.
Gustav Hollaender, 1855 als eines von 13 Kindern eines jüdischen Arztes geboren, hatte als Geiger zu den ersten Schülern Joseph Joachims an der Berliner Hochschule für Musik gehört. Er löste sich aber vom „Geist der Hochschule” und wurde ein Anhänger Richard Wagners. Sein Bruder war Victor Hollaender, Komponist von Operetten und Revuen, dessen Sohn, Friedrich Hollaender, heute wohl das bekannteste Mitglied der Musiker-Familie Hollaender sein dürfte. Auch der Schriftsteller, Kritiker, Dramaturg und Regisseur Felix Hollaender, der eng mit Max Reinhardt zusammenarbeitete, ist ein Bruder Gustav Hollaenders. Dieser war vor der Übernahme des Stern’schen Konservatoriums Konzertmeister des Gürzenich-Orchesters in Köln, wirkte aber nicht nur als Violinist, sondern auch als Kapellmeister. So war er etwa 1911 als Dirigent an der Premiere der Pantomime „The Miracle” in der Inszenierung von Max Reinhardt mit der Musik von Engelbert Humperdinck beteiligt.
Unter der Leitung Gustav Hollaenders öffnete sich das Stern’sche Konservatorium für die „neudeutschen” Strömungen im Musikleben, die im Jahrzehnt zuvor innerhalb der großen Berliner Ausbildungsstätten nur am Konservatorium Klindworth-Scharwenka Fuß fassen konnten. Das Stern’sche Konservatorium erlebte, begünstigt durch den Wohlstand der wilhelminischen Ära, eine rasante Entwicklung: Als Hollaender die Schule übernahm, hatte sie 193 Studierende, im Vorkriegsjahr 1913/14 besuchten 1054 Schüler*innen das „Hauptinstitut”, das seit 1899 im Vorderhaus der Berliner Philharmonie, Bernburger Straße 22a/23, untergebracht war. Hinzu kam seit 1906 eine Zweiganstalt in der Charlottenburger Kantstraße. Dieser Anstieg der Schüler*innenzahl kam trotz hoher Unterrichtsgebühren zustande.
Zu den Lehrer*innen zählten Komponisten wie Hans Pfitzner und – für kurze Zeit – Arnold Schönberg, ferner damals berühmte Interpret*innen und Pädagog*innen wie die Sängerin Mathilde Mallinger, die Pianistin Teresa Carreño, der Klavierpädagoge Martin Krause und andere mehr. Imponierend ist die Zahl der ausländischen Studierenden, die aus den verschiedensten Ländern kamen, besonders aus Russland und Polen.
Gustav Hollaender war Musiker und Unternehmer zugleich. Am Stern’schen Konservatorium löste er die früheren „rein patriarchalischen Verhältnisse” durch rationale Organisationsformen ab. Wie Julius Stern war er ein Pionier, der Großes aus eigener Initiative auf die Beine zu stellen vermochte. Er starb am 4. Dezember 1915. „Tausende füllten den großen Philharmoniesaal bis auf den letzten Platz, als das Konservatorium […] eine musikalische Gedenkfeier […] veranstaltete”. Auf dem Programm stand unter anderem Hollaenders Violinkonzert op. 66, mit Erich Hollaender, einem weiteren Familienmitglied, am Pult.