Projektbeschreibung
Autonomie und Funktionalisierung eine kulturhistorisch-ästhetische Analyse der Kunstbegriffe in der Bildenden Kunst in Berlin seit den 1990er Jahren bis heute
Zielsetzung des Forschungsprojektes
Ziel des Forschungsprojekts ist es, anhand einer Analyse der Entwicklung der Berliner bildenden und performativen Künste seit den 1990er Jahren im Vergleich mit anderen Kunstorten exemplarisch gegenwärtige Formen der Neuverhandlung des Verhältnisses von Autonomie und Funktionalisierung zu klären. Mit Autonomie und Funktionalisierung macht das Forschungsvorhaben dabei zentrale und konträr gedachte Begriffe sowohl der künstlerischen Produktion und Theoriebildung als auch der philosophischen Ästhetik zum Thema. Es verfolgt dabei das Ziel, komplexe und im Prozess befindliche Konzeptionen, die sich historisch herausgebildet haben, in einer dynamischen theoretischen Struktur neu zusammenzufassen und die Entwicklungen in Berlin zu denen in anderen Orten (insb. London, Wien, Warschau) ins Verhältnis zu setzen. Die Methode des interdisziplinär angelegten Forschungsvorhabens liegt dabei in einer Vermittlung philosophisch-ästhetischer Theorie mit kunsthistorischen, soziologischen, urbanistischen und künstlerischen Perspektiven, die ein je eigenes Verständnis von Autonomie und Funktionalisierung aufweisen. Dabei zeigt sich für alle Disziplinen die Herausforderung, Autonomie und Funktionalisierung interdependent zu denken, da ein herkömmlicher Begriff der Autonomie gegenwärtigen künstlerischen Praktiken nicht mehr gerecht wird.
Dem Projekt liegt die Überzeugung zu Grunde, dass sich philosophisch-ästhetische Theorie als Reaktion auf zwei verschiedene Referenzen weiter entwickelt: Einerseits knüpft sie an den Debattenstand innerhalb der Ästhetik an, andererseits versucht sie, einer sich verändernden künstlerischen Praxis gerecht zu werden. Diese Praxis soll durch breit angelegte Feldstudien erforscht werden, die sich zur ästhetischen Theoriebildung als ein eingreifendes Korrektiv verstehen lässt. Die empirischen und begrifflichen Perspektiven sollen ausgehend von einer Analyse der Berliner Kunst und dem Vergleich mit künstlerischen Entwicklungen in ausgewählten Orten seit den 1990er Jahren miteinander verzahnt werden. Der Kulturtheorie, Kultursoziologie und Kunst sowie der in ihnen erforschten Produzentenperspektive wird damit eine konstitutive Rolle für die Theoriebildung eingeräumt. Die produktionsästhetischen Bedingungen in Berlin und anderen Städten werden gleichwohl in den Kontext einer rezeptionsästhetisch gedachten Ästhetik gestellt und damit auf aktuelle ästhetische Debatten zum Verhältnis von Autonomie und Heteronomie der Kunst rückbezogen. Die in sechs Teilprojekten zu erarbeitenden kunsthistorischen, kulturpolitischen und soziologischen Erkenntnisse sollen derart auf die Theoriebildung im Sinne von Korrektiv, Befragung und Ergänzung bezogen werden. Das interdisziplinäre Forschungsvorhaben soll somit einerseits zu einem Verständnis der Entwicklungen der Berliner Kunstszenen seit den 1990er Jahren im Verhältnis zu anderen Orten beitragen, wie es andererseits ein Beitrag zur ästhetischen Theoriebildung sein wird.
Der Kontext der Berliner Kunstszene seit 1990
Berlin bildet insofern ein exemplarisches Untersuchungsfeld für das Forschungsvorhaben, als sich seit den 1990er Jahren durch den permanenten Zuzug von Künstler*innen, aber auch Sammler*innen, Kritiker*innen, Kurator*innen und Galerien das Kunstfeld sowohl ausdifferenziert als auch dynamisiert hat. Im Gegensatz zu dem bisherigen westdeutschen Kunstzentrum Köln bot Berlin in den 1990er Jahren verfügbare und urbane Brachen und undefinierte Zwischenräume. Zugleich hat es sich als wesentlicher Faktor auf dem internationalen Kunstmarkt etabliert, was es im Rahmen der Projektarbeit zugleich auch kritisch zu beleuchten gilt. Bedingt durch den im Kalten Krieg ausgetragenen Wettstreit der politischen Systeme haben sich verschiedene ästhetische und politische Diskurse ausgebildet, die durch die Entwicklung der Kunstszene Berlins nach dem Mauerfall unter besondere Herausforderungen gestellt worden sind. In der Berliner Kulturpolitik verschränken sich seit der Hauptstadtentscheidung 1991 zudem mehrere politische Ebenen: neben der bezirklichen Ebene spielen die Bundesebene und EU-Ebene eine Rolle. Es verdichten sich in den Berliner Debatten somit historisch, ästhetisch und politisch bedingte Kunst- und Kulturbegriffe, die im Rahmen des Forschungsprojektes konkret und zugleich exemplarisch auf die Frage nach den in ihnen artikulierten Verständnissen von Autonomie und Funktionalisierung hin aufgearbeitet und systematisiert werden sollen. Im Sinne historischer Zäsuren lassen sich Berlin im Kalten Krieg, Berlin in der Umbruchphase der 1990er Jahre und Berlin als Hauptstadt unterscheiden.
Berlin erweist sich als konkreter und exemplarischer Ort, an dem sich – wie die skizzierte historische Entwicklung aufzeigt – ein physischer, diskursiver und sozialer Kulturraum aufspannt, der unter Rekurs auf Aspekte wie die Ost- und West-Sozialisation, die Kiezkultur und Hauptstadtrepräsentation die künstlerische Praxis als eine solche verständlich werden lässt, im Rahmen derer jeweils spezifisch das Verhältnis von Autonomie und Funktionalisierung neu ausgehandelt wird. Neben der Exemplarität Berlins ist aber auch seine Besonderheit zu fassen und in der Theoriebildung zu berücksichtigen. Um seriöse Verallgemeinerungen zu treffen, ist ein Vergleich mit anderen Standorten, an denen sich die bildende Kunst u.U. anders entwickelt hat, vonnöten. In einem solchen Vergleich soll es um die Besonderheit Berlins als sich bildender Regierungsstandort gehen, aber auch um Fragen postsozialistischer sowie neoliberaler Transformationsprozesse.
Verortung und geplanter Ablauf des Forschungsprojektes
Das Forschungsprojekt verortet sich insgesamt in drei bestehenden Diskussionszusammenhängen: Einerseits (A) schließt es an die Diskussion jüngerer künstlerischer Entwicklungen in der Kunst selbst an, (B) befördert es eine kulturwissenschaftlich-soziologische Erforschung der skizzierten Phänomene. Andererseits (C) knüpft das Projekt an die philosophisch-ästhetische Theoriebildung zum Begriff der Autonomie der Kunst an.
Dass das Verhältnis von Autonomie und Funktionalisierung der Kunst gegenwärtig zur Disposition steht, lässt sich anhand vier jüngerer Formen künstlerischer Praxis und Diskursivierungen ersehen, die mit Blick auf die Berliner und internationale Kunstszene seit den 1990er Jahren konkretisiert werden sollen: Politische Kunst, Kunst als gesellschaftliche Arbeit, Partizipative Kunst und Kunst als Form des Wissens.
Für das Forschungsprojekt ist eine Dauer von drei Jahren (2017 – 2019) vorgesehen. Folgende drei Arbeitsschritte sollen durchgeführt werden. In einem ersten Schritt soll der Diskussionsstand zur Frage der Autonomie und Funktionalisierung von Kunst erarbeitet werden. Dazu sollen neben einschlägigen kunsthistorischen, soziologischen und philosophisch-ästhetischen Arbeiten auch die künstlerischen Selbstverständnisse berücksichtigt werden. In einem zweiten Schritt soll dieser Stand auf die Entwicklung der Berliner Kunst seit den 1990er Jahren im Vergleich mit den aufgezählten Städten bezogen werden. Dazu gilt es erstens, gemeinsam das Material – wesentliche Akteure, relevante Orte, tragende Institutionen, kulturpolitische Entscheidungen und existierende Forschungsliteratur – aufzuarbeiten, zweitens, nach einer Zusammenführung und Konkretion der Ergebnisse und Diskurse zu fragen und drittens eine Taxonomie unterschiedlicher Verständnisse von Autonomie und Funktionalisierung zu entwerfen. Diese soll schließlich drittens in das etablierte diskursive Feld derart rückübertragen werden, dass ausgehend von der systematisch erarbeiteten Entwicklung der Berliner Kunst im Vergleich zu den anderen Orten ein neues dynamisches und plurales Verständnis des Verhältnisses von Autonomie und Funktionalisierung der Kunst formuliert wird. Diese gemeinsamen Arbeitsschritte sollen durch das Zusammenspiel von sechs Teilprojekten, die zugleich jeweils selbstständige Forschungsziele erarbeiten, erreicht werden.