Die Funktionalität der Künste. Aktuelle Perspektiven

Mittwoch, 14. Februar 2018, 17–19 Uhr

X. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Ästhetik
Die Funktionalität der Künste. Aktuelle Perspektiven.
Panel mit Judith Siegmund (Chair), Stefan Deines, Birgit Eusterschulte, Christian Krüger, Séverine Marguin

Hochschule für Gestaltung, Raum 101
Schloßstraße 31, 63065 Offenbach am Main
 

Die Frage nach der Funktion oder Funktionalität der Kunst ist in der Geschichte der Ästhetik oft gestellt worden. Von der Antike über Schiller und Hegel bis zu Adorno und der Analytischen Ästhetik ist die Kunst in Bezug auf ihren pädagogischen, moralischen oder epistemischen Nutzen bestimmt worden. Das Panel dient dazu, diese Frage neu aufzunehmen und in interdisziplinärer Perspektive zu reflektieren. Drei Gründe lassen eine weiterführende Diskussion notwendig und fruchtbar erscheinen:

1. In den Debatten um die Funktionalisierung wurde selten eine genauere Bestimmung des Funktionsbegriffs vorgenommen; Funktion stand zugleich für Zweck, Nutzen oder Instrumentalisierbarkeit, wobei die Kunst nach der Denk gur der ‚Zweckmäßigkeit ohne Zweck‘ häufig als gleichzeitig funktional wie auch autonom gegenüber anderen zweckgerichteten Praktiken betrachtet wurde. Dass die Frage nach der Funktionalität der Kunst überdies in soziologischen Debatten (etwa bei Luhmann), im kunstwissenschaftlichen Diskurs (z.B. W. Busch) oder in der evolutionären Ästhetik diskutiert wird, führt zu einer noch größeren Vielfalt von Konzepten, die einer vergleichenden Untersuchung und Klärungsbedarf. 

2. Es ist eine in den aktuellen Diskursen über Kunst verbreitete Annahme, dass es theoretisch vielversprechend ist, Kunst von ihrem (funktionalen) Zusammenhang mit nicht-künstlerischen Praktiken her zu denken. In der Philosophie stehen hier exemplarisch Georg W. Bertram (2014) und Alva Noë (2015), die beide das reflexive und transformatorische Potential der Kunst betonen, sowie Ursula Brandstätter (2013), die Kunst in ihrer Bedeutung für außer-künstlerische Wissenspraktiken zu begreifen versucht. In der Soziologie sieht Andreas Reckwitz (2012; 2015) in der Kunst den Schrittmacher einer Transformation moderner Gesellschaften, und in der Theaterwissenschaft entwickeln z.B. Matthias Warstat et al. (2015) eine Theorie performativer Intervention mit gesellschaftlichem Nutzen.

3. In vielen Fällen reagiert die Wissenschaft damit auf eine veränderte zeitgenössische Kunstpraxis, die beinahe selbstverständlich den Anspruch hat, Entwicklungen jenseits der Kunst anzustoßen, was zur Folge hat, dass sie auch zuneh- mend als gesellschaftlicher Funktionsträger angesehen wird. Diese funktionale Modifikation der künstlerischen Praxis erfordert eine theoretische Beschreibung und Analyse. 

Die PanelistInnen kommen aus drei verschiedenen Forschungszusammenhängen in Berlin, die sich aus unterschiedlichen Fächerperspektiven mit dieser und ähnlichen Fragestellungen beschäftigen. 

 

Die Funktionen der Kunst in der pragmatistischen Ästhetik
Stefan Deines
Freie Universität Berlin

Der Vortrag widmet sich der pragmatistischen Ästhetik (wie sie sich vor allem bei John Dewey, in seiner Nachfolge aber etwa auch bei Richard Shusterman und Richard Rorty formuliert findet), um zu erörtern, inwieweit es sich dabei um einen theoretischen Ansatz handelt, mit dem sich der Wert bzw. die Bedeutsamkeit künstlerischer Prakti- ken angemessen beschreiben lässt. 

Der überzeugende Grundzug pragmatistischer Ästhetik ist es, Kunst nicht in Abgrenzung zu oder als Bruch mit Praxis zu fassen, sondern sie im Gegenteil als eine Praxis zu begreifen, die in besonderen Verhältnissen mit den ande- ren gesellschaftlichen Praktiken steht. Aufgrund ihres expressiven und imaginativen Potentials ermöglichen die Praktiken der Kunst eine Artikulation und Verwandlung bestehender Dispositionen, Orientierungen und Überzeugungen – weshalb sie eine kritische, ethische, pädagogische oder welterschließende Relevanz besitzen. Der Wert der Kunst besteht danach in ihrer Funktion, eine reflexive und transformative Auseinandersetzung mit der je eigenen Stellung als in historische, soziale und normative Praktiken involviertes Wesen zu ermöglichen.

Der Vortrag orientiert sich insbesondere an drei leiten- den Fragestellungen: Inwieweit gelingt es der pragmatistischen Ästhetik, in Abgrenzung zu autonomistischen Ansätzen einerseits und zu instrumentalistischen Ansätzen andererseits, einen überzeugenden Begriff der Funktionalität der Kunst zu entwickeln? Worin besteht das kritische und politische Potential der Kunst und wodurch unterschei- den sich die Praktiken der Kunst von anderen kritischen bzw. politischen Praktiken? Inwieweit gelingt es einem pragmatistischen Ansatz (mit seinem im Hintergrund stehenden Konzept einer einheitlichen ästhetischen Erfahrung) den Werken, Installationen und Interventionen der gegenwärtigen Kunst in ihrer Vielfalt gerecht zu werden?  

 

Funktionalisierungen am Material.
Zu zeitgenössischer Kunstpraxis und Funktionsbestimmung in der Kunstwissenschaft

Birgit Eusterschulte
Freie Universität Berlin 

Die Frage nach der Funktionalität eines Werkes ist der Kunstgeschichte keineswegs fremd, gehört sie doch zum Instrumentarium kunsthistorischer Kategorisierungen etwa nach darstellenden oder religiösen Funktionen. Innerhalb der Disziplin ist der Begriff selbst jedoch wenig reflektiert worden (Weddigen, 2004). Eine Ausnahme bildet das Funkkolleg „Eine Geschichte der Kunst im Wandel ihrer Funktionen“ (1987) unter der Leitung von Werner Busch, welches den Funktionsbegriff in Relation zum Wandel gesellschaftlicher Normen als methodischen Zugang zu einer Geschichte der Kunst wählt. Mit den kulturwissenschaftlichen Erweiterungen der Kunstwissenschaften und einer sozialhistorisch orientierten „Kunst im Kontext“ setzt sich jedoch der Begriff des Kontextes durch, der anders als die Funktion keine zu enge Zweckbindung (Belting, 1995) oder ein mechanistisches Verständnis wachruft.

Insbesondere seit den 1990er Jahren zeigen sich jedoch Künstler*innen wenig besorgt um eine ,zweckmäßige‘ Einbindung in außerkünstlerische Bereiche – ganz im Gegenteil treiben sie in Form einer kritischen Auseinandersetzung mit gesellschaftspolitischen Themen und in partizipativen Modellen eine Funktionalisierung künstlerischer Praxis voran. Vor diesem Hintergrund gewinnen funktionsanalytische Ansätze wieder an Aktualität und es stellt sich die Frage, wie diese auf eine gegenwärtige künstlerische Produktion antworten. Der Vortrag verfolgt an den Materialisierungen und Handlungsformaten einzelner Werke, wie das Anliegen einer gesellschaftlichen und politischen Relevanz künstlerischer Praxis sich im Werk formuliert. Zwei Aspekte stehen dabei im Vordergrund: Welchen Stellenwert räumt eine auf gesellschaftliche Wirksamkeit orientierte Praxis einer ästhetischen Funktion ein? Wie werden eigene und von außen angetragene Funktionsbestimmungen im Werk kritisch reflektiert? 

 

Wolf im Schafspelz. Autonomieästhetik in funktionalen Bestimmungen von Kunst
Christian Krüger
Freie Universität Berlin 

In der deutschsprachigen Ästhetik dominieren seit Langem autonomieästhetische Positionen. Diesen zufolge gilt es, die Praxis der Kunst in Abgrenzung zu den Zwecken und Formen nicht-künstlerischer Praktiken zu bestimmen. Gegenwärtig werden aber Stimmen lauter, die Kritik an dieser Theorietradition üben (z.B. Bertram). Es wird kritisiert, dass es der Autonomieästhetik infolge dieser Abgrenzung nicht gelingt, die Funktion oder den Wert der Kunst im Rahmen der menschlichen Praxis insgesamt zu erläutern. Es wird geltend gemacht, dass nicht die Unterscheidung von Kunst und Nicht-Kunst an den Anfang des Nachdenkens über Kunst gehört, sondern eine Explikation gerade des Zusammenhangs von Kunst und Nicht-Kunst. Im Zuge der Explikation dieses Zusammenhangs lässt sich die Autonomie der Kunst als Spezifik ihres Bezogenseins auf Nicht-Kunst erläutern. 

Schaut man über den Tellerrand dieser Debatte hinaus, zeigt sich, dass es in der englischsprachigen Ästhetik eine zu dieser deutschen Entwicklung geradezu inverse Bewegung gibt. Gaben in der dortigen analytischen Ästhetik im Zuge des Versuches einer De nition der Kunst vor allem funktionalistische Bestimmungen der Kunst den Ton an (z.B. Iseminger, Stecker), sind gegenwärtig verstärkt autonomieästhetische Stimmen zu vernehmen (z.B. Hulatt et al., Osborne). 

Diese Gegenläufigkeit nimmt der Vortrag zum Anlass einer schlaglichtartigen Gegenüberstellung beider Entwicklungen. Die These ist, dass es für die hierzulande im Zeichen des Funktionsbegriffs unternommenen Absetzungsbewegungen von der Autonomieästhetik lehrreich ist, den Umschwung in der englischsprachigen Debatte besser zu verstehen. Es zeigt sich nämlich, dass dort große Teile
der funktionalistischen Bestimmungen von Kunst innerhalb der Grenzen der Autonomieästhetik verbleiben. Das vermeintliche Revival des Autonomiebegriffs ist insofern keines. Auf diese Weise zeigt der Vortrag, wie ein Funktionsbegriff verfasst sein muss, der eine Alternative zur Autonomieästhetik eröffnen will. 

  

Funktionalisierungsdiskurs empirisch erforschen. Ein soziologischer Beitrag
Séverine Marguin
Humboldt-Universität zu Berlin 

Der Vortrag zielt darauf ab, einen empirischen Beitrag aus der soziologischen Perspektive der Diskursforschung zur Frage der Funktionalisierung der Kunst zu leisten. In diesem Sinne geht es darum, das Wort der Akteure des Kunstfeldes selbst empirisch aufzugreifen und ihre Deutungen der Wechselverhältnisse zwischen Kunst und Gesellschaft zu analysieren. Ich folge der foucaultschen Annahme, dass diese Diskurse nicht nur die Kunstpraktiken abbilden, sondern zugleich konstituieren bzw. formieren. Untersucht wird „die diskursive Praxis“, die in einem Feld die Begriffe mit Bedeutung füllt (nach Diaz-Bone).

Für diesen Vortrag soll die Fragestellung zur Funktionalisierung auf die Frage des Sozialen eingeschränkt werden: Mich interessiert in erster Linie die Wahrnehmung und Kommentierung der Kunstpraktiken, die zur Gattung der Partizipativen Kunst oder Kontextkunst, im englischsprachigen Diskurs auch Community Arts, Social Practice oder Social Works, gehören (nach Siegmund). Wie wird seit den 1990er Jahren im deutschsprachigen Kunstfeld über diese Praktiken gesprochen? Können differenzierte Deutungen bezüglich ihrer potentiellen Funktionalität je nach Positionierung der Akteure im Feld beobachtet werden?

Methodisch wird eine kontextualisierte quantitative Inhaltsanalyse durchgeführt. Der Textkorpus setzt sich aus einer Textauswahl von drei Kunstzeitschriften zusammen, die jeweils Fürsprecher eines spezifischen im Sinne eines relativ autonomen bzw. heteronomen Poles des Kunstfeldes sind. Die quantitative Inhaltsanalyse, die eine Frequenz-, eine Bewertungs- und eine Kontingenzanalyse umfasst, soll in Anlehnung an Fairclough ermöglichen, die intrinsischen Eigenschaften des Diskurses als ein Schlüsselelement seiner Interpretation hervorzuheben. Ziel ist es zu zeigen, wie soziale Kunstpraktiken diskursiv gestaltet werden und wie sie wiederum diskursive Auswirkungen auf das Kunstfeld haben. 

 

Vollständiges Programm des X. Kongresses: Programm