Die Hochschule für Musik und die Berliner Philharmoniker
Die Hochschule für Musik und die Berliner Philharmoniker
Auf der Spur des Hochschulorchesters
Es ist wenig bekannt, dass die Berliner Hochschule für Musik und das Philharmonische Orchester in den Jahren ihrer Entstehung für kurze Zeit eng zusammengearbeitet haben. Der Konservatoriumsgründung 1869 lag die Idee zugrunde, aus der Schule heraus ein Orchester aufzubauen. Einen geschichtlichen Augenblick lang schien es mit der Gründung der Philharmoniker 1882 erfüllt werden zu können. Auch in der Weimarer Zeit und im „Dritten Reich“ gab es Verbindungen.
Die Berliner Hochschule für Musik hatte von Anfang an den Auftrag, ins Musikleben auszustrahlen. Laut Statut von 1882 besaß sie eine doppelte Aufgabe: „einestheils die allseitige höhere Ausbildung für sämmtliche Gebiete der Musik“, „anderntheils“ aber „die Veranstaltung musikalischer Aufführungen unter Verwerthung der von ihr ausgebildeten Kräfte“. Zum Ausbildungsauftrag kam ein Aufführungsauftrag – nominell gleichwertig – hinzu.
Die Ambitionen des Hochschulgründers Joseph Joachim gingen sogar darüber hinaus. Er wollte aus der Schule heraus ein Orchester schaffen. Knapp zweieinhalb Jahre, nachdem die Hochschule im September 1869 in bescheidenem Rahmen ihre Tore geöffnet hatte, im Januar 1872, hielt sich Joachim in St. Petersburg auf, wo zehn Jahre zuvor ein Konservatorium gegründet worden war. An seine Frau Amalie schrieb er: „Meine Idee, daß aus für die Sache begeisterten Studirenden ein Orchester zu bilden sei, und daß von diesem Mittelpunkt aus ein edler, unabhängiger Styl für die Ausführung der großen Meisterwerke herausgebildet und conservirt werden muß, um das Publikum zu erziehen, ist richtig“. Gegen den Sog des Vielfältigen, Beliebigen und Banalen im Konzertwesen bot Joachim eine Bildungsidee auf.
Der innerdeutsche Vergleichspunkt für die entstehende Berliner Hochschule war Leipzig. Dort gab es bereits seit 1843 ein Konservatorium. Dessen Verbindung mit dem Gewandhaus sollte nach Joachims Wunsch eine Berliner Entsprechung bekommen. Nur musste die Reihenfolge der Gründungen in der preußisch-deutschen Hauptstadt genau umgekehrt sein: Als Erstes wurde die Ausbildungsstätte errichtet, und aus ihr werde, so Joachims Hoffnung, ein qualitativ hochwertiges Orchester erwachsen.
Aber wie erging es diesem Erziehungsplan in der Wirklichkeit? Konnte er den Realitätstest bestehen? Im ersten Jahrzehnt ihres Bestehens erlebte die Hochschule einen Aufschwung. Das Berliner Musikleben der 1870er Jahre war durch den „Geist der Hochschule“ (Adolf Weißmann) beeinflusst. Er fand sich jedoch eher in den Soiréen des Joachim-Quartetts in der Sing-Akademie als in den „öffentlichen Aufführungen“, zu denen die Hochschule einlud. Also waren es die Lehrer, die mit ihren Auftritten überzeugten, nicht die Veranstaltungen der Hochschule unmittelbar. Mit der 34. Aufführung am 28. Januar 1883, auf deren Programm – als würdiges Finale – Beethovens 9. Symphonie stand, brach die Reihe der von Joachim ins Leben gerufenen Hochschulkonzerte ab.
Dieses Ende überschneidet sich mit der Entstehung der Berliner Philharmonischen Orchesters. 1882 emanzipierten sich ehemalige Mitglieder der Bilse'schen Kapelle von ihrem „Chef“, dem Kapellmeister und Musikunternehmer Benjamin Bilse, und organisierten sich unabhängig als Orchesterverein. Die Hochschule sah durch diese Gründung ihre ureigene Agenda berührt. Joseph Joachim unterstützte das neue Ensemble, und die Hochschulleitung schlug dem preußischen Kultusminister deshalb vor, das Orchester mit der Akademie der Künste in Verbindung zu bringen.
Seit Jahrzehnten werde in Berlin, so führte das Direktorium aus, „der Mangel eines Orchesters“, das ein Vorbild sein könne, „empfunden“. Nun sei ein solches Ensemble im Entstehen begriffen. Neben dem „Interesse des gesammten öffentlichen Kunst-Lebens der Hauptstadt“ sei „das besondere Wohl und Weh der Königlichen Hochschule für Musik“ betroffen. Die Philharmoniker könnten im Rahmen der Akademie als „ein ständige[s] Orchester“ fungieren, „an dessen Uebungen und öffentlichen Productionen die dazu befähigten Schüler thätig theil zu nehmen haben“.
Aufgrund dieses enthusiastischen Votums genehmigte der Minister, dass das Orchester ab Herbst 1883 auf der Basis eines „Miethvertrags“ für die Akademie und die ihr angeschlossene Hochschule verpflichtet wurde. In den Philharmonischen Konzerten für ein gebildetes Publikum dirigierte neben Karl Klindworth und Franz Wüllner auch Joachim. Die Verbindung mit der Hochschule scheiterte jedoch, wie wenige Jahre später, 1887, eingeräumt werden musste. Das Direktorium empfahl, „zu den früheren Einrichtungen möglichst zurückzukehren und mit den Kräften der Schule allein zu musicieren“.
Der Aufstieg der Berliner Philharmoniker erfolgte ohne die Hochschule. Das Management hatte der Konzertagent Hermann Wolff übernommen, und als Dirigent konnte Hans von Bülow gewonnen werden. In dieser personellen Konstellation war das Orchester erfolgreich.
In der Weimarer Republik wurden die Bande neu geknüpft. Die Hochschule übernahm jetzt den Philharmonischen Chor. Sein Gründer, Siegfried Ochs, war ein Kind, aber in gewisser Weise auch ein Abtrünniger der Hochschule. In seinen lesenswerten Memoiren beschreibt er sie auf amüsante Weise als antiquiert. Der renommierte Kompositionslehrer Friedrich Kiel erteilte ihm Privatunterricht, nachdem er relegiert worden war. Nach Beendigung der Studien reüssierte Ochs als Chorleiter: Aus dem Ochs'schen Gesangverein, den er aufbaute, entwickelte sich der Philharmonische Chor. Als dieser infolge des Weltkriegs in finanzielle Schwierigkeiten geriet, fügte ihn der preußische Staat 1920 in die Hochschule ein – der einstmals unbotmäßige Studiosus kam als Professor zurück.
Der neue Hochschulchor debütierte unter Ochs' Leitung im Dezember 1920 mit Beethovens Missa Solemnis aus Anlass des 150. Geburtstags des Komponisten. Ochs leitete eine Vielzahl von Aufführungen und wirkte auch als Leiter einer Oratorienklasse. 1928 schied er im Alter von 70 Jahren aus. Als er im Jahr darauf starb, setzte ihm der Arzt, Musikkritiker und Dirigent Kurt Singer – der spätere Leiter des Jüdischen Kulturbunds, der an der Hochschule eine ärztliche Beratungsstelle betreute – ein literarisches Denkmal.
Aber auch das Hochschulorchester besaß in der Zeit der Weimarer Republik wieder eine gewisse Verbindung mit den Philharmonikern. Kapellmeister der Hochschule war von 1924 an Julius Prüwer. Das Amt des Generalmusikdirektors am Nationaltheater in Weimar hatte er aufgegeben, um an die Berliner Hochschule zu wechseln. Schon im Jahr darauf wurde er ständiger Dirigent der populären Konzerte der Philharmoniker – eine Aufgabe, die er als Nebenamt versah; bis 1933 stand er an mehr als 700 Abenden am Pult. Von den Nationalsozialisten wurde er aus rassistischen Gründen entlassen.
1940 gewann der Nazi-Direktor Fritz Stein den Herrn „Staatsrat“ Wilhelm Furtwängler für eine „Meisterklasse“. Deren Arbeit bestand darin, dass eine kleine Zahl von Studenten an den Proben der Philharmoniker teilnehmen durften und dann mit Furtwängler darüber sprachen. Zu ihnen gehörte niemand Geringeres als Sergiu Celibidache.
Autor: Dr. Dietmar Schenk, ehem. Leiter des Universitätsarchivs