Die Hochschule für Musik und die Familie Mendelssohn

Handschrift aus den Akten der Mendelssohn-Stiftung im Archiv der UdK

 Quelle: UdK-Archiv

Am Anfang der Berliner Konservatoriumspläne steht Felix Mendelssohn Bartholdy – aber nicht am Beginn der tatsächlichen Gründung, sondern bloß eines im Sand verlaufenen Versuchs. Als 1840 mit dem Regierungsantritt des Königs Friedrich Wilhelm IV. ein dynastischer Generationswechsel stattfand, keimten Hoffnungen auf. Der neue Monarch verhandelte mit Mendelssohn, der in Berlin aufgewachsen war, inzwischen aber in Leipzig die Gewandhauskonzerte leitete. Schließlich kehrte Mendelssohn Berlin den Rücken, und 1843 entstand nicht an der Spree, sondern an der Pleiße ein Konservatorium nach dem Vorbild des Pariser Conservatoire, das in den kommenden Jahrzehnten eine große Ausstrahlung besaß. Mendelssohn entschied sich dagegen, in der preußischen Hauptstadt ein „Konservatoriumsschulmeister“ zu sein und wandte sich seinem „guten, frischen Orchester“ zu. Und er klagte über „das Berlinische Zwitterwesen“: „die großen Pläne, die winzige Ausführung; die vollkommene Kritik, die mittelmäßigen Musikanten; die liberalen Ideen, die Hofbediensteten auf der Straße […] und der Sand“.

Es sollte noch fast drei Jahrzehnte dauern, bis Preußens staatliches Konservatorium im Herbst 1869 das Licht der Welt erblickte. In die Zwischenzeit fällt die gescheiterte Revolution von 1848, in der die Gründung einer hauptstädtischen Musikschule von bürgerliche Seite viel diskutiert wurde. 1850 eröffnete dann Julius Stern, ein von Giacomo Meyermeer protegierter Gesangslehrer und Dirigent, zusammen mit Adolph Bernhard Marx und Adolf Kullak ein private Musikschule, das spätere Stern'sche Konservatorium der Musik. Doch wie um den verpatzten Anfang wettzumachen, war der Gründer der Berliner Hochschule ein früherer Schützling von Felix Mendelssohn Bartholdy, Joseph Joachim, der 1844 noch als Jugendlicher unter Mendelssohns Leitung Beethovens Violinkonzert in London mit großem Beifall neu aufgeführt hatte. Joachim und die Hochschule unterhielten vielfältige Verbindungen zur Familie Mendelssohn, nicht zuletzt zum Bankhaus Mendelssohn. Und Joachim gelang es, für die Mendelssohn-Stiftung zu Ehren des Komponisten den Weg zu ebnen.

Um die junge Hochschule zu fördern und das Erbe Mendelssohns in Berlin wachzuhalten, setzte sich Joachim dafür ein, dass der Nachlass Mendelssohns – die „hinterlassenen Manuskripte“ – in die Königliche Bibliothek nach Berlin gelangte. Auch das Londoner Kensington Museum hatte Interesse an einem Ankauf signalisiert. Es war Joachims ureigene Idee, als Gegenleistung ein Staatsstipendium für angehende Musiker zu stiften. Dieses Vorhaben lancierte er bereits 1872, wie aus den im Archiv der Universität der Künste erhaltenen Dokumenten hervorgeht. Zwar dauerte es noch bis 1878, ehe das Statut der Stiftung beschlossen war – doch der Deal kam zustande! Für die Berliner Hochschule sicherte Joachim einen gewissen Vorrang. Bewerben konnten sich „Schüler der in Deutschland vom Staate subventionierten musikalischen Ausbildungsinstitute“. Das Stipendium wurde aber von einem dreiköpfogen Kuratorium vergeben, dessen Vorsitz der „jeweilige Direktor der Hochschule für Musik zu Berlin“, zunächst also Joseph Joachim, inne hatte.

Seit 1879 wurden Stipendien für Komposition und für „ausübende Tonkunst“ sowie Zuwendungen vergeben. Preisträger des ersten Jahres war Engelbert Humperdinck. Geehrt wurden früh auch Frauen wie die Geigerinnen Marie Soldat (1880) und die Joachim-Schülerin Gabriele Wietrowetz (1883), ebenfalls eine Violinistin. Bei der Sichtung der umfänglichen Liste aller Preisträger, die Rudolf Elvers, ehemaliger Leiter der Musikabteilung der Staatbibliothek zu Berlin, zusammengestellt hat, begegnen einem viele Namen aus der Berliner Musik- und insbesondere der Musikschulgeschichte, aber auch Persönlichkeiten, die weit über Berlin hinaus wirksam waren. Beinahe zufällig ausgewählt, seien genannt: Philipp Wolfrum und Ethel Smyth (1881), Waldemar von Baußnern (1887), Bram Eldering (1890), Paul Juon (1896), Frieda Hodapp (1897/98), Karl Klingler (1900), Otto Klemperer (1906, lobende Erwähnung), Licco Amar (1912), Wilhelm Kempff (1915 und 1917), Kurt Weill (1919), Erwin Bodky (1920), Berthold Goldschmidt und Max Rostal (1925), Ignace Strasfogel (1926), Grete von Zieritz (1928), Roman Totenberg (1931) sowie Norbert von Hannenheim und Harald Genzmer (1932). Im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 zählt zu den Geehrten Karlrobert Kreiten, der 1943 wegen defätistischer Äußerungen zum NS-Regime zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Mit dem Komponisten Arnold Mendelssohn, einem Urenkel Moses Mendelssohns, der am Berliner Institut für Kirchenmusik studiert hatte, zählte 1882 auch ein Familienmitglied zu den Preisträgern.

Die Nationalsozialisten verschwiegen – rechtwidirg – den Namen Mendelssohns und sprachen von einem „Preußischen Staatsstipendium für Musiker“. Immerhin blieben die Mittel einer ergänzend eingerichteten Stiftung die gesamten zwölf Jahre des „Dritten Reiches“ hindurch unangetastet unter der Verwaltung der Hochschule für Musik liegen. 1963 wurde das Stipendium neu begründet. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz war nun der Träger des Preises, die historische Verbindung zur preußisch-deutschen Hauptstadt kommt darin zum Ausdruck, dass die Verleihung dauerhaft in Berlin stattfindet; der Teilnehmerkreis umfasst weiterhin alle deutschen Musikhochschulen.

Das Mäzenatentum der Familie Mendelssohn zugunsten der Berliner Hochschule für Musik erschöpfte sich nicht im Mendelssohn-Preis, denn das Bankhaus unterstützte sie immer wieder. So stattete sie eine Joseph-Joachim-Stiftung mit finanziellen Mitteln aus. Dies war eine von vielen Stiftungen, die gegen Ende der Kaiserzeit entstanden waren, aber die inflationäre Entwicklung nach Ende des Ersten Weltkriegs und den Geldverfall von 1923 nicht überstanden.

Für das 1902 eingeweihte neue Hochschulgebäude an der Fasanenstraße stiftete das Bankhaus Mendelssohn die erforderlichen Gelder für die Ausschmückung des Vestibüls im Unterrichtstrakt mit figürlichen Glasfenstern. Als Schöpfer war Melchior Lechter, der Buchkünstler des Kreises um den Dichter Stefan George, vorgesehen; die Entwürfe haben sich in dessen Nachlass, der im Landesmuseum Münster bewahrt wird, erhalten. Die jugendstilhaften Figuren und die Farbgebung missfielen allerdings Kaiser Wilhelm II., der sich bekanntlich gerade in Angelegenheiten der bildenden Kunst für sachkundig hielt und persönlich auch hier einmischte, so dass die Ausführung nicht möglich war. Joseph Joachim blieb dickköpfig und rührte die auf einem Konto für die Hochschule deponierte beträchtliche Summe zeitlebens nicht an.

Auch an dem Verein, der im – heute nicht mehr existierenden, weil nach Kriegsschäden abgetragenen – Alten Konzertsaal ein Joachim-Denkmal einrichtete, waren die Mendelssohn beteiligt. Das von Adolf von Hildebrand geschaffene Monument konnte 1913 enthüllt werden; die Nationalsozialisten demontierten es klammheimlich.

Schließlich gab es personelle Verbindungen der Familie Mendelssohn zur Lehre und zum Studium an der Hochschule für Musik. So war der erste Dozent für Bratsche, Emil Bohnke, der auch komponierte und als Dirigent hervortrat, mit Lilli Mendelssohn, einer Schülerin des Instituts, verheiratet. Beide kamen bei einem Autounfall 1928 auf dem Weg an die Ostsee auf tragische Weise ums Leben. Die Familie Mendelssohn richtete daraufhin durch Schenkung an die Hochschule eine Emil-Bohnke-Stiftung ein.

 

Autor: Dr. Dietmar Schenk, ehem. Leiter des Universitätsarchivs

Ölporträt Felix Mendelssohn Bartholdys, gemalt 1846 von Eduard Magnus (1799—1872)

 Quelle: Eduard Magnus