Joseph Joachim
Joseph Joachim
Als 2007 der hundertste Jahrestag des Todes von Joseph Joachim zu begehen war, gab David Schoenbaum, der Sozialhistoriker der Violine, einem Artikel in der New York Times die Überschrift: »Another Ovation for Joachim (Who?)«. Was Schoenbaum andeutet, trifft auch für uns zu: Weit über den deutschsprachigen Raum hinaus erntete Joseph Joachim zu Lebzeiten Ruhm und Ehre, es folgte der Nachruhm eines bedeutenden und erfolgreichen Musikers, den die Nationalsozialisten allerdings unterbrachen. Gerade an der Universität der Künste begegnen wir ihm aber heute täglich, der Konzertsaal im Gebäude Bundesallee ist nach ihm benannt und an ihn erinnern in der Fasanenstraße eine Büste und eine Marmorstatue. Doch darf bezweifelt werden, dass viele, die hier ein- und ausgehen, eine genaue Vorstellung von seiner Persönlichkeit besitzen.
Das hat nicht zuletzt mit seiner Lebenszeit und der Technikgeschichte zu tun: Wir kennen die Werke seines Freundes Johannes Brahms, eines Komponisten, weil sie heute noch gespielt werden, und die Tonaufnahmen von Geigern jüngerer Generationen, weil sie im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit auf Schallplatten aufgenommen wurden. Von Joachim liegen aber nur wenige Einspielungen aus den letzten Lebensjahren vor, so der Bourrée aus Bachs Partita Nr. I h-Moll und der beiden ersten Ungarischen Tänze von Brahms. Sie lassen ein Bild von Joachims Geigen-Kunst nur erahnen.
Uns interessiert hier allerdings vorrangig ein anderer Aspekt seines Wirkens: Joachim leitete die Berliner Hochschule für Musik fast vierzig Jahre lang, von 1869 bis 1907, und bildete zusammen mit seinen Kollegen Hunderte von Geigern und auch einige Geigerinnen aus. Als der Unterricht im September 1869 aufgenommen wurde, hatten sich gerade einmal 19 „Eleven und Elevinnen“ eingeschrieben. Zum Zeitpunkt seines Todes leitete Joachim dann ein Institut, das fünf Jahre zuvor ein stattliches Gebäude in Charlottenburg, Hardenbergstraße/Ecke Fasanenstraße, erhalten hatte. Aus einer kleinen „Schule für ausübende Tonkunst“ entwickelte sich mit dem Wohlstand der Kaiserzeit die Königliche akademische Hochschule für Musik, eines der führenden deutschen Konservatorien.
Joseph Joachim wurde am 28. Juni 1831 in Kittsee (slowakisch Kopčany, ungarisch Köpcsény) im Burgenland, damals Ungarn, als siebtes Kind eines jüdischen Kaufmanns geboren. 1839 trat er im Adelskasino in Pest, heute Budapest, erstmals auf. An diesen Anlass erinnerten Feierlichkeiten zum 50-jährigen und 60-jährigen Künstlerjubiläum in Berlin, die 1889 und 1899 mit wilhelminischer Opulenz begangen wurden. Aufgrund seiner geigerischen Begabung wurde der junge Joachim nach Wien zu Joseph Böhm geschickt. 1843 wechselte er nach Leipzig, wo ihn Felix Mendelssohn Bartholdy protegierte. Bereits im Jahr darauf konnte er sich in London als Interpret von Beethovens Violinkonzert feiern lassen. 1850 sehen wir Joachim als Konzertmeister in Weimar, nun gehörte er zum Kreis um Franz Liszt. 1853 nach Hannover übergesiedelt, begegnete er Robert und Clara Schumann sowie Brahms – und wandte sich ihnen zu und von den „Neudeutschen“ ab. Joachim ließ sich lutherisch taufen und heiratete die Sängerin Amalie Schneeweiß aus Graz.
Nach dem Untergang des Welfen-Hofes im preußisch-österreichischen Krieg von 1866 siedelte Joachim nach Berlin über. 1869 beauftragte ihn der preußische Staat mit der Gründung einer Schule. Nach Leipziger Vorbild entstand in der Folgezeit die Berliner Hochschule für Musik, Preußens Konservatorium, und Joachim trat mir seiner Rolle als Direktor in Mendelssohns Fußstapfen. Im selben Jahr brachte Richard Wagner seine antisemitische Schrift Das Judenthum in der Musik neu heraus. In Anspielung auf Joachim beklagte er den „Abfall“ eines „großen Violinvirtuosen“.
In die Anfänge der Berliner Hochschule fällt zudem eine heftige Auseinandersetzung mit dem Kultusminister – dem Vertreter des preußischen Obrigkeitsstaats. Sie ereignete sich mitten im deutsch-französischen Krieg, Joachim identifizierte sich mit den Siegern: der national-liberalen Bewegung. Ein Rücktrittsgesuch lehnte der König vom Hauptquartier der deutschen Truppen in Versailles aus ab. Doch kam er Joachim in der Sache entgegen. Fortan wurde Joachim nicht mehr wie ein Untergebener behandelt. Er wurde zunehmend als eine Art von Treuhänder der Kunst im Allgemeinen und der Pflege des Oeuvres der „großen Meister“ wie Bach und Beethoven im besonderem angesehen, dem der preußische Staat mit Respekt begegnete.
Joachims große Ausstrahlung wird heute durch eine umfangreiche Sammlung schmuckvoll gestalteter Urkunden über Preisverleihungen, Ehrungen und Danksagungen im Universitätsarchiv belegt, die Joachims Kinder der Hochschule zusammen mit Dokumenten zur Schulgründung 1931 schenkten. Was bleibt, ist Joachims Ideal der werkgetreuen Interpretation, mit der er sich von einem gleichfalls virtuosen Vorgänger wie Paganini absetzt.