Max Rostal
Max Rostal
Der Geiger Max Rostal (1905–1991) wurde nach der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 als Professor an der Berliner Hochschule für Musik, der heutigen UdK, sofort entlassen. Zu Lebzeiten kehrte er nicht zurück, wohl aber posthum. Der von ihm gestiftete Violin- und Viola-Wettbewerb wird seit 1997 an der Universität der Künste (bis 2001: Hochschule der Künste) durchgeführt. Aus Anlass der diesjährigen International Max Rostal Competition wird der große Violinist in der hochschulgeschichtlichen Kolumne des Musik-Newsletters vorgestellt.
Schauen wir zurück in die „gute alte Zeit“ der k. u. k.-Monarchie: Es war wohl im Jahr 1910, als ein französischer Violinlehrer, laut Adressbuch „akademischer Maler und Violinvirtuose“, nach Teschen (polnisch Cieszyn, tschechisch Těšín) in Österreichisch-Schlesien kam – eine heute an der Grenze zwischen Polen und Tschechien gelegene Stadt, die damals zur Habsburgermonarchie gehörte. Er gab eine Annonce auf, mit der er in Aussicht stellte, einem besonders begabten Kind kostenlos Geigenunterricht zu erteilen. Auf diese Werbemaßnahme hin meldete sich ein Vater und führte als Anwärter seinen neunjährigen Sohn vor. Der Lehrer hielt ihn für musikalisch begabt, aufgrund des Alters aber für weniger geeignet als den jüngeren fünfjährigen Bruder. So erhielt nicht Leo, sondern Max Rostal Violin-Unterricht. Grete Fischer, in den 1920er Jahren Lektorin im Ullstein-Verlag, fasste diesen Schlüsselmoment in Rostals Leben in die einprägsamen Worte: „Der Professor drückte ihm eine winzige Geige in die Hand und sagte: 'Spiel!' und Max spielte; er hat nie wieder aufgehört.“
Was sich hier märchenhaft anhört, verlief nicht von Anfang an glücklich. Max Rostal wurde – nicht ohne Ausübung von Zwang – als „Wunderkind“ aufgebaut. Der kleine Max tingelte vor dem großen Krieg der Jahre 1914 bis 1918 durch die Habsburger-Monarchie. Über den Entbehrungen des frühen Ruhms verlor er seine kindliche Unbefangenheit, doch gelang ihm auf dieser Basis eine bedeutende Laufbahn als Geiger und Violinpädagoge. Dazu bedurfte es eines zweiten Beginns, eines Neuanfangs: die Begegnung mit Carl Flesch. Die Familie Rostal war soeben von Wien nach Berlin gezogen, da vermittelte der Musikkritiker Adolf Weißmann, der Rostal in einem Hauskonzert gehört hatte, den Kontakt. 1920 nahm Rostal bereits an Fleschs Sommerakademie in Baden-Baden teil und besuchte dann 1921/22 an der Berliner Hochschule für Musik, der heutigen UdK, die „Sonderkurse“, die zu erteilen sich Flesch damals bereit erklärt hatte. Das Schulgeld, das seine Mutter, ehemals Inhaberin eines Hutgeschäfts, damals nicht hätten aufbringen können, wurde ihm erlassen. Dieser Lehrer war renommiert: Jeder, der einmal Geige gespielt hat, wird Carl Flesch durch seine Unterrichtswerke kennen.
Was die berühmten 1920er Jahre angeht, so zeigt sich das Doppelgesicht der Epoche im Nebeneinander der Lebenswege der Brüder Rostal. Auf der einen Seite schauen wir in Berlin auf eine überaus hochstehende Musikkultur der klassisch-romantischen Tradition, zu der Max, gefördert durch seinen Lehrer, aber auch durch die Konzertagentur Wolff & Sachs, glänzenden Zugang fand. Seit 1929 konzertierte er mit dem von ihm gegründeten und geführten Max-Rostal-Quartett. Auf der anderen Seite steht die Unterhaltungsbranche mit ihren unterschiedlichen Genres und Qualitätsanforderungen. In ihr verdiente Leo, der Cellist geworden war, sein Brot, etwa durch Auftritte im Hotel Adlon – und er hatte Zeit wie Gelegenheit, sich zu amüsieren. Über den Jüdischen Kulturbund kam er später, noch in Berlin, zur ernsten Musik.
Nach der Studienzeit in Berlin ging Max Rostal vorübergehend nach Wien zurück, wo er sich unter anderem von seinem früheren Lehrer Arnold Rosé Unterstützung versprach, doch kam er dort nicht entscheidend voran. Für eine Saison wechselte er daraufhin als Konzertmeister nach Oslo. Dann bot ihm Carl Flesch die Position seines Assistenten an der Berliner Hochschule für Musik an, wo dieser – in der ideellen Nachfolge Joseph Jaoachims – 1928 eine feste Professur antrat. Im Sommersemester brauchte Flesch nicht anwesend zu sein; dann übernahm der noch ganz jugendliche Rostal den Unterricht. In Absprache mit Flesch lehrte Rostal insbesondere das zeitgenössische Repertoire. Ein weiterer Assistent war Stefan Frenkel. Im Herbst 1931 stand dann Rostals Berufung in eine Professur an. Doch der Aufstieg der Nationalsozialisten zeichnete sich bereits ab. Im preußischen Kultusministerium zögerte der sozialdemokratische Kultusminister Adolf Grimme, der von der Hochschule eingereichten Berufungsliste mit Rostal, einem Juden, auf Platz eins zu folgen. Doch setzte der Minister den Vorschlag um, als der stellvertretende Direktor, Georg Schünemann, insisierte.
Nur anderthalb Jahre war es Rostal vergönnt, sein neues, ehrenvolles Amt wahrzunehmen. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde er sofort entlassen. Rostal emigrierte hellsichtig bereits 1934. In London stand er vor dem Nichts, doch gelang ihm ein bemerkenswerter Neustart, ja seine Karriere kam weiter voran. Bereits nach einem Jahr trat er in der BBC auf. Später lehrte er an der Guildhall School of Music and Drama in London. Auch etablierte er sich im Konzertleben, etwa im Duo mit dem Pianisten Franz Osborn, einem früheren Kommilitonen, dem Sohn des einflussreichen Berliner Schriftstellers und Kunstkritikers Max Osborn. Rostals Konzertkarriere führte ihn nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf weltweite Tourneen.
Obschon inzwischen als „celebrated British violinist“ geschätzt, kehrte Rostal Ende der 1950er Jahre in den deutschsprachigen Raum zurück, auch aus Gründen des Klimas. 1957 nahm er eine Professur an der Kölner Hochschule an, die durch seine Verpflichtung an Prestige gewann, und vom folgenden Jahr an lehrte er auch in Bern. Dort, also in der Schweiz, nahm er fortan seinen Wohnsitz. Im Kölner Trio musizierte er gemeinsam mit Heinz Schröter (Klavier) und Gaspar Cassadó, später Siegfried Palm (Violoncello). In Anlehnung an Fleschs Baden-Badener Sommer-Veranstaltungen führte Rostal berühmte Meisterkurse in Strobl am Wolfgangsee durch, die er später nach Adelboden und Bern verlegte. An der Gründung der ESTA (European String Teachers Association) in Graz beteiligte er sich. Die Stradivari, die er besaß, wird heute nach ihm benannt. Um die riesige Schar der Schüler wie etwa Edith Peinemann oder Igor Ozim aufzuführen, müsste ein eigenes Kapitel aufgeschlagen werden. Stattdessen sei eine Berliner Schülerin seines Bruders Leo erwähnt: Anita Lasker-Wallfisch, Überlebende des Mädchenorchesters von Auschwitz.
Einen Bogen zurück nach Berlin ließ sich posthum, nach Rostals Tod 1991, schlagen. In Verbindung mit der Übernahme der International Max Rostal Competition gelangte sein Nachlass von 1998 an ins Archiv der Universität der Künste. Es ist bemerkenswert, dass er trotz der vielfältigen Ortswechsel und des Exils alles Lebensphasen mit aussagekräftigen Dokumenten abdeckt. Er umfasst auch eine wertvolle Autographen-Sammlung mit Handschriften etwa von Paganini, Debussy und Bartók. Die Archivarin Antje Kalcher erarbeitete ein Findbuch, dessen Papierfassung (2005) unter Indsidern als Geheimtipp gilt, weil allein der Nachweis der Korrespondenz so vielfältige Bezüge sichtbar werden lässt. Gemeinsam mit ihr gab ich 2007 im Auftrag von Rostals Witwe Marion Rostal-Busato die Autobiografie „Violin-Schlüssel-Erlebnisse“ heraus, die auch Aufzeichnungen des Bruders Leo enthält (bei Ries & Erler). Und Rostals opulenter, von Heinricht Tessenow gestalteter Schreibtisch schmückt den Lesesaal des Archivs.
Autor: Dr. Dietmar Schenk, ehem. Leiter des Universitätsarchivs