LIVE-Talk Musical Heroes
Montags 19-21 Uhr, Beginn: 24. Oktober 2022
Prof. Dr. Susanne Heiter, Dr. Dorothea Hilzinger, Dr. Christoph Müller-Oberhäuser
Heldinnen und Helden sind nicht zuletzt seit der Corona-Zeit und dem Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine wieder in aller Munde und werden in Texten und Bildern beschworen. Auch die wissenschaftliche Forschung hat sich zuletzt verstärkt dem Thema ‚Held:innen‘ zugewandt. Was aber bedeutet die neue Konjunktur des Heroischen für die Musikwissenschaft? Das werden wir anhand vielfältiger Fragestellungen mit Gästen aus verschiedenen Disziplinen und Bereichen der Musikwissenschaft überlegen.
Zwei Schwerpunkte möchten wir dabei setzen: Zum einen werden wir Prozessen der Heroisierung in verschiedenen Bereichen und Epochen des Musiklebens nachgehen. Denn Held:innen werden – das hat die kulturwissenschaftliche Forschung immer wieder hervorgehoben – ‚gemacht‘. Heldenfiguren sind somit nicht ohne die sie umgebenden Gesellschaften und die zur Verfügung stehenden Medien zu verstehen. Die Heroisierungsprozesse können sich dabei je nach Genre und Bereich unterscheiden: So verläuft die Heroisierung Beethovens als Komponist der Hochkultur anders als beispielsweise Bruce Springsteens oder Freddie Mercurys aus dem Bereich der Popularmusik. Genau so wurden auf den Opernbühnen des 18. Jahrhunderts andere Heldenbilder beschworen (z. B. Fürsten und Feldherren) als im (angeblich?) postheroischen Zeitalter der Gegenwart (z. B. Malcolm X oder Anna Nicole Smith). Zum anderen wird ein besonderer Fokus auf den Bereich des Musiktheaters gerichtet. Denn die Konstruktion des Helden bzw. der Heldin wird wohl nirgendwo anders im Musikbereich so aufwendig betrieben, ist aber zugleich durch den Gesang so prekär wie auf der Opernbühne, wo im Laufe der Geschichte von Orpheus über Siegfried und Tosca bis hin zu Richard Nixon unterschiedlichste Personen zu Held:innen wurden – wenngleich im Einzelfall zu klären wäre, ob der Begriff ‚Held‘ jeweils angemessen ist. Eine Frage stellt sich dabei besonders: Welche Rolle spielt gerade die Musik, der hörbare Klang, wenn es darum geht, in Vergangenheit und Gegenwart Held:innen zu schaffen?
Um Anmeldung spätestens bis zum 20.10.2022 unter l.barchetti@udk-berlin.de wird gebeten.
24.10.2022 | Susanne Heiter, Dorothea Hilzinger, Christoph Müller-Oberhäuser (UdK Berlin) Einführungssitzung für Studierende (Introduction for students) |
31.10.2022 | Christine Siegert (Beethoven-Haus Bonn) Ludwig van Beethoven als heroische Komponistenfigur |
07.11.2022 | Andrea Klitzing (UdK Berlin) Prometheus, Napoleon, Wellington, Egmont. Transformationen des Heroischen in Beethoven-Arrangements Die Suche nach neuen Helden, welche am Beginn des 19. Jahrhunderts in den Debatten einer postrevolutionären Gesellschaft mit durchaus diffusen und heterogenen Argumenten geformt wurden, spiegelt sich in den Vertonungen Ludwig van Beethovens auf erstaunliche Weise wider. Noch überraschender ist allerdings, dass die bekannten Werke, um die es in diesem Vortrag geht, nicht in ihrer originalen, sinfonischen Besetzung, sondern als Kammermusikarrangements die zeitgenössischen Diskurse zu den neuen Heroen vorantrieben. Die erfolgreichsten und 1000fach gedruckten Arrangements für Klavier zu zwei oder vier Händen transportierten unter anderem über Titelblätter Schlachtszenen zu „Wellingtons Sieg“ (Beethoven op. 91) und stilisierten nicht selten durch apotheotische Darstellungen den Komponisten oder Arrangeur zum Helden. Im Laufe der 1820ger Jahre lässt sich eine weitere Transformation des Heroischen beobachten: Die zunehmenden instrumentalen Ansprüche der Klavier-Arrangements machten Arrangeure und Konzert-Pianist:innen zu Heroen und Heroinen von Partitur und Bühne. Zahlreiche zeitgenössische Rezensionen in Zeitungen und Musikzeitschriften bezeugen mit einem neuen Vokabular des Heroischen, dass die wahren Helden nun nicht mehr nur hinter den Kanonen, sondern auch am Pianoforte zu finden sind. |
14.11.2022 | Jana Weißenfeld (HMT Rostock) Heldenleben? Dirigenten als heroische Figuren Seit der Etablierung des Dirigierens als einer eigenständigen Kunst im 19. Jahrhundert ist der Dirigent zu einem wirkmächtigen Symbol der westlichen klassischen Musikkultur avanciert. Bei den „großen“ Dirigenten in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde häufig der Aspekt der Machtausübung betont: Theodor W. Adorno beschrieb das Verhältnis von Dirigent und Orchester als einen Mikrokosmos der Gesellschaft, Elias Canetti erklärte den Dirigenten sogar zum „Herrscher der Welt“ für die Zeit der Musikaufführung. Für Carl Dahlhaus wurde der Dirigent zum „Statthalter“ der Musik selbst, indem er für das Publikum deren „ästhetisches Subjekt“ personifiziere. Fest steht: Dirigenten waren und sind Projektionsfläche und Personifikationsobjekte für verschiedene, oft unvereinbare Zuschreibungen und Wünsche. Da Frauen im 19. und 20. Jahrhundert noch kaum als Dirigentinnen öffentlich auftraten, bezieht sich der in meinem Vortrag verfolgte Ansatz auf männliche Dirigenten. Dass bei der Konstruktion von heroischen Figuren eben diese Schlagseite gleichwohl eine Rolle spielt, ist offensichtlich. Doch wo ist die Grenze zwischen Star- und Heldentum, inwiefern lassen sich bei Dirigenten Heroisierungsprozesse feststellen – zumal in einer Zeit, die gemeinhin als „post-heroisch“ gilt? Unter der Prämisse, dass das Heroische auf einer ästhetischen Konstruktion basiert und Helden somit immer medial konstruierte Figuren sind, soll ausgehend von Beispielen „heroisch“ apostrophierter Kompositionen (Ludwig van Beethovens Dritter Sinfonie Eroica und Richard Strauss’ Tondichtung Ein Heldenleben) diskutiert werden, unter Einbezug welcher Mittel und Narrative Dirigenten in bestimmten medialen Konstellationen und Kontexten als Heldenfiguren unterschiedlicher Art konstituiert und inszeniert werden. |
21.11.2022 | Dorothea Hilzinger (UdK Berlin) Nation – Empire – Held:innen. Zur Funktion des Heroischen in britischer Instrumentalmusik um 1900 Textlose Musik hat zwei Möglichkeiten, um heroisch wirken zu können. Auf der einen Seite kann sie in der Nachfolge Beethovens, bes. seiner Sinfonie Nr. 3 (Eroica), die Musik so gestalten, dass sie bestimmte Erwartungshaltungen erfüllt, die das Publikum als heroisch erkennt. Das gelingt Komponierenden entweder durch die Verwendung bestimmter Tonfälle oder aber auch durch das Spiel mit formalen Abläufen, so dass die Hörenden den Eindruck gewinnen können, die Musik erzähle die Geschichte eines/einer idealisierten Helden/Heldin. Auf der anderen Seite kann Instrumentalmusik auch durch sprachliche Zusätze (Titel, Satzüberschriften, usw.) konkrete Helden thematisieren. In diesem Fall positioniert sich der/die Komponist:in deutlicher im soziopolitischen Gefüge seiner Zeit. An dieser Stelle setzt der Vortrag an, da um 1900 besonders England quasi kulturell zwischen zwei Polen stand. Einerseits war das British Empire ein Weltreich, als dessen Angehörige man sich als kosmopolitisch darstellen wollte. Andererseits strebten Kulturschaffende aber auch danach, besonders die englische Kultur hervorzuheben und von der der keltischen Nachbarländer wie Schottland abzugrenzen. Im Vortrag soll daher den Fragen nachgegangen werden, wie sich Komponierende in dieser Gemengelage positionieren, welche Rolle Held:innen darin spielen und besonders, welche Möglichkeiten der musikalischen Gestaltung zu welchen Zwecken genutzt werden. |
28.11.2022 | Susanne Heiter (UdK Berlin) Interpretinnen als Heldenmacherinnen. Repertoirestudien im Umfeld des Leipziger Allgemeinen Deutschen Frauenvereins Mit der Gründung des Allgmeinen Deutschen Frauenvereins 1865 in Leipzig und zahlreicher Frauenbildungsvereine in verschiedenen Städten entstand eine Vereinskultur, die u. a. von Musikabenden geprägt war. Anhand von Repertoirestudien bzw. Programmuntersuchungen wird die Frage verfolgt, welche (zumeist weiblichen) Interpretinnen hier Werke welcher (zumeist männlicher) Komponisten zur Aufführung brachten und inwiefern innerhalb dieses Soziotops von Heriosierungsprozessen zu sprechen ist. |
05.12.2022 | Dietrich Helms (Universität Osnabrück). verschoben auf den 23.01.23 “Someone to Save the Day”: Bruce Springsteen und die Helden des Rock |
12.12.2022 | Thomas Seedorf (HfM Karlsruhe) Vom „eroe amante“ zum „Heldentenor“. Der Wandel heroischer Stimmideale in der Oper des 17. bis 19. Jahrhunderts Was ein Heldentenor ist, scheint heute keiner Erklärung zu bedürfen. Tenöre mit klangstarken Stimmen, die in den Rollen teils strahlender, teils gebrochener Helden in Opern auftreten, sind selbstverständlicher Teil unserer Musikkultur. Die Verbindung von Heldenrolle und einem spezifischen Stimmtypus zum Stimmfach „Heldentenor“ entstand jedoch erst im 19. Jahrhundert und wurde vor allem durch die musikdramatischen Werke Richard Wagners zu einer festen Größe im Stimmspektrum der Oper. In der Barockoper und ihren späten Nachklängen im frühen 19. Jahrhundert waren die Partien der Helden hingegen Domäne hoher Stimmen in Sopran- oder auch Altlage. Der Vortrag erläutert, wie, wann und warum sich der Wandel heroischer Stimmideale vollzog. |
02.01.2023 | Dörte Schmidt (UdK Berlin) Affektive Krisen. Heldinnen in den Echokammern des Musiktheaters im 18. Jahrhundert
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09.01.2023 | Christoph Müller-Oberhäuser (UdK Berlin) Neue Held:innen für Bielefeld? – John Dew und das “Opernwunder“ in der Puddingstadt Musiktheater nicht „für die Menschen von gestern oder morgen“, sondern „für unsere Zeit“ – das sei es, was er stets gewollt habe, betonte der Regisseur John Dew 1993 in einem Bildband. Dieser war einem Phänomen gewidmet, das seit den 1980er-Jahren als „Opernwunder von Bielefeld“ bezeichnet wurde. In dieser Zeit war es nämlich dem Leitungsteam rund um den Intendanten Heiner Bruns sowie Dew als Leiter der Opernsparte gelungen, das kleine Theater in der westfälischen Provinz zu einer der ersten Adressen für innovative Inszenierungen in Deutschland zu machen. Gemeinsamer Ansatzpunkt war die von Dew propagierte Ausrichtung von Repertoire und Inszenierungen an gegenwärtigen Lebenszusammenhängen. Vor diesem Hintergrund wurden zum einen weitgehend vergessene Opern ausgegraben, vor allem die Zeitopern der 1920er-Jahre. Zum anderen begann Dew damit, nicht nur alte Helden in neuen Gewändern zu präsentieren, sondern dem Bielefelder Publikum auch ‚neue Helden‘ vorzustellen – eine Richtung, die er auch später, nach seinem Weggang aus Bielefeld, weiterverfolgte. Im Vortrag soll dieses Bemühen um ‚neue Helden‘ anhand ausgewählter Beispiele nachgezeichnet und die Frage in den Blick genommen werden, wie die Öffentlichkeit, insbesondere die Zeitungskritik, auf diese reagierte. |
16.01.2023 | Judith Lochhead (Stony Brook University) Ungendering the Heroic: Transforming Sonic Paradigms in Twenty-First Century Let’s call them heroes! The gendering of the heroic in the English language is inscribed in the term “heroine,” suggesting a derived status from a male hero. The philosopher Ari Kohen traces three prototypical heroic categories to Ancient, Western philosophy and associated men who epitomize these heroic types: Achilles, the heroic warrior; Odysseus, the tactical or strategic hero; and Socrates (via Plato), the sacrificial hero. These male heroic types figure prominently in Western aesthetics, including in musical works. The sonic markers of heroic action and character are various, but in recent music scholarship a heroic sonic style has been associated with loud dynamics, accented and thick chords, and sometimes brass timbres. Over the last fifty years, heroic narratives in aesthetics genres such as cinema, theatre, literature, and opera have challenged sedimented expectations of a male heroic aesthetic and have refigured paradigms of heroic behavior. In opera, such challenges include not only narrative features but also sonic paradigms. My lecture considers selected operatic works from the Twenty-First Century, exemplifying the ways that heroic narratives and their sonic markers ungender the heroic paradigm. My focus will be on two works: Kaija Saariaho’s Emilie (2010) and Eliza Brown’s The Body of the State (2017). And I will briefly refer to recent operas by Missy Mazzoli, Olga Neuwirth, and Niloufar Nourbakhsh. |
23.01.2023 | Dietrich Helms (Universität Osnabrück). “Someone to Save the Day”: Bruce Springsteen und die Helden des Rock „Heroes are needed, so heroes get made“, singt Bruce Springsteen in seinem Song „Devil’s Arcade“. Am Beispiel von Springsteen’s Album „The Rising“ geht der Vortrag diesem Machen von Helden in der populären Musik zu einer Zeit nach, in der Helden dringend gesucht wurden. Dabei wird der gesamte Zyklus der popularmusikalischen Heldenproduktion einbezogen: Angefangen mit den im Song besungenen anonymen Helden, über Springsteen, den Sänger ihres Heldentums, der in Performance und Rezeption wiederum selber zum Helden wird, bis hin zum Publikum, das die Besungenen und den Sänger zu ihren Helden erklärt, sich mit ihnen identifiziert und damit ebenfalls zu Helden wird: Nicht „just for a day“, wie David Bowie 1977 in „Heroes“ sang, aber doch zumindest für die dreieinhalb Minuten eines Songs. |
30.01.2023 | Colleen Renihan (Queen's University, CAN) Overcoming Operatic Heroism in Contemporary North American Opera As the Oxford English dictionary defines it, a heroic narrative is often one that involves a hero exhibiting "superhuman strength, courage, and ability." In essence, heroic narratives are narratives of overcoming. Despite recent critiques leveraged at overcoming narratives (see Cheng 2017; DeVolder 2013; Gilmore 2010; Meizel 2011, etc.), opera seems destined to position its protagonists in this light. In this talk, I will explore ways that contemporary women composers in Canada and the US have wielded the operatic form to critique the overcoming narrative that sits so comfortably in opera, and to shed light on the social and cultural structural inequities that make resisting this narrative trope so transgressive and radical, even today. |
06.02.2023 | Carolin Stahrenberg (Anton Bruckner Privatuniversität Linz) "A museum will have me pickled for posterity“ – Dekonstruktionen des Heroischen im Broadway Musical Populäres Musiktheater arbeitet stark mit Stereotypisierungen, mit karikaturistischer Überzeichnung und ironischer Brechung von Modellen und (hochkulturellen) Vorbildern. Dadurch kann Komik erzeugt werden, aber auch Normen und Idealisierungen werden hinterfragt – nicht nur zur Geschichte, sondern auch zu erzählten Geschichten, Mythen und Sagen, also tradierten Narrativen setzt sich populäres Musiktheater so in Beziehung. Diese Bezugnahme verläuft genrespezifisch im Musical oftmals im Sinne eines Dekonstruktionsprozesses, auch in Bezug auf Topoi des Heroischen und Heldenfiguren. |
13.12.2022 | Abschlussdiskussion |