Ethel Smyth
„Ich möchte, dass Frauen sich großen und schwierigen Aufgaben zuwenden. Sie sollen nicht dauernd an der Küste herumlungern, aus Angst davor, in See zu stechen. Ich habe weder Angst noch bin ich hilfsbedürftig; auf meine Art bin ich eine Entdeckerin, die fest an die Vorteile dieser Pionierarbeit glaubt.”
Ethel Smyth
Am 12. März 1912 warf Ethel Smyth die Fenster des britischen Kolonialsekretariats mit Steinen ein. Als Teil der militanten Women’s Social and Political Union (WSPU) kämpfte sie damit für das Frauenwahlrecht in Großbritannien. Widerständig gab sich Smyth schon seit ihrer Jugend: Bereits als junge Frau trat sie dem Verbot ihres Vaters, Komposition zu
studieren, mit einem Hungerstreik entgegen.
Ethel Smyth stammte aus einer viktorianischen Familie der oberen Mittelschicht. Ihr Vater war Generalmajor in Indien und verdiente gut am britischen Kolonialsystem, was der jungen Musikerin trotz des enormen Widerstands ihrer Familie schlussendlich ein Kompositionsstudium in Leipzig ermöglichte. Die Ausbildung am Konservatorium enttäuschte sie; die neu entdeckte Freiheit gab aber auch Raum für musikalisches Wachstum. So nahm Smyth bei Heinrich von Herzogenberg Privatunterricht und fing mit dessen Frau Elisabeth eine Liebesbeziehung an. Elisabeth von Herzogenberg war außerdem Mäzenin und so lernte Smyth im Haushalt des Ehepaars viele Musiker*innen kennen, u. a. Clara Schumann, Edvard Grieg und Johannes Brahms. Dort erlebte sie jedoch auch Ablehnung als Komponistin. So beschrieb sie in ihrer Autobiografie Ein stürmischer Winter, dass sich Brahms zunächst interessiert mit einer ihrer Fugen auseinandersetze, bis er herausfand, dass sie von einer Frau geschrieben worden war.
Später lernte Smyth außerdem Tschaikowsky kennen, der sie dazu inspirierte, zunehmend große Orchestermusik zu schreiben. So komponierte Smyth u. a. die Messe in D, die 1893 uraufgeführt wurde. Ihrer römisch-katholischen Freundin Pauline Trevelyan gewidmet, war es das einzige geistliche Werk Smyths, das sie selbst als ihr bestes Werk beschrieb. Trotz des Erfolgs hatte sie auch im Anschluss große Probleme, Konzert- und Opernhäuser zu finden, die ihre Werke – die Werke einer Frau – aufführten. 1902 fand schließlich die Uraufführung der Oper Der Wald statt. Bis 2016 war es die einzige Oper einer Frau, die an der Metropolitan Opera in New York gezeigt wurde. Auch ihre Opern The Wreckers (1906) und The Boatswain’s Mate (1916) wurden Erfolge. Ab 1913 traten erste Anzeichen einer Schwerhörigkeit auf, die in einer Gehörlosigkeit endeten. In dem Zustand schrieb Smyth noch die Sinfonie The Prison, die 1931 uraufgeführt wurde, wandte sich dann jedoch eher ihren schriftstellerischen Fähigkeiten zu und verfasste mehrere – sehr lustige – Autobiografien. In der Zeit entwickelte sie auch eine enge Freundschaft zu Virginia Woolf. 1944 starb Ethel Smyth im Alter von 86 Jahren an einer Lungenentzündung.
Smyth als Suffragette
1910 erlebte Ethel Smyth die Suffragette Emmeline Pankhurst bei einer ihrer Reden und beschloss, zwei Jahre ihres Lebens dem Kampf um das Frauenwahlrecht zu widmen. Sie trat der WSPU bei und war fortan auch mit politischen Aktivitäten beschäftigt. Diese reichten von Meetings bis hin zu militanten Aktionen, wie der oben beschriebenen Aktion, bei der rund um die Oxford Street in London zahlreiche Fenster eingeschmissen wurden und die sie für zwei Monate ins Gefängnis brachte.
In dieser Zeit komponierte Smyth für die Bewegung drei Chorstücke im Zyklus Songs of Sunrise. Das bekannteste daraus ist wohl March of the Women (1911), das als Hymne der Suffragetten galt. In ihrer Zeit im Gefängnis wurde das Lied selbst im Innenhof von den Gefangenen gesungen, Ethel Smyth dirigierte sie aus ihrem Zellenfenster heraus mit ihrer Zahnbürste.
Text: Lena Lukow