Feminismus ist keine Betriebsstörung!
Diversität und Chancengleichheit nehmen zu wenig Raum im Musikunterricht ein, findet das Kollektiv FEM*_MUSIC*_, das sich 2016 aus Studierenden und Lehrenden an der Universität der Künste Berlin (UdK) sowie der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin (HfM) gründete. In ihren Seminaren analysieren und reflektieren sie diesen Mangel, geben Denkanstöße und wollen Studierende jeden Geschlechts innerhalb und außerhalb der Uni ansprechen. Ein Gespräch mit drei Mitgliedern des Kollektivs über ›Gender-Kram‹, Beethoven und das, was bleibt.
Ein Interview von Katharina Rustler
Wie seid ihr zu FEM*_MUSIC_* gekommen? Was sind eure persönlichen Zugänge?
Lucien Danzeisen: Ich bin von Anfang an dabei und habe das Projekt mitgegründet. Während meines gesamten Klavierstudiums habe ich nur zwei Mal Stücke von Komponistinnen gespielt. Das wird mir zu wenig hinterfragt, obwohl wir als Künstler*innen den Anspruch haben sollten, Kritik an der eigenen Szene zu üben. Genau dazu wollen wir als Kollektiv Gegenpositionen formulieren.
Merle Krafeld: Ich bin etwas später dazugekommen. Eigentlich studiere ich Schulmusik mit dem Schwerpunkt Musikwissenschaften. Wenn man in dieser Disziplin arbeiten und trotzdem machtkritisch bleiben will, ist das sehr schwierig. Wie schreibt man über Akteurinnen, die in der Musikwelt jahrhundertelang unsichtbar waren? Einfach ›großen Männern‹ ›große Frauen‹ oder non-binary Beispiele gegenüberzustellen, ist relativ platt. Da muss die Denkweise, dass es bei Musikgeschichte immer nur um eine Abfolge von Meister*innen und Schüler*innen geht, die dann wieder zu Meister*innen werden, durchbrochen und Alternativen vorgeschlagen werden.
„Es ist das System, das diesen Menschen zu wenig Präsenz einräumt.“
Rosanna Lovell: Ich habe meinen Master in Kunst im Kontext an der UdK gemacht und war bei den ersten Veranstaltungen von FEM*_MUSIC*_ dabei. Ich finde vor allem die flachen Hierarchien unserer Gruppe spannend, durch die es möglich ist – mit Studierenden und Professor*innen – auf Augenhöhe zu kommunizieren. Momentan sind wir 2 Professor*innen, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin und 7 Studierende.
Und sie alle sind gleichberechtigt?
Merle Krafeld: Ich könnte in der Sitzung jetzt gar nicht sagen, wer wer ist – Seminarleitung oder Teilnehmer*in.
Lucien Danzeisen: Sag nicht, man merkt es nicht! (lachen) Auf jeden Fall wollen wir keine Selbsthilfegruppe sein, in der alle erzählen, wie schlecht das Patriarchat ist und Geschichten von gescheiterten Komponistinnen reproduzieren. Es geht uns darum, Raum für unsere Ideen und Reflexionen zu schaffen. Jede*r kann eigene Themen vorschlagen und wir besprechen sie dann in der Gruppe. Keine Person braucht Angst zu haben sich zu blamieren, wenn sie etwas nicht versteht oder nicht weiß.
Merle Krafeld: Das ist manchmal etwas chaotisch und alles dauert länger, aber wir stecken alle super viel Energie rein!
Gab es einen Schlüsselmoment für euch, ab dem klar war: Jetzt muss ich etwas unternehmen?
Rosanna Lovell: Ich habe mich schon während meines Studiums mit Gender in der Musik beschäftigt. Zusätzlich gibt es so viele Geschichten auf persönlicher Ebene, Anekdoten von Freundinnen und Kolleginnen. Es ist schwierig von einem einzigen Moment zu sprechen, ich denke, es gab mehrere.
„Hallo, es ist 2019!“
Merle Krafeld: Wenn ich zum Beispiel im Musikfeuilleton lese, es würde ja versucht werden, die Konzertprogramme der großen Orchester diverser zu besetzen, es gäbe aber einfach zu wenig Frauen in der Branche, ärgert mich das. Es gibt sie ja. Es ist das System, das diesen Menschen zu wenig Präsenz einräumt.
Woran liegt das eurer Meinung nach?
Rosanna Lovell: Sicherlich an strukturellen Problemen in der Musik. Also an den Bildungsinstitutionen und den Orchestern selbst.
Lucien Danzeisen: Hier muss aktiv angesetzt werden, bis diverse Besetzung als selbstverständlich gilt. Sonst wird immer nur der Weg des geringsten Widerstandes verfolgt, um das Abonnement-Publikum nicht zu verschrecken.
Merle Krafeld: Oft liegt es auch einfach an Bequemlichkeit. Sogar manche Studierende hier am Haus finden es zu anstrengend nach Stücken von nicht-cis-männlichen Komponist*innen zu suchen. Da denke ich mir immer ›Hallo?! Es ist 2019!‹
Lucien Danzeisen: Das beginnt schon in der Musikschule, wo eins lernt, was die ›wichtigen Stücke‹ sind. Im Klavierunterricht zum Beispiel muss eins die Beethoven-Sonate gespielt haben. Ich habe nichts gegen Beethoven, bloß wird hier schon von früh auf das Kunstverständnis bezüglich eines unhinterfragten Kanons an wichtigen Komponisten – hier gender ich absichtlich nicht – der angehenden Musiker*innen geprägt, und außerhalb dessen gibt es wenig Raum. Und das setzt sich dann im Studium fort.
Rosanna Lovell: Die meisten Studierenden an den Musikhochschulen gehen dann auch in die klassische Musik. Wenn hier an der Uni anders gelehrt werden würde, würden die Programme bei den Orchestern anders aussehen. Deshalb muss man hier anfangen.
Merle Krafeld: Es fehlen auch Vorbilder an den Musikschulen, die man von Beginn an verfolgen könnte.
Lucien Danzeisen: Dazu fällt mir eine kleine Anekdote ein: Ich habe viel Impro-Musik gemacht und in dieser Szene gibt es sehr wenig Frauen – da sind echt viele Cis-Typen. Als ich einen Kollegen nach dem Grund gefragt habe, meinte er, dass es einfach keine gäbe, die sich hier spezialisieren. Allerdings liegt das nicht daran, dass es die Frauen nicht können, sondern dass sie mit diesen Zuschreibungen von außen schon so früh konfrontiert wurden. Und davon löst sich eins sehr schwer. Aber manchen fällt das gar nicht erst auf.
„Man muss hier an der Uni anfangen etwas zu ändern.“
Merle Krafeld: Oder sie sagen explizit, dass sie dieser ›Gender-Kram‹ nervt. Das schockiert mich jedes Mal, dabei ist es gar nicht die Schuld der Leute, sondern die ihrer Ausbildung. Da kommt man gar nicht in Berührung mit einer kritischen Haltung. Das muss man dem System der strukturellen Diskriminierung vorwerfen.
Wie nähert ihr euch diesen Themen in euren Seminaren?
Lucien Danzeisen: Im ersten Semester haben wir eine Ringvorlesung zu verschiedenen Themenfeldern mit verschiedenen Methoden veranstaltet. Primär ging es um Austausch und Information. Im zweiten Semester hatten wir ein klassisches Seminar zum Thema Archivarbeit, wo wir uns auf den Umgang mit dem gängigen westeuropäischen klassischen Musikkanon fokussiert haben. Wir wollten zeigen, dass mensch Noten auch in Berliner Archiven suchen kann und nicht immer nur im Musikgeschäft oder im Internet. Es geht uns stark um Selbstermächtigung.
Also sind die gespielten Stücke so stark vorgegeben?
Merle Krafeld:Es gibt einen festen Kanon, der super wichtig und extrem leicht zugänglich ist. Aber dadurch ist es schwierig nach Komponist*innen zu suchen, wenn sie keine großen Namen haben. Wir haben uns dann immer gefragt, wie man solche Hindernisse umgehen kann. Im dritten Semester haben wir sehr lange überlegt, wie man sich dem Thema spielerisch – deswegen hieß das Seminar auch Play – nähern könnte. Und zwar haben wir ein Miniatur-Modell eines Konzertsaals gebaut. Diesen haben wir dann mit Konzerten bespielt, die eben nicht dem Mainstream entsprachen, zum Beispiel ein Programm nur mit Pionierinnen der elektronischen Musik. Deren Musikkonnte man dann über kleine Boxen oder Kopfhörer anhören.
Lucien Danzeisen: Das Modell ist jetzt sogar für andere Events angefragt, wie für die Lange Nacht der Wissenschaften an der TU, 48 Stunden Neukölln und sogar für eine Ausstellung über Clara Schuhmann. Es ist definitiv etwas, das bleibt.
Ist das auch der Grund, wieso ihr euer Projekt nun dokumentieren wollt?
Lucien Danzeisen: Genau, es geht darum etwas weiterzugeben. Bald steht bei uns ein Generationenwechsel an, weil wir wollen, dass sich wieder mehr aktuell Studierende engagieren. Deshalb braucht es eine Dokumentation, die zeigt, was wir bisher erarbeitet haben.
Merle Krafeld: Durch diesen Outreach können wir besser auf unsere Arbeit aufmerksam machen. Außerdem können wir auch von anderen zitiert werden – dann kann man auf uns verweisen. Andererseits ist es natürlich auch eine Herausforderung, das ganze Material der letzten Jahre zusammenzufassen und so herunterzubrechen, dass es die Leute verstehen.
Rosanna Lovell: So können wir uns auch aktiv in das Archiv der UdK einschreiben. Das Projekt könnte so als Beispiel vorangehen. Die nachfolgende Generation des Kollektivs hat so die Möglichkeit auf etwas aufzubauen und das Projekt fortzusetzen.
„Man muss das den Verantwortlichen auf den Schreibtisch werfen können und sagen ›Schauen Sie sich das bitte an!‹“
Welche Formen soll die Dokumentation annehmen?
Rosanna Lovell: Eine Website und ein Büchlein.
Merle Krafeld: Bei der Website hat man den Vorteil auch Audiobeiträge und Videos teilen zu können. Das Buch brauchen wir, weil die UdK einfach noch auf Papier funktioniert. Wenn man hier Leute erreichen will, braucht man das Gedruckte. Man muss es den Verantwortlichen an der UdK auf den Schreibtisch werfen können und sagen ›Schauen Sie sich das bitte an!‹
Wie würde eure Idealsituation in den Musikwissenschaften oder auch in der Musikpraxis aussehen?
Merle Krafeld: Ich glaube, es muss langsam akzeptiert werden, dass Feminismus und Diversität der wissenschaftlichen Welt extrem guttun, ein grundsätzliches Überlegen: Wie funktioniert unsere Disziplin? Welche oder wessen Geschichten erzählen wir? Ist das eigentlich gut so oder ginge es auch anders? Der Zugang muss sich ändern und das Thema nicht als Betriebsstörung wahrgenommen werden, sondern als Gewinn für alle Menschen.
Lucien Danzeisen: Ich würde mir Freiheit für alle wünschen und einen respektvolleren, mutigeren und verständnisvolleren Austausch untereinander. Künstler*innen sollten den Anspruch haben, ihr eigenes Tun zu hinterfragen. Dafür will FEM*_MUSIC*_ Bewusstsein schaffen und Mut machen.
Rosanna Lovell: Es braucht mehr Diversität, nicht nur in Bezug auf Frauen und Männer, sondern generell. Dafür müssen aktive Prozesse aufgebaut und die Strukturen geändert werden. Das braucht Zeit und vor allem Willen, aber dafür muss man die Problematik ernst nehmen. Wenn wir unseren Horizont in der Musik nicht erweitern, geht wahnsinnig viel verloren. Es gibt so tolle Stücke und Komponist*innen, die einfach nicht gehört werden. Das muss sich in Zukunft ändern!
MEHR DIVERSE KOMPONIST*INNEN UNTER: https://www.composerdiversity.com/composer-diversity-database