Für alle, die stundenlang da sitzen und zeichnen
Das fem_arc Kollektiv thematisiert das ungleiche Geschlechterverhältnis in der Architektur und eröffnet dafür einen neuen Raum: den Podcast.
Die Geschichte eines Entstehungsprozesses von Marie Hecht
Es ist ein frühsommerlicher Montagabend. Ein warmes Sommergewitter hängt über Berlin. Zum Treffen des fem-arc Kollektivs verspäten sich daher einige Mitglieder. Die schon anwesenden beugen sich über einen massiven Holztisch. Lara Stöhlmacher hat eine Reihe von Zetteln mit möglichen Aufnahmegeräten, Kopfhörern und Mikrofonen, die sich für die Aufnahmen des F_TALKS PODCAST eignen, ausgebreitet. „Ich habe die erste Bedienungsanleitung meines Lebens gelesen“, verkündet sie stolz.
Die Wände des Esszimmers sind weiß verputzt, die Decken hoch. Für ihren F_TALKS PODCAST treffen sich die mittlerweile sechs Frauen des fem_arc Kollektivs immer montagabends bei einer von ihnen Zuhause. Heute sind sie bei Insa Streit, die erst kürzlich in die Altbauwohnung in Charlottenburg gezogen ist. Kalte Regenluft verbreitet sich im Raum. Die Balkontür steht offen. Die restlichen Mitglieder des fem_arc Kollektivs treffen ein. Raucherinnen stellen sich unter das tropfende Blätterdach auf den Balkon. Im Esszimmer begleitet das Rauschen des Regens die leisen Gespräche. Eine bronzene Stehlampe, aus einem alten Rohr gefertigt, beleuchtet einen gemütlichen Sessel in einer anderen Ecke des Raumes. Lucía Gauchat Schulte hat sich in ihm niedergelassen. „Für den Podcast hat es uns interessiert, eine intime Struktur zu schaffen. Nicht wir laden die Leute ein, sondern sie laden uns in ihren Arbeitsraum ein“, erklärt sie Aslı Varol und Ana Rodriguez Bisbicus, die neu in das Projekt einsteigen wollen und heute zum ersten Mal zu einem Treffen des fem_arc Kollektivs gekommen sind. Wie alle anderen Mitglieder des Kollektivs studieren sie Architektur an der Universität der Künste Berlin (UdK).
„Wir wollen eine intime Struktur schaffen. Nicht wir laden die Leute ein, sondern sie laden uns in ihren Arbeitsraum ein.“
Das fem_arc Kollektiv gründete sich Anfang 2018 als zu einer regelmäßigen Architektur-Vortragsreihe an der UdK größtenteils Männer eingeladen wurden. Bei den Student*innen wuchs der Wunsch mit Frauen aus ihrem Bereich zu reden und sie gründeten ihre eigene Vortragsreihe als Gegenprodukt. Zur F_TALKS Vortrags- und Diskussionsreihe zu Gender und Architektur luden sie fünf Frauen ein, um die Möglichkeiten zeitgenössischer und zukünftiger räumlicher Praktiken zu diskutieren und fanden sich endlich in einem Raum wieder, in dem es neben der inhaltlichen Auseinandersetzung möglich war alle Fragen zu stellen. „Es war fast so eine Art safe space“, berichtet Lara, „wir konnten endlich die Fragen stellen, die man als Frau in diesem Berufsfeld hat.“ Mit dem F_TALKS PODCAST wollen sie nun mehr Raum schaffen für den Austausch über Alternativen und Ausbrüche aus der Norm im Berufsfeld Architektur. „Und wir wollen die Arbeiten von Frauen zeigen“, sagt Insa Streit. Dabei geht es ihnen auch darum, eine feministische Pluralität herauszuarbeiten. „Ein wichtiger Punkt für uns ist es, die Frauen mit denen wir sprechen, zu fragen, was für sie Feminismus bedeutet“, sagt Océane Réveillac. Sie werden Jos Boys, Diana Lucas-Drogan, Diana McCarty, the Agency und Monica Bonvicini zu Gesprächen empfangen. Gleichzeitig werden sie die Klangwelten der Räume, in denen sie ihren Interviewpartner*innen begegnen, einfangen. „Wir wollen versuchen die Räumlichkeit mal anders darzustellen als in Plänen, Visualisierungen, Renderings oder Collagen. Als Ergänzung zu unserer üblichen Arbeitsweise“, sagt Lucía. Den Podcast widmen sie denjenigen, die stundenlang da sitzen und Pläne zeichnen.
Die Inspiration für den F_TALKS PODCAST gab Amelie Schindler, die das fem_arc Kollektiv mitbegründete. Amelie erkrankte während der F_TALKS Vortragsreihe und starb im Dezember 2018. „Amelie hat sich viel mit Raum und Soundscapes auseinandergesetzt“, erzählt Lara. „Sie hat mir ihr Aufnahmegerät vermacht.“ Klang und Raum sind nun zu den Hauptthemen des F_TALKS PODCAST geworden.
Beim heutigen fem_arc Treffen stehen Budgetplanungen und die Vorbereitung für die ersten Podcast-Aufnahmen auf der Agenda. In einer Woche haben sie die ersten Tonaufnahmen. Sie führen die Gespräche mit der Architektin und Performancekünstlerin Diana Lucas-Drogan und der feministischen Radioaktivistin Diana McCarty. „Für die Künstlerin ist das Atelier ihr Arbeitsraum, für eine Radioaktivistin ist es hingegen der mediale Raum. Beide wollen wir in unserem Podcast einfangen“, erklärt Océane und Lara ergänzt: „Im Raum kann so viel passieren. Wir fragen uns: Welche Regeln haben Räume? Ganz viel passiert unbewusst. In unserem Podcast wollen wir diskutieren und sensibel dafür werden, welche Bedürfnisse es für einen Raum gibt.“
„In unserem Podcast wollen wir sensibel dafür werden, welche Bedürfnisse es für einen Raum gibt.“
Es hört auf zu regnen. Musik füllt leise den Raum. Eine hohe Stimme singt über einen langsamen Beat. Draußen ist es dunkel geworden. In die Aufmerksamkeit des Treffens rückt nun die Lampe über dem Esstisch. Sie ist aus Stahlträgern gefertigt. „Das ist eigentlich ein Architekturmodell, ein Tragwerksmodell“, erklärt Insa der Gruppe. Das Recyceln von Modellen aus dem Architekturstudium lohnt sich, denn „ein Endmodell kann zwischen 200€ und 800€ kosten“, erklärt sie. Jedes Semester erstellen alle Student*innen ein Endmodell. „Architektur ist einer der teuersten Studiengänge überhaupt“, meint Insa. Die Materialien, regelmäßige Exkursionen und Computer kosten viel Geld. „Und es wird einfach davon ausgegangen, dass man es sich leisten kann“, sagt sie. Je größer der Name des Architekturbüros sei, bei dem man ein Praktikum absolviert, desto reicher seien die Eltern. „Im Grunde sind wir uns doch alle sehr ähnlich. Alle kommen aus sehr wohlhabenden Familien“, meint auch Lucía. In ihrer Ausbildung fehlt den Student*innen die Diversität. Der Großteil der Studierenden ist Weiß und in den leitenden Positionen der Architekturbüros oder als Vorbilder in den Vorlesungen vermissen die Studentinnen Frauen. „Unsere Wahrnehmung ist schon sehr eindeutig“, sagt Insa. „Die Professoren, die Büros in denen wir gearbeitet haben, die großen Büros, die wir uns anschauen, die Referenzen, für die wir arbeiten müssen: alles Männer. Irgendwann ist mir bewusst geworden, dass mich das nervt.“ Bei ihrer ersten Praktikumsstelle gab es 28 Mitarbeiter*innen. „Nur drei von ihnen waren Frauen“ teilt sie ihre Erfahrungen. Die Universität sei eine Art Schutzraum. „In der Uni wurde ich immer sehr dafür geschätzt, wie ich war und konnte mir schnell etwas erarbeiten. Im Büro war es dann super schwer. Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich mich gefühlt wie ein Mädchen. Mir wurde gesagt, wo man den Computer anschaltet oder ein PDF abspeichert. Das war echt crazy.“
„Mir wurde gesagt, wo man den Computer anschaltet oder ein PDF abspeichert. Das war echt crazy!“
Die wenigen weiblichen Architekt*innen, die in der Branche bekannt werden, sind oft Teil einer erfolgreichen Partnerschaft mit einem männlichen Architekten. 1979 gründeten Cindy und Jay A. Pritzker die bis heute angesehenste Auszeichnung in der Architektur. Seitdem wurde der Pritzker-Preis, der als Nobelpreis der Architektur gilt, 41 Mal vergeben. Es wurden nur drei Frauen ausgezeichnet.
Für die Studentinnen von fem_arc sind besonders die schlechten Arbeitsbedingungen in der Architektur der Grund, warum weniger Frauen erfolgreiche Architekt*innen werden. Eine 60-Stunden-Woche und unbezahlte Überstunden am Wochenende seien Standard und mit einer Familie schlecht vereinbar. Außerdem würden Machtstrukturen bereits in der Ausbildung gefördert werden, in dem ein männlicher Geniemythos geschaffen werde. „Diese Machtstrukturen sind sehr stark verankert“, meint Lara und Insa ergänzt: „Bei einem Bauprojekt sitzt man dann mit Fachplanern und Gebäudetechnikern zusammen. Das Ingenieur- und Bauwesen ist ein sehr männlich geprägtes Feld. Dann bist du plötzlich die einzige Frau unter sechs Leuten im Sitzungsraum.“ Auf den Baustellen sei es noch schlimmer. „Ich glaube in der Architektur gibt es noch richtige Freiräume für ganz klassischen Machismus. Das Büro, für das ich gearbeitet habe, hat sogar lange Zeit aus Prinzip keine Frauen eingestellt!“ Insa erzählt, wie sie zunächst versuchte es mit Humor zu sehen, aber es war ihr unmöglich. „Ich glaube viele Leute können diese Geschichten erzählen. Es ist echt schwierig und ich glaube Frauen geben dann doch oft auf“, vermutet sie. „Unser F-TALKS PODCAST soll aber das Gegenteil beweisen. Denn es gibt erfolgreiche Architektinnen, man muss sie nur finden.“ Und ihnen zur Abwechslung mal den Raum überlassen.