Ein Büro für Sichtbarkeit
Ein Büro für Sichtbarkeit
Von Stella Schalamon
An den vier Fakultäten Gestaltung, Bildende Kunst, Darstellende Kunst und Musik sowie am Jazz-Institut Berlin, in der Bibliothek und der Verwaltung der UdK Berlin gibt es zwei Frauenbeauftragte. Für die Fakultät Darstellende Künste sind Susanna Rydz und Kerstin Iskra zuständig. Ein Besuch in ihrem Büro.
Versteckt in einem der Flügel der UdK Berlin in der Bundesallee, liegt das Büro der Frauenbeauftragten Susanna Rydz und Kerstin Iskra. Eine schmale Holztreppe führt dorthin. Die Decken sind niedrig, die großen Fenster mit Rundbogen hören abrupt auf. Man hat einen zweiten Boden gezogen. Ganz hinten im Raum, wo sich CDs und Notenbücher in den Regalen reihen, sitzt Kerstin Iskra an ihrem Schreibtisch. Sie schreibt noch eine Mail.
Seit 2011 gibt das Berliner Hochschulgesetz vor, dass jede Hochschule eine hauptberufliche Frauenbeauftragte beschäftigt. An der UdK Berlin gibt es pro Fakultät und Einrichtung zusätzlich zwei nebenberufliche. Sie werden auf der Frauenversammlung für zwei Jahre gewählt. Die Frauenvollversammlung findet mindestens einmal jährlich statt. Auf ihr haben alleine die Frauen ein Stimmrecht.
Knapp vier Jahren ist Kerstin Iskra nun für ihre Anliegen in den Studiengängen von Gesang bis zu Schauspiel und Kostümbild zuständig. Susanna Rydz ist seit Oktober ihre Stellvertreterin. Sie sitzt ihr gegenüber auf einem gemütlichen Stuhl.
Was eine Frauenbeauftragte eigentlich macht, wusste Kerstin Iskra anfangs nicht so recht. Aber sie dachte sich, dass es immer gut sei Frauen zu unterstützen. Sie dachte auch, dass an der UdK nicht so viel passiert, das eine Frauenbeauftragte braucht. Ihre Vorgängerin hat dann ein wenig geschmunzelt.
Empowernde Anwesenheit
Inzwischen weiß Kerstin Iskra, dass ihre Anwesenheit sehr wichtig ist und ihre Aufgabe vor allem das: da sein. In ihrem Büro. In der Uni. In Berufungsverfahren. Einen typischen Arbeitsalltag gibt es nicht. Aus allen Ecken drängen Aufgaben: die Webseite, Anträge, Termine, E-Mails, und dann kommt plötzlich noch jemand vorbei.
Dafür ist Kerstin Iskra sehr froh um das eigene Büro, dessen Tür eine vertrauliche Atmosphäre schafft. Sie steht allen Geschlechtern offen, denn insgeheim verstehen sich Kerstin Iskra und Susanna Rydz als Gleichstellungsbeauftragte. Sie helfen auch bei der Vereinbarkeit von Studium und Familie, was Männer genauso etwas angeht wie Frauen. Der Begriff Frauenbeauftragte ist mehr ein Politikum, das durch das Hochschulgesetz vorgeschrieben ist. Natürlich sind aber vor allem Frauen ihre Adressatinnen im Bestreben nach mehr Sichtbarkeit und Empowerment. Und natürlich sind es vor allem Frauen, die zu ihnen kommen.
Oft geht es um verbale Aussagen. Angst vor Konsequenzen, wenn man sich gewehrt hat. Oder Mobbing auf Social Media. Viel ist Kerstin Iskra noch nicht untergekommen. "Vor allem nichts mit Anfassen und so." Ihre Aufgabe ist es zuzuhören und die Person und das, was sie sagt, ernst zu nehmen. Sie versucht stets das Gefühl vermitteln, dass das, was die Person empfindet, für sie real ist. Dass sie nicht einfach zu empfindlich ist, wie manchmal befürchtet wird. Eine Psychologin ist Kerstin Iskra aber nicht und vermittelt der Person, wenn nötig, Stellen, wo sie Hilfe finden kann.
Austausch der Frauenbeauftragten
Das ist viel Verantwortung. Sie ist dankbar darum, dass sie sich mit Susanna Rydz und den anderen Frauenbeauftragten austauschen kann. Einmal im Monat treffen sich alle als Beirat bei der hauptberuflichen Frauenbeauftragte Naile Tanış. Manchmal finden Workshops zur Weiterbildung statt. Eine besondere Ausbildung zur Frauenbeauftragten gibt es nicht. Das laufe mehr autodidaktisch, drückt Kerstin Iskra es aus. Sie kann sich auch auf ihre eigenen Erfahrungen als Frau im Studium und im Kunstbereich berufen.
In ihrem BWL- und Managementstudium gab es einen Professor, der Frauen zwei Notenpunkte schenkte, weil sie es schon schwer genug hätten. Während sich andere Frauen darüber ärgerten, dachte sich Kerstin Iskra, dass sie mitnehmen müsse, was sie könne. Heute würde sie das etwas differenzierter betrachten, aber sie würde die zwei Punkte trotzdem mitnehmen.
Später hat sie bei den Internationalen Filmfestspiele gearbeitet und war Geschäftsführerin an der Neuköllner Oper. Vor zwanzig Jahren, als die Quote da noch weit entfernt war, hat sie schon Frauen eingestellt und darauf geachtet, dass keine blöden Sprüche kommen.
Seit 2010 hat sie eine halbe Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin inne und leitet den Studiengang Musical/Show mit. Ihre zusätzliche Tätigkeit als Frauenbeauftragte war in den ersten zwei Jahren ehrenamtlich. Heute wird sie für zehn Stunden pro Woche in der Vorlesungszeit bezahlt. Es soll in Kürze eine einheitliche Regelung zum Thema Freistellung bzw. Aufwandsentschädigung der nebenberuflichen Frauenbeauftragten für alle Fakultäten und Einrichtungen gefunden werden.
Gelder für Gleichstellungsprojekte
Was die Fördergelder betrifft, die die UdK Berlin vom Senat bekommt, gibt es sie schon. Dem Berliner Hochschulgesetz gemäß werden sie je nach Frauenanteil auf die Hochschulen verteilt. Zusätzlich hat die UdK Berlin noch ein eigenes Anreizsystem. Naile Tanış, die hauptberufliche Frauenbeauftragte stellt Anfang jeden Jahres die Neueinstellungen von Frauen in den Fakultäten fest und berechnet daraufhin die Höhe der Beträge für frauenfördernde Maßnahmen. Fakultäten, die ihre Ziele erreicht haben, werden besonders berücksichtigt. Mit diesen Geldern können die Frauenbeauftragten, wie Kerstin Iskra und Susanna Rydz, zum Beispiel Projekte von Studierenden zum Thema Chancengleichheit finanzieren. Alle Geschlechter können sich bewerben, Bedingung ist, dass es sich um genderspezifischen Themen handelt. Viele Studierenden sind überrascht, wenn sie erfahren, dass es diese Förderungen gibt.
Anträge können das ganze Jahr über gestellt werden. In ihnen muss das Projekt und sein Bezug zu Gleichstellung beschrieben und eine Übersicht der Kosten aufgestellt sein. In der Regel präsentieren die Antragsteller*innen das Projekt einer Jury auf der Frauenvollversammlung. Die Jury besteht aus aus Kerstin Iskra und Susanna Rydz als Frauenbeauftragte, sowie jeweils einer Person aus der Professur und der Fachschaft der Fakultät Darstellende Künste, dem Allgemeinen Studierendenausschuss und einer Person von einer anderen Fakultät. Sie kommt nur einmal im Jahr zusammen. Über Anträge, die nach der Versammlung eingehen, entscheiden Kerstin Iskra und Susanna Rydz alleine.
Förderung neuer Rollenbilder
Als Frauenbeauftragte sind sie außerdem auch gleichstellungspolitisch aktiv und versuchen mit ihrer Arbeit Strukturen an der Hochschule mitzugestalten. Ein Projekt ist das Symposium "Performances von Weiblichkeit", das im nächsten Jahr zum dritten Mal stattfinden wird. Vergangenes Jahr gab es dort einen Workshop zu kritischen Männlichkeiten, zum selbstbewussten Verhandeln und zu mehr Rollenvielfalt in Film und Fernsehen. Und viel Gesprächsbedarf.
Susanna Rydz hat damals teilgenommen und sich daraufhin um die Stelle als Kerstin Iskras Stellvertreterin beworben. Jetzt organisiert sie als solche das Symposium im nächsten Jahr. Sie studiert Bühnenbild und hat schon an vielen Theatern gearbeitet, wo sie sexistischen Rollenbildern begegnet ist. Das hat sie aufgeregt und ihr bewusst gemacht, dass sie in einem solchen Umfeld nicht arbeiten will.
Häufig werden diese Bilder in Hochschulproduktionen reproduziert. Das Theater ist nun mal eine sehr alte Kunst. Dabei dürfe es gerade an der Hochschule revolutionär und neu sein, findet Susanna Rydz. Sie studiere schließlich, um sich zu öffnen und alles zu hinterfragen.
Kerstin Iskra pflichtet ihr bei. Auf der Webseite ihres Büros steht deshalb: "Geschlechtergerechtigkeit fängt im Kopf an. [...] Theater ist ein Medium, das Bilder schafft und sich zwangsläufig mit Repräsentationen auseinandersetzen muss."
Es darf nicht mehr heißen: Das steht da so. Das war schon immer so. Deshalb machst du es jetzt. Es muss in Ordnung sein, wenn eine Person sich nicht ausziehen will, nicht noch eine Frau in einer passiven Opferrolle spielen will, oder einen Text nicht singen will, weil er so sehr den eigenen Werten widerspricht. Kerstin Iskra ermutigt ihre Studierenden dazu, ihre Grenzen aufzuzeigen. Gleichzeitig ermöglichen die Fördermittel Produktionen, die anders denken und mit den Rollenbildern spielen. Aktuell wird die Oper "Angels in America" von Peter Eötvös gezeigt, in der es um ein queeres Paar geht. Viele Frauen sind an der Produktion beteiligt. Oder das feministische Filmprojekt "Das melancholische Mädchen" von Susanne Heinrich, das gerade in den Kinos lief.
Mehr Frauen an die Hochschulen
Indem Kerstin Iskra und Susanna Rydz Berufungsverfahren begleiten wirken sie außerdem der für Bühnenkünste typischen Vetternwirtschaft entgegen. "Im Theatergeschäft sind noch viele weiße Cismänner, die mit ihren Buddies zusammenarbeiten wollen", beschreibt Susanna Rydz. Oder es komme das bequeme Argument, dass man nicht wisse, wo man weibliche Kolleginnen finden könne.
Ob Professur, Technik oder Verwaltung, Susanna Rydz und Kerstin Iskra sind im gesamten Prozess des Bewerbungsverfahrens involviert. Sie teilen sich die Verfahren kollegial auf, denn ein solches kann bis zu fünfzig Stunden dauern. Es beginnt mit der Ausschreibung, die sie auf Gendergerechtigkeit kontrollieren. Dann wirken sie auf Auswahl der Bewerber*innen ein, indem sie gezielt Leute ansprechen und ermutigen sich zu bewerben. Als eine neue Werkstattleitung gesucht wurde, haben sie Tischlerinnenvereine angeschrieben und gefragt, ob sie die Ausschreibung nicht auf ihre Webseite stellen wollen. In der Entscheidung selbst haben zwar sie kein Stimmrecht, aber sie können beraten und im Notfall Veto einlegen. Bis jetzt kam das noch nicht vor.
Sie merken beide, dass durch ihre Anwesenheit weniger blöde Sprüche fallen. Oder wie Susanna Rydz es manchmal erlebt: "Die Sprüche werden zwar gemacht, aber man schaut mich dabei an. Von wegen: Ich weiß, das war blöd."
Von der Hochschule zu den Spielstätten
Beim Symposium "Performances von Weiblichkeit" vergangenes Jahr wurde die Studie "Frauen in Kultur und Medien" vorgestellt. Denkt Kerstin Iskra daran, schüttelt sie den Kopf. Die Ergebnisse seien erschütternd. An den Theatern dominieren weiterhin die Männer. Sie besetzen die Leitungspositionen und führen fast nur Arbeiten von Männern auf.
Was verwundert, denn die Studiengänge der Darstellenden Künste haben laut Studie mit über 64 Prozent einen der höchsten Anteile an Studentinnen. Bei den Lehrenden ist die Gleichstellung mit 44 Prozent noch nicht erreicht.
Susanna Rydz und Kerstin Iskra nehmen das an ihrer Fakultät besser wahr. Laut der UdK Studierendenstatistik von 2018 sind dort 65 Prozent Studentinnen und 45 Prozent Professorinnen. Das liegt über dem UdK-internen Durchschnitt. Ihr Wirken in den Berufungsverfahren fruchtet.
Aber es dauere und vollziehe sich in kleinen Trippelschritten, sagt Kerstin Iskra. Schließlich gebe kein Mann freiwillig vor der Berentung seine Professur auf. Sie und Susanna Rydz müssen als Frauenbeauftragte deshalb immer hartnäckig dabei bleiben. Kerstin Iskra wird sich wieder zur Wahl stellen lassen und hofft sehr, dass auch Susanna Rydz noch eine Weile dabei bleibt. Sie verstehen und ergänzen sich gut, sind nun eingespielt. So macht es Spaß.
Sie dürfen auch nicht müde werden, Augenrollen auf ihre Gendersensibilisierung hin zu sehen und Dinge immer wieder zu wiederholen. Ihr persönliches Mantra dabei: Sichtbarmachen, sichtbarmachen, sichtbarmachen.