Schutz vor sexualisierter Diskriminierung und Gewalt - eine Aufgabe der Hochschulen
Schutz vor sexualisierter Diskriminierung und Gewalt - eine Aufgabe der Hochschulen
Von Henrike Lehnguth
Das Thema sexualisierte Diskriminierung und Gewalt wurde durch #MeToo in den letzten Jahren verstärkt in der Öffentlichkeit diskutiert. Jede zweite Studentin berichtet, Erfahrung mit sexualisierter Diskriminierung und grenzüberschreitenden Übergriffen gemacht zu haben. Als Frauenbeauftragte und Akteur*innen im Gleichstellungskontext verstehen wir sexualisierte Diskriminierung und Gewalt als eine Form der geschlechtsbezogenen Benachteiligung, die eine nachhaltige institutionelle Handlungsbereitschaft erfordert.
Aufgabe der Frauenbeauftragten an Hochschulen ist es, sich für die Chancengleichheit der Geschlechter einzusetzen und bestehenden Benachteiligungen entgegenzuwirken. Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt stellt eine Form von geschlechtsbezogener Benachteiligung dar, von der auch Universitätsangehörige betroffen sind. Mehr als die Hälfte aller Studentinnen an deutschen Hochschulen berichten, Erfahrungen mit sexualisierter Diskriminierung und Gewalt gemacht zu haben. Bei knapp einem Drittel dieser Erfahrungen war ein universitärer Bezug gegeben. (1) In den letzten zwei Jahren wurden durch #MeToo einige Vorfälle ausführlich in der Öffentlichkeit diskutiert. Darunter auch die sexualisierten Übergriffe an Kunst- und Musikhochschulen in München, Düsseldorf und Hamburg. (2) Sexualisierte Diskriminierung an Hochschulen stellt also weiterhin eine bedeutsame Benachteiligung dar, die nachhaltige institutionelle Handlungsbereitschaft erfordert.
An der Universität der Künste Berlin wurden in diesem Jahr (2019) mehrere Vorhaben zum Schutz vor sexualisierter Diskriminierung umgesetzt. Berichten möchte ich insbesondere über den Aktionstag zu Nähe und Distanz in der künstlerischen Ausbildung, der von den Frauenbeauftragten der Universität der Künste Berlin und der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin organisiert wurde, über die Richtlinie zum Schutz vor (sexualisierter) Diskriminierung, Belästigung und Gewalt, die im Sommersemester 2019 an der Universität der Künste verabschiedet wurde, und über die Broschüre zu sexualisierter Diskriminierung und Gewalt, die im Wintersemester 2019/2020 publiziert werden wird.
Der Aktionstag zu „Nähe und Distanz in der künstlerischen Ausbildung“ fand am 24. Mai 2019 an der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin statt. Eingeladen waren alle Mitglieder beider Hochschulen und interessierte Gäste aus dem gesamten Bundesgebiet. Durch seine vielseitigen Formate, darunter Vorträge, Workshops, eine Podiumsdiskussion und einen künstlerischen Beitrag, ermöglichte der Aktionstag ganz unterschiedliche Zugänge zum Thema. Ein kurzweiliger, informativer Einstieg gelang mit dem Vortrag der Rechtswissenschaftlerin Prof. Dr. Ulrike Lembke, der eine rechtliche Einordnung von sexualisierter Belästigung an Hochschulen vornahm. Mit Verweis auf §12 des Landesgleichstellungsgesetzes (LGG) und §3 des Allgemeine Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) diskutierte Lembke sexualisierte Belästigung zunächst als eine Form von geschlechtsbezogener Diskriminierung. Dass es bei sexualisierter Belästigung weniger um sexuelles Begehren als um eine „Platzanweisung in den [institutionellen und gesellschaftlichen] Hierarchien“ geht, veranschaulichte Lembke mithilfe eines Urteils des Bundesarbeitsgerichts (vom 29. Juni 2017). Das Gericht stellte fest, dass der Mitarbeiter einen Kollegen sexuell belästigt hatte und es sich trotz dessen heterosexueller Eigenidentifizierung um sexuelle Belästigung handele, da es bei sexualisierter Belästigung „[a]uf eine sexuelle Motivation der Berührung nicht ankomm[e]“. Im Ergebnis wurde die außerordentliche Kündigung des Mitarbeiters als gerechtfertigt befunden. Mit Verweis auf §177, §184i und §185 StGB diskutierte Lembke sexuelle Belästigung als Straftat. Seit 2016 stellt der neue Paragraph 184i StGB auch unerwünschte sexuell konnotierte körperliche Berührungen unter Strafe. Als Ziel- und Orientierungsrahmen verwies Lembke abschließend auf die UN-Frauenrechtskonvention CEDAW und das Grundgesetz und schlussfolgerte, dass die vielerorts heraufbeschworene Freiheit der Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre (3) nur mit Gleichstellung (4) zusammen gedacht werden kann, da es diese „nur im Gesamtpaket“ gibt.
Nach dieser Einführung wurde ein künstlerischer Beitrag inszeniert, der eigens für den Aktionstag entwickelt worden war. In dem Beitrag verwoben sich Szenen aus Heinrich von Kleists „Zerbrochenem Krug“ mit Szenen einer Bühnenprobe und Szenen am „Treffpunkt Aschenbecher“. Die verletzbare Position von Kleists Eva gleicht somit der Position, die die Studentin in der Bühnenprobe und bei Pausen am Aschenbecher vis-à-vis der männlichen Lehrperson einnimmt. Sie muss sich zu der übergriffigen männlichen Nähe verhalten. Die Szenen fließen ineinander, die Diskurse werden eins. Als Stilmittel besonders eindringlich war dabei das Audiomaterial aus dem Off, das dem Publikum die Gedanken- und Gefühlswelt der Figuren, sozusagen entkoppelt von den Körpern, einspielte. Die Einbettung des Kleist-Texts verdeutlichte die anhaltende Aktualität des Themas sowie die fortwährende Notwendigkeit, sich für Chancengleichheit stark zu machen.
Über Mittag boten vier Workshops Raum für Erfahrungsaustausch. Themenschwerpunkte waren das Instrument Wertekodex, Unterstützung für Betroffene an Hochschulen, Nähe und Distanz aus Studierendenperspektive und ein künstlerischer Zugang zu Nähe und Distanz mit der Zeichnung von Cartoons. Im Workshop zum Instrument Wertekodex skizzierte Charlotte Sieben vom Deutschen Bühnenverein den Prozess der Erarbeitung eines Wertekodexes anhand ihrer Erfahrungen mit dem Deutschen Bühnenvereins, bei dem alle Mitglieder eingeladen worden waren, sich an der Erarbeitung des Wertekodexes zu beteiligen. Schlussendlich brachten sich beim Bühnenverein mehrere Personen in einer Arbeitsgruppe aktiv ein und erstellten einen Vorschlag für einen Wertekatalog und Verhaltensregeln, die im Anschluss in verschiedenen Gremien diskutiert und modifiziert wurden, sodass eine Endfassung bei der Jahreshauptversammlung im Sommer 2018 verabschiedet werden konnte. Dieses Praxisbeispiel sowie die Erfahrungswerte aus anderen Workshops wurden von den einzelnen Workshopleitungen im Plenum am Nachmittag vorgestellt.
Zum Abschluss des Aktionstags diskutierten Prof. Dr. Rode-Breymann, Vorsitzende der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen, Prof. Christine Schornsheim, Vizepräsidentin der Hochschule für Musik und Theater München, Prof. Dr. Norbert Palz, Vizepräsident der UdK Berlin, und Samara Hammud, AStA-Referentin für „Interkulturelles und Antidiskriminierung“ auf dem Podium. Frau Rode-Breymann brachte als Vorsitzende der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen eine institutionell übergreifende Perspektive ein und machte sich stark dafür, dass Diskussions- und Veränderungsprozesse an Hochschulen durch alle Hochschulmitglieder gestaltet werden sollten. Frau Schornsheim teilte persönliche Erfahrungen und betonte, wie wichtig es sei, als Betroffene für sich zu sorgen und Hilfe in Anspruch zu nehmen. Herr Palz hinterfragte das Meister-Schüler-Verhältnis und setzte sich für eine verbindlichere Lehrdidaktik ein. Und Frau Hammud forderte eine bessere Ausbildung von Lehrenden und eine Feedbackkultur, bei der der Wert einer Person deutlich von dem Wert ihrer Arbeit getrennt würde. Moderiert wurde die Diskussion von Dr. Claudia Neusüß von compassorange GmbH, einer Agentur für zeitgemäße Personal- und Organisationsentwicklung. Anschließend fand ein informeller Austausch mit Umtrunk statt.
Zu den weiteren diesjährigen Meilensteinen zum Schutz vor sexualisierter Diskriminierung und Gewalt zählt der Erlass der UdK Richtlinie zu (sexualisierter) Diskriminierung und Gewalt am 3. Juni 2019. Gemäß der Richtlinie wird ein Vertrauensrat an der UdK Berlin gebildet, der als Anlaufstelle bei Vorfällen von sexualisierter Diskriminierung und Gewalt fungiert und die Kanzlerin in ihrer Funktion als formelle Beschwerdestelle (gemäß AGG §13) berät. Die Richtlinie unterscheidet einfache und formelle Beschwerden. Für eine einfache Beschwerde wendet sich die betroffene Person und/oder eine sie vertretende Person an den Vertrauensrat, der zu einem persönlichen Gespräch einlädt und den Vorfall dokumentiert. Entscheidet sich die betroffene Person und/oder eine sie vertretende Person, für ein formelles Beschwerdeverfahren, muss sie der Kanzlerin einen Auftrag zur Sachverhaltsermittlung erteilen. Zur Sachverhaltsermittlung hört die Kanzlerin zunächst die betroffene Person bzw. die*den Beschwerdeführer*in an. Danach gibt sie dem*der Beschwerdegegner*in die Gelegenheit, sich innerhalb einer gesetzten Frist schriftlich zu äußern und ein persönliches Gespräch wahrzunehmen. Die Kanzlerin gibt dann eine Handlungsempfehlung an den Präsidenten ab. Dabei können unterschiedliche Maßnahmen und Sanktionen greifen, wie z.B. eine schriftliche Ermahnung, der Entzug von Personalverantwortung bis hin zur fristlosen Kündigung, Exmatrikulation und Strafanzeige. Durch die Richtlinie vereinheitlicht die UdK Berlin das Beschwerdeverfahren und trägt maßgeblich zu einem transparenteren Schutz vor sexualisierter Diskriminierung und Gewalt bei.
Ein drittes Vorhaben zum Schutz vor sexualisierter Diskriminierung und Gewalt wird dieses Jahr mit der Broschüre „Informationen zu Sexualisierter Diskriminierung und Gewalt“ realisiert, die im Wintersemester 2019/2020 vom Büro der Frauenbeauftragten herausgegeben werden wird. Ziel der Broschüre ist es, UdK Angehörige über sexualisierte Diskriminierung und Gewalt zu informieren, Anlaufstellen an der UdK Berlin und in Berlin zu benennen und Handlungsempfehlungen auszusprechen. Die Broschüre geht auf die Spezifika von Kunsthochschulen ein – übliche Lehr-Lernformate wie Einzelunterricht in der musikalischen Ausbildung sowie Proben und Abendveranstaltungen in Privaträumen – die ganz selbstverständlich eine Nähe zwischen Lehrpersonen und Studierenden entstehen lassen und bei Lehrenden eine hohe Professionalität voraussetzen. Des Weiteren macht die Broschüre auf die oft schwerwiegenden Auswirkungen sexualisierter Diskriminierung und Gewalt aufmerksam. Viele Betroffene erleben massive Selbstzweifel, Verunsicherung und Angst. Auch psychosomatische Beschwerden, Schlafstörungen und Depressionen sind häufige Folgen. Sobald die Broschüre gedruckt ist, beabsichtigen wir sie weitläufig zu verteilen und als Aufhänger zu nehmen, um das Thema mit Ihnen und Euch vertiefend an der UdK Berlin zu diskutieren.
Literaturquellen:
Bartsch, Matthias, Martin Knobbe und Jan-Philipp Möller. (26.04.2019) „#MeToo-Vorwürfe gegen Professoren: Seine Erwartungen: „‘reden, trinken, vögeln‘“. Der Spiegel Online. (abgerufen am 21.08.2019).
Feltes, Thomas, Augusto Ballone, Janina Czapska et. al. (2012a). Gender-Based Violence, Stalking and Fear of Crime. Final Report. EU-Project 2008.2011. www.gendercrime.eu (abgerufen am 16.7.2019).
Graef, Nicola. (22.10. 2018) Die Hand am Po.https://www.daserste.de/information/reportage-dokumentation/dokus/videos/die-hand-am-po-video-102.html (abgerufen am 21.08.2019).
Knobbe, Martin und Jan-Philipp Möller (20/2018) „Skandal an der Musikhochschule München: Sex im Präsidentenbüro“. Der Spiegel Online. https://www.spiegel.de/spiegel/sex-skandal-an-der-musikhochschule-muenchen-a-1207253.html (abgerufen am 21.08.2019).
1 Siehe Feltes, Thomas, Augusto Ballone, Janina Czapska et. al.
2 Siehe u.a. Graef, Nicola
3 siehe Artikel 5 des Grundgesetzes
4 siehe Artikel 3 des Grundgesetzes
Teaser-Foto: Janine Escher
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