Die Apokalypse enttäuscht – Tagung

Tagung an der Universität der Künste Berlin, Hardenbergstraße 33, Raum 201 (Aula), Do, 5. / Fr, 6. Mai 2022 --- Ausführlichere Informationen und Programm unter: https://www.udk-berlin.de/veranstaltung/die-apokalypse-enttaeuscht

Leonard Neumann

Ausgehend von einem Text des französischen Philosophen Maurice Blanchot untersucht die zweitägige Tagung die Möglichkeit der Selbstvernichtung der Menschheit, wie sie in der atomaren Drohung und der Klimakatastrophe vorgezeichnet ist.

DIE APOKALYPSE ENTTÄUSCHT
Kann die Menschheit sich selbst vernichten?

Tagung an der Universität der Künste Berlin
Hardenbergstraße 33, Raum 201 (Aula)
5. / 6. Mai 2022

„Unser Haus brennt“ – das will sagen: Die ökologischen Veränderungen, die wir durchleben, sind von so gewaltigem Ausmaß, dass das menschliche Leben als solches bedroht ist. Nicht nur die drastischen Aufrufe zum Handeln, sondern der heutige Diskurs der ökologischen Veränderung insgesamt zehrt von einer apokalyptischen Bilderwelt. „Unser Haus brennt“ – das kann aber auch meinen: Der permanente gesellschaftliche Ausnahmezustand perpetuiert eine Herrschaft, die jede Spur von Freiheit auszulöschen droht. Schließlich kann „unser Haus brennt“ bedeuten, dass der neoliberale Kapitalismus alternativlos wirkt und jede Aussicht auf eine revolutionäre Veränderung zu verstellen scheint, auf eine Revolution, die man mit dem Namen des Kommunismus verbindet. Dann ist die apokalyptische Rede als Rede von einem bereits erreichten Ende, auf das kein weiterer Anfang mehr folgen kann, so angelegt, dass sie die vermeintliche Alternativlosigkeit verewigt. Thunberg, Agamben, Badiou: die apokalyptische Rede zirkuliert, jeweils anders und doch nicht zusammenhanglos, als affirmierte oder kritisierte.

Angesichts des Wiedererstarkens der apokalyptischen Rede lohnt sich ein Blick auf ihre letzte Konjunktur. In der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts, nach dem Weltkrieg, war es vor allem die atomare Bedrohung, die den Zeitgenossen eine totale Auslöschung der Menschheit vor Augen stellte. Wie wirkte sie sich auf das Denken aus?

In Reaktion auf Karl Jaspers‘ Radiovortrag und Buch „Die Atombombe und die Zukunft des Menschen“ verfasste Maurice Blanchot Anfang der sechziger Jahre mit „Die Apokalypse enttäuscht“ einen kurzen Text, der auch angesichts gegenwärtiger apokalyptischer Redeweisen eine Herausforderung darstellt. Die Atombombe wird darin von Blanchot als ein rätselhaftes, doppeldeutiges Ereignis aufgefasst: Es stellt die Menschheit in ihrer Totalität in Frage, doch zugleich wird durch das Ereignis die Idee dieser Totalität erstmals als solche denkbar. Enttäuschend aber soll die Apokalypse sein, weil sie lediglich eine unbeherrschte Möglichkeit anzeige. Sie verweist laut Blanchot auf eine Macht, über die die Menschen nicht verfügen, und die er deshalb als eine negative kennzeichnet. Er behauptet: Die Menschheit, die vollständig vernichtet werden kann und deren Auslöschung man befürchtet, existiert noch gar nicht – als Ganzes. Daran anschließend entwickelt er den bemerkenswerten Gedanken, dass die Menschheit erst durch das Ereignis der Bombe und in Gestalt ihres potenziellen Verschwindens affirmierbar wird. Die Verwirklichung der Vernunft und die totale Vernichtung gehen ein seltsames Bündnis ein.

Herausfordernd ist dieser Text Blanchots, weil die Apokalypse darin nicht mehr einfach etwas ist, worauf man hofft oder was man fürchtet. Er konfrontiert uns mit einer paradoxen Implikation des Kommunismus als Totalität einer verwirklichten Menschheit: Erst in dem freien Entschluss der Menschheit, sich die Möglichkeit ihrer eigenen totalen Vernichtung anzueignen, erzeugt sich diese Menschheit als autonomes gesamtgesellschaftliches Subjekt. Die Apokalypse enttäuscht, solange sie subjektlos bleibt.

Gegenwärtig zeigt sich die subjektlose Apokalypse auch im Rückzug auf die Selbsterhaltung, aber auch in problematischen Formen der Bewahrung von „Natur“. Dieser Rückzug zeigt eine Unfreiheit und Abhängigkeit an, eine Heteronomie des Denkens und Handelns, eine Einschüchterung. Können wir Blanchots Überlegungen fruchtbar machen, in einer Zeit, in der die Selbsterhaltung und Bewahrung das einende Merkmal aller Diskurse zu sein scheint? Gelingt es, mit seinem Denken den endlosen Zusammenhang von apokalyptischer Rede und Selbsterhaltung zu durchbrechen?

Ausgehend von „Die Apokalypse enttäuscht“ fragt die Konferenz: Wer oder was ist das Subjekt der Apokalypse? Kann es ein solches Subjekt überhaupt geben? Und kann die Apokalypse etwas sein, das man nicht mehr einfach erhofft oder befürchtet – sondern etwas, zu dem man sich entschließt? Mit Blick auf aktuelle Herausforderungen der Klimakatastrophe sind diese Fragen zu erweitern: Was kann ein solcher „Entschluss“, den Blanchot ins Auge fasst, im Kontext der klimatischen Umwälzungen bedeuten? Welchen Stellenwert haben dabei die unterschiedlichen Zeitlichkeiten der beiden Formen der Apokalypse: der Bombe als einem unmittelbar bevorstehenden Ereignis, des Klimawandels als einem Ereignis, das sich über einen längeren Zeitraum erstreckt? Und ist die Menschheit, die sich im Zeitalter des Anthropozäns wähnt, als Ganzes immer noch eine letztlich abstrakte, die ihr Tun nicht selbständig als ein einheitliches bestimmt?

Mit Beiträgen von: Antonia Birnbaum, Alexander García Düttmann, Eva Horn, Ansgar Martins, Dirk Quadflieg, Marcus Quent, Danilo Scholz, Cecilia Sjöholm, Samo Tomšič.

Tagungsorganisation: Marcus Quent und Alexander García Düttmann 
(Institut für Kunstwissenschaft und Ästhetik)

Der Text "Die Apokalypse enttäuscht" von Maurice Blanchot kann hier abgerufen werden. Die deutsche Übersetzung ist in dem von Uli Menke und Ulrich Kunzmann übersetzten Band Die Freundschaft erschienen (frz. 1971, dt. 2011). 
Wir danken dem Verlag Matthes & Seitz Berlin für die freundliche Erlaubnis, den Text online zur Verfügung zu stellen!


PROGRAMM

Donnerstag, 5. Mai 2022

14:45 - 15:00 Begrüßung und Einführung
15:00 - 16:00 Antonia Birnbaum: Immer kommt etwas dazwischen
16:00 - 17:00 Dirk Quadflieg: Über die wahrscheinlich-unwahrscheinliche Möglichkeit der Totalität und das Ausbleiben der Zukunft
17:00 - 17:30 Kaffeepause
17:30 - 18:30 Cecilia Sjöholm: Heroes of the Negative. Blanchot and „Humanity“
18:30 - 19:30 Danilo Scholz: Angst und Bange am Stück. (Anti-)Kommunismus und atomare Bedrohung im Frankreich der Trente Glorieuses


Freitag, 6. Mai 2022

10:00 - 11:00 Alexander García Düttmann: Muss die Apokalypse enttäuschen? Philosophen im Klimawandel und davor
11:00 - 12:00 Eva Horn: Figuren der Totalität. Atomtod und Anthropozän
12:00 - 13:00 Ansgar Martins: Die Abschaffung des Todes als apokalyptisches Kernproblem
13:00 - 14:15 Mittagspause
14:15 - 15:15 Samo Tomšič: Das soziale Band zwischen Emergenz und Auflösung
15:15 - 16:15 Marcus Quent: Zeit gewinnen. Totale Vernichtung als Effekt
16:15 - 16:30 Abschlussrunde und Verabschiedung

Info

Dr. Marcus Quent
m.quent_ @udk-berlin.de