DRIFTING BETWEEN PICTURES OF THE MIND / TEXT – Ausstellung

Peter Geller (Branger)

Diese Ausstelung basiert auf ein Kombi-Projekt, welches 2012 von mehreren Studierenden der unterschliedlichsten Fachklassen initiert wurde. Es befässt sich mit sozio-politische Thematiken, Fragestellungen zu Figuration und Abstraktion, Fragen zu Neuinterpretationen, zu Rekontextualisierungen von Kunstproduktionen des kulturellen Erbes.

Das Kombi- Projektes im Kunstquartier Bethanien in Berlin soll einen Austausch zwischen Studierenden und Alumni verschiedener Kunsthochschulen ermöglichen, auch im Hinblick auf eine vielleicht spätere künstlerische Zusammenarbeit. Die Künstler*innen werden meist von ihren Professor*innen vorgeschlagen, Eigenbewerbungen sind möglich.

Die Künstler*innen von „Drifting between pictures of the mind“ in 2024 oder ihre Familien kommen aus Ländern wie: Taiwan, Indien, Russland, der Ukraine, aus dem Iran, aus Rumänien, Polen, der BRD (ehem. Ost und West), aus Österreich, Italien, Sierra Leone, Ghana, Mexiko. Die Themen, welche in ihren Arbeiten angesprochen werden, beziehen sich u.a. auf den Kontext ihrer Lebenserfahrung, oder den ihrer Familien, auf autobiographische Geschehnisse. Sie führen eine kritische Auseinandersetzung mit einem kolonialen Erbe, sie reden von Sexueller Identität, von Gewalt und der Brutalität des Lebens, von Emigration und Vertreibung, vom Bild der Frau in postkolonialen Gesellschaften, von der Ästhetisierung menschlichen Lebens und den daraus resultierenden Einfluss auf Kultur und Natur, von Macht Konstrukten innerhalb von Familien, sie hinterfragen gesellschaftliche Strukturen, sie stellen Fragen zu Zugehörigkeit, Herkunft, Gender, sowie der Rolle von Kunst in der Gesellschaft.

Die künstlerische Umsetzung dieser Themen erfolgt in Form von Fotografie, Video, Rauminstallationen, von multimedialen Arbeiten, als Malerei, Zeichnung, Objekt, Performance.

Text: Peter Branger

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Ching- Wei Bai kommt aus Taiwan. Seine Arbeiten kombinieren verschiedene Medien, darunter Fotografie, Video und Installation. Zu seinem Projekt schreibt er: „Du bist ein Traummann“ ist aus meinen Erfahrungen als asiatischer homosexueller Mann entstanden, der sich mit den Komplexitäten von Kategorisierung, Fetischisierung und Rassismus auseinandersetzt. Die erste Ebene dieser Kreation fasst meine eigenen Kämpfe zusammen und dient als visuelle und emotionale Darstellung der Herausforderungen, denen sich Menschen wie ich in einer Gesellschaft stellen müssen, die uns oft auf Stereotypen reduziert, die auf unserer Rasse und sexuellen Orientierung basieren. Die zweite Ebene, das Herz von „Du bist ein Traummann“, ermutigt das Publikum, sich aktiv mit dem Stück auseinanderzusetzen. Ich möchte, dass sich das Publikum mit seinen eigenen Vorurteilen und Voreingenommenheiten auseinandersetzt, während es in die Bilder eintaucht. Durch diese Auseinandersetzung möchte ich eine Selbstreflexion auslösen, die das Publikum zu einem tieferen Verständnis sowohl seiner selbst als auch der breiteren gesellschaftlichen Dynamiken führt, die im Spiel sind.

Naomi Boima ist eine multidisziplinäre Künstlerin sierra-leonisch-deutscher Herkunft, jetzt gerade vorübergehend in Buenos Aires. Boima beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit schwarzen Gemeinschaften, verbunden mit der Genderproblematik. Sie schreibt: „ Es geht darum, die Freiheit der Selbstdarstellung zu umarmen und gleichzeitig das Kollektiv zu ehren.“ Sie dekonstruiert Machtstrukturen aus einer schwarzen, feministischen Perspektive. Sie engagiert sich in der Antirassismus-Arbeit und arbeitet mit Black Art Action Berlin zusammen.

Serafima Kalachenkova Bresler kommt aus Moskau. Die Erforschung des häuslichen Raums wird von ihr aus verschiedenen Blickwinkeln durchgeführt: aus der Sicht des Familienarchivs, der tragischen Geschichte ihrer Familie im Zusammenhang mit der Tschernobyl-Katastrophe von 1986 – Serafimas Großvater war Liquidator des Unfalls; aus der Sicht des Hauses als Denkmal, Schutzraum ihrer Kindheit; aus der Sicht der Katastrophe..… Nach dem Beginn des Krieges in der Ukraine und aufgrund der Migration der Künstlerin und ihrer Familie entsteht durch Distanz ein neues Bewusstsein für das, was geschehen ist und geschieht, auch durch die heutigen Online-Ressourcen. Auf diese Weise beginnt die Forschung sich auch mit der Sichtbarkeit von Katastrophen zu befassen und damit, wie sie trotz ihrer Nähe unsichtbar bleiben können. Um über diese Themen zu reflektieren, arbeitet die Künstlerin mit verschiedenen Drucktechniken auf unterschiedlichen Materialien und verwandelt das digitale Archiv in Objekte. Die Ergebnisse werden als Installationen gezeigt, persönlichen Gegenständen, naiven Kinderzeichnungen und
Familienarchiven werden miteinander verbunden.

Luana Closca kommt aus Rumänien. Sie schreibt: „In groben Zügen zielt meine derzeitige Arbeit darauf ab, die Dynamiken zu materialisieren, die innerhalb gesellschaftlicher Machtstrukturen wirken, wobei der Fokus hauptsächlich auf Formen der Aushandlung (oder ihres Fehlens) von Territorien liegt – sowohl in der Welt als auch auf der Bildebene.“ In ihren Untersuchungen beschäftigt sich Luana Closca mit den Verhältnissen zwischen Erotismus und Macht, mit Bewegung und mit der Landschaft als Erweiterung der Manifestationen von Bewegung. Die Malerei ist für sie ein Verhandlungsort, an dem die Grenzen von persönlicher und gemeinsamer Identität ständig neu definiert werden.

Amrita Dhillon aus Indien schreibt: Meine Bilder beschäftigen sich mit der fragilen Fassade dekadenten Glamours angesichts des gesellschaftlichen Niedergangs. Ich arbeite mit gefundenen Bildern aus Filmen, Fotos, Fernsehen und Werbung, zuletzt mit Bezug auf indische Filme der 1960er bis 1980er Jahre. Mein Wunsch ist es, Bilder von Indien zu verwenden, die von Indern gemacht wurden, jenseits des kolonialen Blicks, und die Annahmen und Konventionen zu hinterfragen, die unser kollektives Verständnis der Kultur untermauern. Ich glaube, dass es in der indischen Erzählung eine reiche Ader der Dunkelheit und subtilen Tragik gibt, insbesondere in den Erfahrungen der Frauen.

Sarah Ama Duah, Künstlerin deutsch-ghanaischer Herkunft tritt in einen kritischen Dialog mit Skulpturen, mit monumentalen Denkmäler als Artefakte des kulturellen Gedächtnisses, als Manifestationen von Ideologien, und entwickelt dabei hybride Formen zwischen Skulptur und Körperlichkeit. Performerinnen werden eingeladen gemeinsam über den Fetischstatus historischer Denkmäler nachzudenken, indem sie mit ihren eigenen Körpern verschiedene skulpturale, temporäre, profane und auch sehr weibliche Erzählungen aus Latex schaffen. Die Denkmäler von denen ausgegangen wird sind Teil einer kolonialen Geschichte.

Moritz Führer schreibt: Die Einflüsse der gebauten und der gewachsenen Umwelt auf den menschlichen Körper bilden den Ausgangspunkt meiner künstlerischen Arbeit. Durch eine experimentelle Auseinandersetzung mit Architektur, Design, Stadtbegrünung, Fitness und Wäldern verbinde ich die verschiedenen materiellen Konstitutionen dieser Gebiete zu skulpturalen Arbeiten, die die Ästhetisierung menschlichen Lebens und den daraus resultierenden Einfluss auf Kultur und
Natur widerspiegeln.

Das Hauptthema der medienübergreifenden Arbeiten von Lola von der Gracht ist die Identitätssuche, die Hinterfragung gesellschaftlicher Zugehörigkeit, Herkunft und Gender. Sie baut installativ-performative, fotografische Videoarbeiten auf, ergänzt durch Tanz und Musik. Sie ist daran interessiert, eine Sichtbarkeit von marginalisierten Gruppen, z. B. LGBTQIA-Communitys und einen sicheren Raum für diese zu erwirken, auch mithilfe von soziokulturellen Projekten.

Elena Grossi kommt aus Rom. Sie schreibt: In meiner Praxis dreht sich alles um die Zeichnung und ihre Materialität, oder deren Fehlen. Ich arbeite mit einfachen Materialien, oft nur mit Graphit und Papier, manchmal aber auch mit eher skulpturalen Ansätzen. Ich denke über die Dinge nach, die fehlen oder abwesend sind: dass die Zeichnung und ihre Flachheit vielleicht nicht ausreichen; dass vielleicht nicht genug auf dem Spiel steht, nicht genug Risiken eingegangen werden. Manchmal frage ich mich, ob ich es nur mit Oberflächen zu tun habe, oder sogar nur mit einer bestimmten Handbewegung, und vielleicht ist das alles - eine flache Oberfläche, eine Handbewegung. Das ist es, was mich interessiert, die vermeintliche Marginalität und Prekarität der Zeichnung, ihr Dasein im Hintergrund, oft unter anderen, bedeutenderen Schichten. Aber wenn sie in den Vordergrund gerückt wird, welche Formen kann sie dann annehmen? Welche Bilder? Welche Gefühle? Wie können Gefühle und konkrete Objekte in einer Zeichnung nebeneinander bestehen? Übersehe ich offensichtlich etwas?

Leonardo Grünig schreibt: Meine künstlerische Praxis bewegt sich zwischen Malerei und Objekt. In der Außeinandersetzung mit verschiedenen Materialitäten, erforsche ich unkonventionelle Malgründe, die von Keramik bis hin zu gefundenen Objekten variieren. Das Fundstück nimmt eine zentrale Rolle in den Arbeiten ein. Besonders interessieren mich Szenen und Objekte des ganz Alltäglichen, die sich zeitlich nicht eindeutig zuordnen lassen. Dabei spiele ich mit dem Spannungsfeld zwischen nostalgischen Bildwelten und zeitgenössischen Motiven und Techniken. Um die digital generierten Bilder auf den Malgrund zu überführen, nutze ich unter anderem ein Thermaldruck-Verfahren, das auch beim Erstellen von Kassenbons verwendet wird.

Citlali Lucia Halfar besitzt die deutsch- mexikanische Staatsbürgerschaft. Sie schreibt: Das Konzept von Erinnerungen spielt in meiner Kunst eine große Rolle, dabei nutze ich Szenarien, die ich mit erlebt habe und Situationen, als ich noch gar nicht geboren war, welche jedoch trotzdem einen großen Einfluss auf mein Leben haben. Dies sind meistens Fotoreferenzen meiner Mutter, die es
mir erlauben, ihre Rolle vor meiner Existenz zu verstehen und dadurch ihren und meinen mexikanischen Hintergrund zu erforschen. Wenn ich Szenen zeichne, bei denen ich anwesend war, bin ich gezwungen, mich mit jedem Objekt und Detail dieser Situation auseinanderzusetzen und die Erinnerung aus meiner jetzigen Perspektive nochmal differenziert wieder zu erleben.

Anna Jocham wurde in Voitsberg, Österreich geboren. In „Der Wurm zernagt des Frühlings zarte Kinder“ 2024 Cyanotypien auf Polyester, 225 x 119 cm und 40 x 30 cm bezieht sich Anna Jocham auf die Ophelia von Shakespeare, die meist leblos im Wasser schwimmend von Blumen umgeben dargestellt wird. Bei Anna Jocham wird dieses Bild gebrochen, sie verwendet dafür Cyanotypien
auf transparenten Stoffen. in ihrer zweiteiligen Installation schwebt ein scheinbar zerknitterter blauer Schleier ganz natürlich und suggeriert eine rätselhafte Ebene für ein kleines Fotoformat, eine weibliche klassische Skulptur. In der Arbeit „Through The Looking Glass“ untersucht Anna Jocham Darstellungen von Frauen in Werbung und Film und hinterfragt den gesellschaftlichen Gebrauch
von stereotype Bildwelten.

Raúl Itamar Lima aus Mexiko besetzt Räume und Plastiken mit fiktiven Fragmenten von Kommunikation, wie z.B. in der Gruppenausstellung „Sex, Death & Robots“ „Ari, Erinnerst du dich, wie wir an einem Montagabend die Av. Horacio entlanggingen, nur wenige Tage nachdem wir uns zum ersten Mal begegnet waren? Es dauerte nicht lange, bis jemand, vielleicht René, vorschlug, in eine Bar zu gehen, obwohl wir alle gerade erst in Andrés‘ Wohnung angekommen waren. „Warum das Wohnzimmer verlassen? Ist es nicht schöner, hier zu bleiben?“, fragte ich mich. „Ich zeige dir einen Trick“, sagtest du zu mir, als du anfingst, für uns alle Shots von Bacardí añejo einzuschenken. „Trink es – trink es, oder ich rede heute Abend nicht mit dir.“ „Alles?“ „Riech es einfach nicht und trink es“, sagtest du, als du uns allen ein Beispiel gabst, auch wenn die Demonstration nicht nötig war: Dieser einzigartige kubanische Duft hatte uns angelockt, als du jedem seinen Shot reichtest. Der Duft war süß, würzig, verführerisch – giftig, obwohl das Fehlen jeglicher Spur der dicken, feuchten karibischen Luft an diesem Montagabend die ganze Situation weniger real und weniger berauschend machte. ……………………………….“


Maria Martini
Aus „The Argonauts“ von Maggie Nelson:
„If the baby could speak to the mother, says Winnicott, here is what it might say:
I find you;
You survive what I do to you as I come to recognize you as
not-me;
I use you;
I forget you;
But you remember me;
I keep forgetting you;
I lose you;
I am sad.“


Mo Poori kommt aus dem Iran. In seinen Filmen, Videos und Videoinstallationen befasst sich Mo Poori mit realen und fiktiven Begebenheiten seiner, einer Vergangenheit. Er zitiert Mahmoud Darwish.“Die Vergangenheit ruft dich mit allem, was sie besitzt“ Sich langsam wechselnde poetischen Bilder und Sprachteppiche bilden eine Platform für Neuvorstellungen in der sich Erinnerungen, Träume und Emotionen verflechten.

Kurt Röll schreibt: Wahrscheinlich sind wenige Dinge von größerer Brutalität, als der Versuch, sein eigenes Selbst zu begreifen. Unklare Verhältnisse in eine konkrete Form zu gießen ist eine Unternehmung ohne Endpunkt, weil mit jedem Objekt, jeder Malerei, jedem Ergebnis die Leerstellen nur noch sichtbarer hervorzutreten scheinen. Mein persönliches Selbst, dem ich mich in dieser Aneinanderreihung einzelner Unzulänglichkeiten ausgesetzt sehe, erzählt eine Geschichte von Ruhelosigkeit, Zerrissenheit, Einsamkeit, Flucht, Zuhause, Herkunft, Druck. Mich bewegt die Gleichzeitigkeit aller menschlichen Realitäten, die Gleichzeitigkeit aller Hoffnungen, Wünsche, Ängste, Sorgen und Träume. Die Nabelschau der Zwischenräume, der stillen Momente größtmöglicher Lautstärke, die mich in den Schwitzkasten nimmt, jeden einzelnen Tag. Das ist alles was ich kann, einstecken und austeilen, wie so ein Boxer. Die Brutalität bleibt erhalten.

Maria Stusio aus Polen ist eine interdisziplinäre Künstlerin. Das Video-Essay im Kunstquartier Bethanien wirft einen Blick auf die soziale Konstruktion der Frau, indem er Texte mit Momenten aus Heimvideos, digitalen Grafiken und Screenshots von Instagram kontrastiert. Auch in anderen Arbeiten beschäftigt sich Maria Stusio mit einer ähnlichen Problematik, wie unsere Antwort auf die Frage lauten könnte: „Wie ist es, eine Frau zu sein?“ Anhand der Darstellung von Frauen in den Massenmedien.

Info

Prof. David Schutter
d.schutter_ @udk-berlin.de