MEHRLICHT!MUSIK 2022: Musiktheater – Experimentelles Musiktheater

Robert Radziejewski

Die Musiktheater-Arbeiten von Nora Krahl, Mathilde Köppel, Hatem Hamdy, Kay Kobayashi, Raimonda Žiūkaitė, Cya Bazzaz und Marta-Liisa Talvet sowie unsere Version der „Song Books“ sind im Laufe des letzten Jahres im Rahmen verschiedener Musiktheater-Werkstätten und gemeinsamer Arbeitsphasen entstanden.

15 Uhr / im Anschluss Pausengespräch

Nora Krahl: ||re:pete:||

UdK Berlin, Bundesallee 1-12, Probensaal

Ein(e) Spachtel ist ein Handwerkzeug, das aus einem Griff, sowie einem langen, flachen, unterschiedlich breiten, starren oder biegsamen Stahlblatt besteht. Bei vielen handwerklichen Tätigkeiten werden mit Spachteln Werkstoffe aufgetragen, verteilt und glattgestrichen. Auch zum

Ablösen von flächigen Werkstoffen wie Tapeten oder geklebten Teppichböden werden Spachtel verwendet. Neben dem Handwerk sind Spachtel auch in anderen Bereichen als vielfältig einsetzbares Werkzeug vertreten und werden sogar in Küchen und Imbissständen zum Abtragen von angebrannten Rückständen auf Bratflächen verwendet. (Vgl. Wikipedia) Allgemein vernachlässigt wird allerdings das Talent von Spachteln, sich bereitwillig der Klangerzeugung hinzugeben. Das soll sich ändern!

||re:pete:|| ist in enger Zusammenarbeit mit Amir, Lee, Georgica, Germaine und Lisa entstanden.

Ich danke Allen für ihre Energie und die wunderbaren Ideen, die hier zusammengeflossen sind.

Die Leidenschaft der Regisseurin, Komponistin und Cellistin Nora Krahl gehört der zeitgenössischen Musik und experimentellen Theaterformen. Ihr breites Spektrum an Projekten ist gekennzeichnet von Grenzgängen und künstlerischem Forschergeist. Sie konzertiert weltweit und arbeitet mit Ensembles wie Zeitkratzer, The Octopus oder She She Pop. Theaterprojekte führten sie auch international nach Istanbul, Kalifornien und NYC. Sie studierte an der Folkwang Universität der Künste Essen und der HfM Hanns Eisler Berlin.

Regie/Komposition: Nora Krahl
Bühne/Kostüm: Amir Baltić
Assistenz: Lee Kern
Performer:innen: Lee Kern, Georgica Pettus, Germaine Png, Lisa Ströckens
 

 

16 Uhr / im Anschluss Pausengespräch

Mathilde Köppel, Kopfcrescendo

Hatem Hamdy, “Coffee Intrusion”

UdK Berlin, Bundesallee 1-12, Probensaal

Mathilde Köppel, Kopfcrescendo

In „Kopfcrescendo" verarbeitet Koeppel ihre persönlichen Hürden und Probleme, die im Kompositionsprozess immer wieder auftauchen. Unkonzentriertheit, Ablenkung durch die sozialen Medien und Perfektionismus, der sich durch chaotische Gedanken äußert, tragen unter Anderem dazu bei, dass sich die Komponistin schwer tut auch nur eine anständige Note zu schreiben. Natürlich spielt auch ein gewisser Zeitdruck eine Rolle: Die Deadline steht kurz bevor und die Nacht muss mal wieder durchgemacht werden. Wird sie es schaffen? „Kopfcrescendo“ wurde gemeinsam mit den Mitwirkenden weiterentwickelt und deshalb gilt allen Beteiligten großer Dank.

Mathilde Koeppel wurde 1996 in Berlin geboren und studiert seit 2016 Komposition an der Universität der Künste. Seit September 2019 studiert sie zusätzlich als Zweitfach „Historischer und Zeitgenössischer Tonsatz“ an der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Ihre Werke wurden im Rahmen verschiedener Veranstaltungen uraufgeführt, wie z.B. ihr Stück „Aions Reise“ gespielt vom „Trio Noir“ im Rahmen des 18. „World Saxphone Congress“ in Zagreb, Kroatien oder ihr kürzlich beendetes Orchesterwerk „Jeongak Aak“, gespielt vom Brandenburgischen Staatsorchester Frankfurt.

Performer:innen: Hatem Hamdy, Raimonda Žiūkaitė, Eli Simic-Prosic und andere

 

Hatem Hamdy, "Coffee Intrusion"

In einem kleinen Kaffee in der Großstadt, was wollen die Leute eigentlich voneinander? Kaffee? Trinkgeld? Lob? Wollen sie über ihre Leben reden, oder eher Smalltalk führen? Wo liegen die Grenzen der Menschen an so einem Ort?

Hatem Hamdy ist in Kairo geboren und aufgewachsen. Diese große Stadt spielte eine wichtige Rolle in seiner künstlerischen Entwicklung. Seit einem frühen Alter hatte er Zugang zu verschiedenen musikalischen Einflüssen und war diesen ausgesetzt. Diese Einflüsse formten seinen Weg, in dem er verschiedene Musiktraditionen gleichzeitig verinnerlichen konnte. Neben einem Studium im Fach Ingenieurswissenschaften in Kairo, beschäftigte er sich autodidaktisch mit arabischer und westlicher Musik. 2015 kam Hatem Hamdy nach Berlin und begann 2017 seinen Bachelor im Fach Komposition an der Universität der Künste Berlin bei Prof. Daniel Ott. Seitdem experimentiert er mit verschiedenen Einflüssen in seinen Kompositionen. Nicht nur klangliche Aspekte, sondern auch psychische, körperliche und alltägliche Elemente spielen in seinem Kompositionsprozess eine Rolle.

Performer:innen: Raimonda Žiūkaitė, Eli Simic-Prosic

 

17 Uhr / im Anschluss Pausengespräch

Kai Kobayashi, Ungesungene Lieder II für fünf Instrumentalist:innen

UdK Berlin, Bundesallee 1-12, Probensaal

In der Schlussszene von Chaplins berühmtem Film, vor der Masse spricht der Friseur als Ersatz für Diktator “Hynkel”. Obwohl der Inhalt der Rede das Gegenteil von dem eines echten Diktators ist, werden die Leute von der kraftvollen Atmosphäre erfasst und applaudiert wahnsinnig. Der leidenschaftliche Tonfall hat die besondere musikalische Atmosphäre, die unabhängig vom Inhalt die ähnliche Erregung und Verzückung hervorruft.

Was ich hier spüre, ist die starke Kraft des musikalischen Kontextes und die Schwierigkeit, den gesamten Kontext in einer strengen Weise zu spezifizieren. Es wird oft gesagt, dass man sich ohne Worte durch Musik einander verstehen kann. Aber die Möglichkeit, ein so breites Spektrum unterschiedlicher Menschen umzufassen, enthält gleichzeitig Unklarheit und birgt Gefahr in sich. Das ist ein Versuch, mit dem Publikum auf eine Weise zu interagieren, ohne die Emotionalität aufzuzwingen. Die alle Worte, die für diese meine Arbeit ausgewählt wurden, haben riesige Bedeutung und ich möchte sie mit dem Publikum teilen. Ich erwarte jedoch gar nicht, dass wir die gleiche Emotion teilen können. Jeder hat seinen eigenen Hintergrund, wie man sich fühlt. Der Unterschied erzeugt eine Freude des Meinungsaustausches mit anderen.

Noch in der modernen Gesellschaft können wir das Hindernis erleben, ein Bedenken gegen die Strömung der Zeit oder die Normen der Gemeinschaft zu äußern. Weil wir die Schwierigkeit wissen, kann man nicht einfach einseitig diejenigen kritisieren, die im Laufe der Geschichte ihre Stimme nicht erhoben haben. Aber ich werde mich immer an den Mut der Minderheiten erinnern und niemals vergessen, die nicht geschwiegen haben.

Kai Kobayashi, geb. 1991 in Tokio, begann mit sechs Jahren Klavier zu spielen. Sie studierte Komposition an Tokyo College of Music und an der Hochschule für Musik Dresden. Derzeit studiert sie im Konzertexamen für Komposition an der HfMT Hamburg bei Gordon Kampe sowie als Masterstudentin mit der Vertiefung Experimentelles Musiktheater an der UdK Berlin bei Daniel Ott, gefördert durch das Deutschlandstipendium. Ihre künstlerische Auseinandersetzung mit den gesellschaftsbezogenen Themen, die sie seit Beginn ihrer Karriere als Komponistin selbst berührt, setzt sich in jüngster Zeit in neuen Formen des experimentellen Musiktheaters fort. Ihre Werke wurden unter anderem von MDR Sinfonieorchester (vom Deutschlandfunk gesendet), Symphoniker Hamburg, Ensemble El Perro Andaluz, Ensemble LUX: NM, Ensemble KNM und Ensemble Ilinx aufgeführt.

https://kaikobayashi.com/

Mitwirkende: Chen Cheng (Tenorsaxophon), Olivia Palmer-Baker (Kontrafagott), Carmen Kleykens Vidal (Violoncello), Pinja Zenk (Harfe), Ilona Perger (Klavier)

 

18 Uhr / im Anschluss Pausengespräch und Einführung Songbooks

Raimonda Žiūkaitė, "Within working hours"

Cya Bazzaz, Aufzeichnungen

UdK Berlin, Bundesallee 1-12, Probensaal

Raimonda Žiūkaitė, "Within working hours"

Das Stück „Within working hours“ ist inspiriert von David Graebers Buch „Bullshit Jobs“ (2018), dem Film „Don’t Look Up“ und einigen Regeln der Corona-Pandemie. Das Set ist ein fiktiver Staat Absurdistan, in dem die Bürger sozusagen 'besondere' Aufgaben und Regeln haben, denen sie gehorchen müssen. Wie wir in einem realen Beispiel aus Graebers Buch finden: „Statt dass der Soldat seinen Computer fünf Meter weit trägt, fahren zwei Menschen zusammen sechs bis zehn Stunden, füllen etwa fünfzehn Seiten Papierkram aus und verschwenden a gut vierhundert Euro Steuergelder.

Raimonda Žiūkaitė (*1991, Vilnius, Lithuania) - Komponistin und Performerin. Sie studierte Komposition (Bachelor, Master, Doktorat, Postgraduate) an der Litauischen Akademie für Musik und Theater, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Mozarteum Universität Salzburg, Universität der Künste Berlin und der Hochschule der Künste Bern. 2020 wurde sie in Komposition promoviert. Raimonda ist auch als Performerin in ihren Theateraufführungen für Stimme und Elektronik und audiovisuellen Installationen aktiv. Ihr künstlerisches Oeuvre balanciert zwischen sinnlicher, provokativer Energie und Rationalität. Einige Kompositionen erinnern an gut proportionierte architektonische Strukturen oder Prozesse der allmählichen Metamorphose, die auf einer einzigen Kompositionsidee beruht. Immer wenn der performative Aspekt zum Vorschein kommt, hat sie eine Affinität zu Konzepten wie Überraschung, Glitch, Paradox, Ironie und Absurdität.

Performer:innen „Within working hours“: Marta-Liisa Talvet, Olivia Artner, Luca Staffiere, Kristof Siklosi
 

Cya Bazzaz, Aufzeichnungen

Dieses Werk ist inspiriert vom Roman ,,Aufzeichnungen aus dem Kellerloch'' von Fjodor Dostojewski, welcher 1864 in der Sankt Petersburger Monatszeitschrift ,,Epocha'' erschienen ist.

Die Hauptfigur und Ich-Erzähler ist ein etwa vierzigjähriger namenloser ehemaliger Beamter, der in einer Kellerwohnung am Rand von Sankt Petersburg lebt. Aus diesem Kellerloch, wo ihn niemand stört, schreibt er zynisch und polemisch seine Gedanken zur Gesellschaft und zu sich selbst nieder. Der Roman ist aufgeteilt in 2 Teilen, einem eher essayistischen und einem narrativen Teil. Die in diesem Werk verwendeten Textmaterialien stammen alle aus dem ersten Teil. In diesem Abschnitt des Romans nimmt Dostojewski/ der Ich-Erzähler alle existenziellen Fragen des modernen Lebens auseinander: Willensfreiheit, Sinn, Bewusstsein, das Absolute der Naturgesetze, Gerechtigkeit, das Wollen, Passivität, Vernunft, Bevormundung, Entwöhnung vom ,,richtigen, lebendigen'' Leben, ... um nur eine paar Themenkomplexe zu nennen. Was aus der Inspiration dieser Lektüre rauskam ist dieses Werk, welches versucht, diese Themen, auf musikalische, sprachliche und theatrale Weise zu ergründen bzw. künstlerisch zu verarbeiten.

Cya Bazzaz, geboren 1997 in Berlin, ist ein Komponist und Pianist mit kurdischen Wurzeln. Er komponiert Orchester-, Kammer-, und Vokalmusik, die er oftmals mit textlich-theatralen oder auch elektronisch-multimedialen Elementen kombiniert. Seine Werke wurden unter anderem von Orchestern wie dem MDR-Sinfonieorchester, Ensembles wie dem Ensemble Kaleidoskop oder Solistinnen wie der Stimmvirtuosin Salome Kammer uraufgeführt. Ebenso erhielt er bereits Kompositionsaufträge, unter anderem vom Impuls Festival für Neue Musik (Förderpreis), der Universität Potsdam oder der Musikschule Neukölln. Er nahm an Meisterkursen unter anderem bei Annette Schlünz (Leipzig), Helmut Schmidinger (Wien) und Jan Michiels (Berlin) teil. Als Pianist spielt er sowohl solistisch als auch in verschiedenen kammermusikalischen Besetzungen.

Er ist Stipendiat der Hans-Böckler-Stiftung. Aktuell studiert er Komposition bei Elena Mendoza und KA Klavier bei Markus Groh an der Universität der Künste Berlin.

Mitwirkende „Aufzeichnungen“: Christin Stanowksi (Sopran), Marie Sofi e Jacob (Sopran), Karim Mayer (Bass), Can Bakir (Bariton), Marie-Antonia Schwebe (Sop.-Sax.), Paula Luisa Buchholz (Alt-Sax.), Tina Tepper (Bar.-Sax.)

 

19:30Uhr
John Cage: „Song Books“ (1970)
UdK Berlin, Bundesallee 1–12, Probensaal

„John Cage’s ,Song Books‘ sind eine Art Kompendium seines Vokalschaffens. 1970 entstanden, bestehen sie aus 92 Solos for Voice, die einzeln, eben als Solo-Stücke, oder in beliebiger Auswahl als Ensemblewerk aufgeführt werden können. Dann wird ein bestimmter Zeitraum festgelegt, innerhalb dessen die einzelnen Soli stattfi nden. Das führt zu geregelter Anarchie und zu dadaistischen Situationen. Tatsächlich sind die ,Song Books‘ dem Denken des grossen amerikanischen Dichters und anarchistischen Philosophen Henry David Thoreau verpfl ichtet, und ebenso sind sie eine Huldigung an Erik Satie.“ – Dieter Schnebel

Klangregie / Live-Elektronik: Vinh Tran und Martin Supper
Performer:innen: Sunan Gu, Theodor Hartmann, Nik Bohnenberger, José Luis Perdigón, Raimonda Žiūkaitė, Hatem Hamdy, Marta Liisa Talvet, Cecilia Xuetong Feng, Johanna Madden, Melanie Rosas, Kani Roshan Lent, Leon Erhorn, Ilona Perger

Die Pausengespräche werden geleitet von Studierenden der Musikwissenschaft am Institut für Theaterwissenschaft der Freien Universität (FU) Berlin: Natalie Szende, Jan-Hendrik Klein, Anna Henrike Leißner, Mihneea Popov, Tim Rimmelspacher
Betreuung: Camilla Bork

Leitung: Daniel Ott
Assistenz: Ilona Perger Technische
Leitung: Malwine Kurella und Robert Priebs

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